Neulich in Osnabrück: Aufgrund meines Umzugs ins Osnabrücker Zentrum verbringe ich aktuell viel Zeit mit Möbelschleppen – und somit auch zwischen Auto und Hauseingang. Dort stoppte mich kürzlich ein junger Mann, dessen Begegnung einen Gedanken in mir auslöste, den ich noch nie wirklich ernsthaft und aktiv verfolgt habe: Bin ich eigentlich rassistisch?
Ein Kolumnenbeitrag von Maurice Guss
Was ist eigentlich Rassismus und wann fängt er an? Zumindest ersteres lässt sich mit einem Blick in den Duden (zwar ein wenig allgemein, dafür aber ziemlich zügig) beantworten: Demnach ist Rassismus eine „(meist ideologischen Charakter tragende, zur Rechtfertigung von Rassendiskriminierung, Kolonialismus o. Ä. entwickelte) Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen.“
Komplizierter wird es, wenn man nach einer Antwort auf die Frage sucht, wann Rassismus anfängt. Wenn ich eine dunkelhäutige Person schlechter behandele als eine hellhäutige Person, einzig und allein weil sie dunkelhäutig ist, dann ist die Sache klar. Die Antwort muss also in einem früheren Stadium liegen – doch wo? Ist schwarzer Humor Rassismus? Oder eine dumme, aber trotzdem abwertende Äußerung im Freundeskreis? Kann ein einfacher Gedanke rassistisch sein? Eine allgemeine Antwort aus dem Internet – Fehlanzeige!
Je länger ich darüber nachdenke, desto komplizierter wird es: Kann ich an der Oberfläche weltoffen sein, aber in mir ist irgendwas – vielleicht kulturell bedingt – rassistisch? Kann ich das steuern? Macht mich mein Medienkonsum rassistischer? Beeinflusst er mich überhaupt? Denke ich da so drüber nach, dann ist Rassismus für mich ein gut gefüllter Fragenkatalog – nur die Antworten fehlen mir momentan.
Was veranlasst mich zu all diesen Gedanken? Zurück zum Möbelschleppen: Ich bin gerade dabei, meinen letzten Gang zu machen, den letzten Karton des Tages aus dem Kofferraum durch die Haustür in meine neue Wohnung zu tragen, als mich ein junger Mann mit einem rückblickend fast schon schüchternen „Hey“ gerade noch so vor dem Treppenhaus abfängt. Ich stelle meinen Karton ab, trete einen Schritt zurück auf den Vorhof des Hauses, auf dem auch mein Auto steht und begrüße den jungen Mann, vielleicht ist er sogar noch jugendlich, ebenfalls.
Mit wem habe ich es zu tun? Ich weiß es nicht, erkenne lediglich seine Dreadlocks, einen dunkleren Hautteint und höre auch aus seiner Aussprache heraus, dass mein Gegenüber – anders als ich – mit hoher Wahrscheinlichkeit Wurzeln hat, die nicht in Deutschland liegen. In gebrochenem Deutsch fragt er mich, ob er mit meinem Handy einen Freund anrufen kann. Warum auch immer, gehen mir für einen kurzen Moment einige Berichte über Diebstähle durch den Kopf, die ich in letzter Zeit gelesen oder über die ich für die HASEPOST selber berichtet hatte, und deren Muster zu meiner Situation passen könnten. Dennoch bejahe ich die Frage des jungen Mannes, zücke mein Handy aus der Hosentasche und überreiche es ihm. Dann passiert es – für eine kleine Millisekunde schießt mir ein Gedanke in den Kopf: „Hauptsache er rennt nicht los.“
Spoiler: Er wird nicht losrennen, sondern versuchen, seinen Freund anzurufen, ihn nicht erreichen, mir mein Handy wiedergeben und sich superfreundlich bedanken. Das interessiert mich in den Folgeminuten aber nicht. Stattdessen beschäftigt mich auch Stunden später noch einzig und allein mein Gedanke: „Hauptsache er rennt nicht los.“ Was stimmt nicht mit mir? Das passt doch so überhaupt nicht in mein Weltbild. Und je länger ich drüber nachdenke, desto mehr frage ich mich: Bin ich eigentlich rassistisch?