Die neue niedersächsische Corona-Schutzverordnung ist da – und bringt schon wieder so einiges neues mit in unsere corona-geprägte Welt. Alleine aus all den neuen Begrifflichkeiten, die die Corona-Pandemie inzwischen in unseren Alltag hat einfließen lassen, könnte man vermutlich einen eigenen Corona-Duden verfassen. Bereits die ganzen Indikatoren zur Bewertung der Corona-Lage könnten ein eigenes kleines Kapitel füllen: Wer zum Beispiel erinnert sich noch an den anfänglich R-Wert? Die 7-Tage-Inzidenz wird unterdessen wohl noch länger aktuell bleiben und nun kommen eben auch Hospitalisierung und die prozentuale Auslastung der Intensivbetten mit Corona-Patienten dazu. Wohl dem, der für letzteres noch eine Abkürzung findet. Muss das wirklich alles sein?
Ein Kommentar von Maurice Guss
Ja, muss es, sage ich. Aber es hätte schon viel früher für Klarheit gesorgt werden können und wahrscheinlich sogar müssen. Mit der neuen Corona-Verordnung wurden zwei neue Indikatoren eingeführt, die schon vor Wochen und Monaten von allen Seiten gefordert wurden. Hospitalisierungsrate: Wie viele Personen gemessen auf 100.000 Einwohner sind im Durchschnitt in den vergangenen sieben Tagen mit einer Covid-Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert worden? Sinnvoller Maßstab! Prozentuale Auslastung der Intensivbetten mit Covid-Patienten: Wie viele aller Intensivbetten sind aktuell mit Covid-Patienten belegt? Kann man was mit anfangen!
Aber warum erst jetzt? Gut, die Pandemie hat sich verändert, die Erkenntnisse aus ihr ebenfalls, aber auf all die Verwirrung durch sich regelmäßig verändernde und überall verschieden angewandte Werte und Ziffern, hat diese neue Verordnung quasi ein besonders großes i-Tüpfelchen draufgesetzt.
Mit etwas Mühe war es mir dann doch tatsächlich möglich, einen gewissen Durchblick durch die neuen Indikatoren und Warnstufen zu gewinnen. Und siehe da: Diese Indikatoren und Warnstufen sind, ich deutete es bereits an, durchaus gut durchdacht. Aber: Mein großer Vorteil war, dass ich einen Artikel darüber verfassen musste, um den Leserinnen und Lesern der HASEPOST die neuen Vorschriften etwas näher zu bringen. Mir blieb quasi gar nichts anderes übrig als diese Regeln irgendwie zu verstehen, ich musste es sozusagen. Und ganz ehrlich: Es hat mir keinen Spaß gemacht, da einen Durchblick durch zu erhalten, nach all den Regelungen und Regeländerungen der vergangenen Wochen und Monaten. Und ich kann jede und jeden verstehen, der sich nach dem Lesen der halben Erklärung der neuen Indikatoren und Warnstufen durch das Land gedacht hat, „Ach, leck mich doch am A…!“.
Für so sinnvoll ich diese neuen Indikatoren und Warnstufen auch halte, wer soll denn durch dieses ganze Hin und Her noch durchblicken? Bis Dienstag war alles so, seit Mittwoch so, Landkreis macht da 3G, Stadtgebiet dort 2G, Niedersachsen will aber hier 3G, die Online-Generation will 5G, das deutsche Netz verspricht meistens gar kein G. Gut wir sind vom Thema abgekommen, aber wo soll das alles hinführen? Nochmal, ich halte die neuen Indikatoren und Warnstufen für gut und richtig, aber die corona-müde Bevölkerung ist mit ihrem Corona-Latein allmählich am Ende.
Warum nicht früher?
Warum ist das Land erst jetzt in der Lage eine solche Corona-Verordnung zu erlassen? Warum nicht schon zwei, gerne drei Verordnungen früher? Warum nicht früher mit ein oder zwei klar definierten Warnstufen mehr als jetzt? Dass die Bewältigung der Corona-Pandemie ein sich entwickelnder Prozess ist, wird dem Großteil klar sein, aber für solche Maßstäbe wie jetzt hat man allen Ernstes weit über ein Jahr gebraucht? Wer war da am Werk? Der Fauli Schlumpf? Warum nicht eine ähnliche Verordnung mit erweiterten Warnstufen und gleichen Indikatoren weitaus früher?
Nun hat man Indikatoren und Warnstufen, die geeignet und angemessen sind, dazugewonnen, dafür aber vermutlich wieder einen gewissen Prozentsatz an Bürgern verloren, die dem neuen Corona-Wirrwarr jegliche Aufmerksamkeit verweigern. Und gleichzeitig wirbt ein Bundesgesundheitsminister für mehr Aufklärung, genau mein Humor.
Dann wären da noch die neuen Regelungen..
Ach, zwischen Indikatoren, Warnstufen, Werten und Zahlen wären beinahe die neuen Regelungen an einem vorbeigegangen. Mehr 2G gilt von nun an. Einerseits: Über 90% der impfberechtigten Osnabrücker sind inzwischen geimpft, die Zahl der Impfunwilligen ist hier vor Ort wahnsinnig gering. Gut für die Gastronomen, den VfL, die Kulturfreunde, die ihre Locations unter 2G-Bedingungen nun wieder nahezu zum Normalzustand führen können und deren Kasse nun wieder deutlich häufiger klingeln dürfte. Andererseits: Die neue Corona-Verordnung ist die stärkstmögliche Keule gegen diejenigen wenigen, die sich immer noch unsicher bei der Frage nach der Impfung sind. Und nein, ich meine nicht diejenigen, die unerreichbar sind.
Ich möchte die Regelungen selber nicht beurteilen, aber: Wenn ich wirklich das Impftempo landes- und bundesweit wieder hochfahren und die Ungeimpften, bei denen noch Hoffnung besteht, auf den letzten Metern überzeugen möchte, dann ist dieser Schritt grenzwertig. Statt mehr Versuche zur Aufklärung oder ein besseres Aufeinanderzuegehen zu starten, hat man sich dazu entschieden zu sagen „Impf dich oder du musst ’ne zeitlang zuhause bleiben“. Sei mal dahingestellt, ob das wirklich so wirksam ist. Das ist kein Wink mit dem Zaunfall, sondern ein dumpfer Schlag auf den impfunsicheren Hinterkopf.
Ja, wir müssen den Weg zur Normalität gehen, und ja, eine deutliche Mehrheit (hier in Osnabrück eine noch deutlich größere Mehrheit als sonstwo) wird diesen nun gegangenen Schritt begrüßen, aber die vollständig verunsicherten und eventuell noch erreichbaren Ungeimpften erreicht man so nicht.
Schritt Richtung Normalität
Halten wir fest: Sinnvollen Indikatoren und Warnstufen steht seit der neuen Corona-Verordnung so einiges gegenüber. Sie ist ein Fluch und ein Segen zugleich. Mit 2G macht ein Großteil der Bevölkerung einen großen Schritt Richtung Normalität, aber die impfunsicheren Bürgerinnen und Bürger bleiben dabei außen vor. Aber der Schritt wurde jetzt vom Land Niedersachsen gegangen. Das Land geht damit ein zusätzliches großes Risiko: Künftig ein Schritt weg von der Richtung Normalität zu machen, dürfte auch im oft corona-reicheren Winter kaum zu vermitteln sein. Aber immerhin ist ja auch unser Bundes-Spahn einige wenige Tage vor Bundestagswahl plötzlich optimistisch, dass der Freedom Day schon früh im nächsten Jahr kommen könnte!
Corona (Symbolbild) / pixabay