Gilt der Klassenerhalt mit dem VfL Osnabrück noch als Erfolg, so tut er dies beim Hamburger Sportverein nicht. Das weiß spätestens jetzt auch Ex-VfL-Coach Daniel Thioune nach seiner Entlassung beim einst unangefochtenen Bundesliga-Dino. Für den VfL Osnabrück und Ex-Trainer Thioune bietet sich kurz vor Ende einer beidseitig nicht zufrieden stellenden Saison die einmalige Chance auf eine romantische Reunion – die muss genutzt werden.
Ein Kommentar von Maurice Guss
21. Juni 2020: Der VfL Osnabrück macht nach seinem sensationellen Aufstieg im Vorjahr mit einem Sieg gegen Holstein Kiel den Klassenerhalt in Liga zwei perfekt. Nur wenig später verkündet Trainerheld Daniel Thioune seinen Abschied vom Verein. Besonders seine Äußerung, er sei vielleicht schneller gewachsen als sein lila-weißer Herzensclub, versalzte die Stimmung zum Abschied ein wenig. Manch ein Osnabrücker mag Thioune nicht das große Glück in der Hauptstadt der Trainerentlassungen gewünscht haben – und über die Entwicklungen am heutigen Morgen rund um den Hamburger Trainerstuhl nur müde lächeln können.
Weder Thioune noch der VfL sind gewachsen
Mit Marko Grote hatte der VfL Osnabrück schnell einen Nachfolger gefunden. Einer, dem anfangs viele den Sprung an die Seitenlinie eines Profivereins nicht zutrauten. Aber eben auch einer, der mit seinem Einsatz an der Seitenlinie den ähnlich lebhaften Thioune schnell vergessen ließ. Nebenbei startete der Neue an der Seitenlinie mit einer beachtlichen Erfolgsserie: Sieben Spiele ohne Niederlage zu Saisonbeginn ließen die lila-weißen Anhänger von einer erneuten Traumsaison träumen. Besser in der Tabelle platziert war zu diesem Zeitpunkt nur eine Mannschaft: Thiounes HSV. Und doch mag sich genau dieser Thioune gefragt haben, wer wirklich schneller gewachsen war.
24 Spieltage, magere 14 Punkte und zwei Trainer später steht fest: Der VfL ist nicht weiter gewachsen und muss stattdessen um den Klassenerhalt kämpfen. Und bangen, denn aus eigener Kraft ist er nicht mehr möglich. Auch beim HSV, der bekanntlich ganz andere Ziele verfolgt als unser VfL, hat sich die Lage derweil zugespitzt: Der direkte Aufstieg ist kaum mehr möglich, auch im Kampf um Relegationsplatz drei sind die Hanseaten auf Hilfe angewiesen. Trainer Thioune wackelte und wackelte, jetzt fiel der bekanntermaßen brüchige HSV-Trainerstuhl endgültig in sich zusammen. Und katapultiert Thioune damit endgültig zurück in die Realität: So schnell ist auch er nicht gewachsen.
HSV untrainierbar – dem VfL geht’s nicht besser
Als Trainer gescheitert ist der ehemalige VfL-Stürmer damit jedoch noch längst nicht. Eine Trainerentlassung in Hamburg steht inzwischen im Profil eines jeden dritten deutschlandweit bekannten Trainers. Anders ausgedrückt: Die Rothosen sind untrainierbar. Viel Spaß an der Stelle an Horst Hrubesch, Thiounes kurzfristigen Nachfolger. Untrainierbar scheinen momentan auch die Kicker vom VfL Osnabrück zu sein. Auf kürzeste Hochs mit einem Sieg gegen Karlsruhe und einem Unentschieden bei Bundesligaabsteiger Paderborn folgten lange und heftige Tiefs. Man denke nur an das desaströse 0:4 gegen Braunschweig, auch die, man möchte es gar nicht mit Zahlen schmücken, endlose Niederlagenserie an der heiligen Bremer Brücke hat es in sich. Wo Sportdirektor Benjamin Schmedes bisher immer eine Lösung parat hatte, vorübergehend sogar einen geeigneten Thioune-Nachfolger und sogar 100-Millionen-Mann Ludovits Reis vom großen FC Barcelona präsentierte, klafft inzwischen eine riesige Lücke voller Probleme.
Der Mannschaft scheinen die Fans und Ideen zu fehlen, an der Seitenlinie ein kompetenter und geeigneter Trainer. Grote scheiterte an einer unerklärlichen Niederlagenserie, Interimsnachfolger Florian Fulland brachte keine Änderungen. Mit dem dritten Trainer binnen einer Saison, Markus Feldhoff, kehrte nur kurzweilig Leben in eine ansonsten blasse Mannschaft ein. Das Projekt Feldhoff war und ist risikobehaftet, der ehemalige VfL-Stürmer ist als Trainer ein Neuling und sollte eine Mannschaft zu alter Stärke führen, die tief im Abschiedskampf steckte. Schnell war klar: Markus Feldhoff kann nur eine Lösung mangelnder finanzieller Mittel gewesen sein. Sportlich sprach und spricht weiterhin wenig für den nächsten Neuen an der Seitenlinie. Diesmal konnte Sportdirektor Schmedes nicht die perfekte Lösung aus seinem Hütchen mit begrenzten Möglichkeiten zaubern.
Thioune der perfekte VfL-Trainer
An der Personalie Feldhoff hängt gewissermaßen auch Schmedes Zukunft. Der Osnabrücker Sportdirektor hat sich mit seinen sonst so gelungenen kreativen Lösungen ligaweit einen Namen gemacht. Inzwischen folgten jedoch zwei Fehlbesetzungen auf dem Trainerposten, eine größer als die andere. Kommt es zum Abstieg erhält auch Schmedes Profil erste kleine Kratzer. Die Lösung für Schmedes und Osnabrücks Probleme ist seit Montagmorgen quasi arbeitslos und trägt den Namen Daniel Thioune.
Thioune ist nicht nur aufgrund seiner Familie, sondern auch persönlich weiterhin eng mit dem VfL verbunden. Seine Aura als Trainer ist eine ganz andere als die eines Markus Feldhoff. Thioune macht an der Seitenlinie mehr Meter als so mancher VfLer in den vergangenen Wochen auf dem Platz. Thioune kann eine ganze Mannschaft mitreißen – und die Fans, derzeit leider nur vor dem Bildschirm, gleich mit dazu. Thioune wird den VfL-Pulli ganz sicher noch irgendwo nicht allzu tief in seinem Kleiderschrank hängen haben. Und Thioune ist einer, der mit seinem Engagement an der Seitenlinie auch die Kritiker wieder in seinen Bann ziehen kann, die ihm den HSV-Wechsel mit knackiger Aussage bisher übel nehmen. Kurz gesagt: Thioune wäre es, der dem VfL Osnabrück wieder dringend benötigten Puls einhauchen könnte. Thioune ist der perfekte VfL-Trainer.
Lieber heute als morgen
Thiounes unklare vertragliche Situation dürfte eine Reunion mit dem VfL jedoch wesentlich erschweren. Sein neuerlicher Bekanntheitsgrad wohl ebenfalls. Doch wenn es im Fußball noch irgendwo weit abseits von Superligen und reichen Scheichen etwas Romantik gibt, dann beim VfL an der Bremer Brücke. Um einen Anruf bei Thioune kann Benjamin Schmedes in der aktuellen Situation eigentlich gar nicht herumkommen. An einen Klassenerhalt unter Feldhoff schwindet zunehmend der Glaube, ein Rückschritt in die Drittklassigkeit täte nicht nur finanziell sondern eben auch sportlich weh. Ob jetzt oder zur neuen Saison: Die optimale Lösung hieße Daniel Thioune, und zwar lieber heute als morgen.
Realistisch betrachtet dürfte es nur wenigen gelingen, die lila-weißen Jungs wieder zu erwecken. Ein Klassenerhalt unter Markus Feldhoff? Schwieriges Thema. Ob in Liga zwei oder in Liga drei, allerspätestens nach dieser Saison muss an der Seitenlinie eine Veränderung her. Feldhoff fehlt nicht nur die Erfahrung an der Seitenlinie, sondern auch die Emotionen, um eines Tages an einer ausverkauften Bremer Brücke zu coachen. Thioune hätte beides – und könnte noch dazu bei seinem Projekt, eine gestandene Zweitligatruppe zu entwickeln, da ansetzen, wo er vor rund einem Jahr aufgehört hat. Ein Anruf Schmedes bei Thioune muss her, ein Trainer Thioune an der Seitenlinie wäre die Ideallösung. Besser jetzt im Abstiegskampf, als zum Neubeginn in der nächsten Saison unabhängig von der Liga.
Daniel Thioune zu Zeiten als VfL-Trainer (Archivbild: Dieter Reinhard)