Der Bruch der Ampelkoalition ist vollzogen und stürzt das Land in eine neue Regierungskrise. Was nun folgen wird, ist durch die Ankündigung einer Vertrauensfrage und möglicher Neuwahlen klar umrissen – dennoch bleibt die Zukunft ungewiss. Die HASEPOST beantwortet die drängendsten Fragen.
Was ist passiert?
Die Kurzfassung: Mit markigen Worten distanzierte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend scharf von Finanzminister Christian Lindner und dessen Partei, der FDP. Am Donnerstagmorgen traten zunächst alle FDP-Minister aus der Ampelkoalition zurück. Kurze Zeit später revidierte Verkehrsminister Volker Wissing jedoch seinen Rücktritt, verließ die Partei und bleibt weiterhin im Amt. Alle aktuellen Entwicklungen finden Sie hier.
Was führte zum endgültigen Bruch?
Differenzen innerhalb der Ampelregierung gab es von Anfang an – wie Bundeskanzler Olaf Scholz in einem deutlichen Statement bestätigte. Besonders verantwortlich machte er Finanzminister Christian Lindner, dem er vorwarf, Kompromisse durch öffentlich inszenierte Konflikte blockiert und Gesetzesvorhaben sachfremd verhindert zu haben. Der entscheidende Auslöser war jedoch das Koalitionstreffen am Mittwoch, bei dem die Haushaltsverhandlungen für 2025 endgültig ins Stocken gerieten, nachdem die FDP immer wieder Blockaden errichtet hatte. Scholz erklärte, dass Lindners Verhalten dem Land nicht länger zumutbar sei.
Lindner reagierte schnell und machte den Bundeskanzler für das Scheitern verantwortlich: “Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen”, sagte er. Lindner warf Scholz vor, die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt und einen “kalkulierten Bruch dieser Koalition” herbeigeführt zu haben. Auch bei den Haushaltsgesprächen kritisierte er die SPD und die Grünen, die Vorschläge der FDP zur Belebung der Wirtschaft “nicht einmal als Grundlage für Beratungen” akzeptiert zu haben.
Kann Olaf Scholz Minister einfach so entlassen?
Jein. Die Befugnisse zur Ernennung und Entlassung von Bundesministern sind im Grundgesetz und im Bundesministergesetz klar geregelt. Das Grundgesetz unterscheidet hierbei nicht, ob ein Minister freiwillig zurücktritt oder entlassen wird; beide Vorgänge sind formal an denselben Ablauf gebunden.
Konkret besagt Artikel 64 des Grundgesetzes: „(1) Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. (2) Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Artikel 56 vorgesehenen Eid.“
Das Bundesministergesetz ergänzt dazu: „Das Amtsverhältnis der einzelnen Bundesminister endet außerdem mit ihrer Entlassung. Die Bundesminister können jederzeit entlassen werden und ihre Entlassung jederzeit verlangen.“
Dies bedeutet: Die tatsächliche Entlassung eines Ministers erfolgt formal durch den Bundespräsidenten, aktuell Frank-Walter Steinmeier, der als Staatsoberhaupt die letzte Entscheidung trifft. Der Bundeskanzler hat allerdings die Möglichkeit, die Entlassung eines Ministers vorzuschlagen. Üblicherweise folgt der Bundespräsident dem Vorschlag des Kanzlers, doch die Entscheidung bleibt im rechtlichen Sinne in seiner Hand.
Die mediale Darstellung, dass Scholz „seinen Verkehrsminister Christian Lindner selbst entlassen“ könne, ist daher stark vereinfacht. Vielmehr hat der Bundeskanzler die Möglichkeit, die Entlassung anzustoßen, der eigentliche Entlassungsakt wird jedoch vom Bundespräsidenten ausgeführt.
Wie erfolgt der Rücktritt der anderen FDP-Minister?
Der Rücktritt weiterer FDP-Minister läuft ebenfalls über den Bundespräsidenten, der die Entlassungsurkunden ausstellt, sobald diese gefordert oder vorgeschlagen werden.
Tritt Volker Wissing nun der SPD oder den Grünen bei?
Nein. Volker Wissing hat angekündigt, als Verkehrsminister im Amt zu bleiben, wird jedoch die FDP verlassen. Dabei betonte er, dass seine Entscheidung keine Abkehr von den Grundwerten der FDP sei und er keine Pläne habe, in eine andere Partei einzutreten. Er wird als Parteiloser im Amt bleiben, was rechtlich möglich ist.
Kann Scholz ohne Mehrheit weiter regieren?
Ja. Scholz und die SPD könnten zunächst mit den Grünen eine Minderheitsregierung bilden. Der Kanzler ist gewählt, und sobald die FDP-Minister ihre Entlassungsurkunden erhalten haben, könnten SPD und Grüne die offenen Posten besetzen. Eine Minderheitsregierung wäre jedoch handlungsbeschränkt, da sie für jede Entscheidung eine Mehrheit im Bundestag organisieren müsste. CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits betont, dass die Union eine solche Regierung nicht unterstützen werde.
Warum die Vertrauensfrage erst im Januar?
Während die Opposition eine sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen fordert, plant Bundeskanzler Scholz, die Vertrauensfrage erst am 15. Januar 2025 zu stellen. Wie er durchklingen ließ, möchte er sich und der Regierung so Zeit verschaffen, um wichtige Gesetzesvorhaben – wie den Ausgleich der kalten Progression, die Stabilisierung der Rente und Maßnahmen zur Stärkung der Industrie – noch vor Jahresende abzuschließen. Außerdem könnten Scholz und die Grünen die zusätzliche Zeit nutzen, um sich strategisch auf mögliche Neuwahlen vorzubereiten, während die Opposition bereits in den Startlöchern steht.
Was ist die Vertrauensfrage?
Mit der Vertrauensfrage im Januar gibt Scholz dem Bundestag die Möglichkeit, über den Weg zu vorgezogenen Neuwahlen abzustimmen. Laut Artikel 68 des Grundgesetzes kann der Kanzler die Vertrauensfrage stellen, um die Unterstützung des Bundestags zu prüfen. Sollte die Mehrheit der Abgeordneten ihm das Vertrauen verweigern, könnte der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen anordnen.
Sind Neuwahlen schon sicher?
Damit es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, müsste Scholz die Vertrauensfrage verlieren. Angesichts der derzeitigen politischen Lage ist dies nicht unwahrscheinlich. Sollte Scholz die Vertrauensfrage verlieren, könnte Bundespräsident Steinmeier den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen – voraussichtlich für März.