Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, der Herausgeber arbeitet sich gerne an dem geplanten (XXL-) Einkaufscenter ab.
Heute veröffentlicht I-love-OS einen Leserbrief, der es leider nicht in die NOZ geschafft hat, aber dafür bereits zur Einleitung des vergangenen Heimatabends (12.07., “Rauschen ums XXL-Einkaufszentrum”) von Kalla Wefel vorgetragen wurde.
Vielen Dank an Reinhard Stiehl, der nicht nur einen sehr lesenswerten Text verfasste, sondern auch diesem bescheidenen Lokal-Blog die Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben hat. Nun aber der Leserbrief “Neuer Graben, alte Gräben:
“Manchmal lohnt ein Blick in die Osnabrücker Geschichte, um aktuelle Probleme in einen größeren Zusammenhang zu stellen, vielleicht besser zu verstehen und möglicherweise sogar lösen zu können. Die aktuelle Diskussion um den Neumarkt ist so ein Problem.
Wenn man sich die Geschichte Osnabrücks ansieht wird deutlich, dass der Neumarkt exakt die Schnittstelle zwischen der Altstadt und der Neustadt ist. Mit „Altstadt“ ist hier aber nicht das Viertel gemeint, das heute gemeinhin als Altstadt bezeichnet wird, also der Bereich zwischen Heger Tor und Dom bzw. von der Dominikanerkirche bis zum Nikolaiort. In der Osnabrücker Historie reichte die Altstadt bis zum Neuen Graben, der lange Zeit auch ein Wassergraben war und die Altstadt sichtbar von der Neustadt trennte.
Zwar schlossen sich Alt- und Neustadt schon 1307 zusammen, „damit Eintracht herrsche und die Trennung der Bürgerschaften keine Zwietracht säe”, aber ein paar Jahre später (1348) bauten sich die Neustädter Bürger sogar ihr eigenes Rathaus und südlich des heutigen Neumarkts entwickelte sich eine prächtige und florierende „Neustäter Straße“, die damals erst ab der Johanniskirche Johannisstraße hieß. (Das Neustädter Rathaus wurde zwar früher erbaut als unser heutiges Rathaus, aber es wurde keine 500 Jahre alt. 1814 wurde es „privatisiert“.)
Osnabrücks Neuer Graben zwischen Altstadt und Neustadt ist also ein sehr alter Graben. Und das wohl nicht nur im historischen, sondern auch im übertragenen Sinn. Der Versuch, diese „gefühlte“ Grenze mit dem Neumarkttunnel sozusagen zu „untergraben“, schlug fehl. Keine 50 Jahre nach seiner Eröffnung wird der Tunnel wieder verfüllt. Die Gräben bleiben offen – zumindest solange die West-Ost-Schneise Neuer Graben, Neumarkt, Wittekindstraße nicht durch eine geschlossene Nord-Süd-Verbindung zwischen Nikolaiort und Rosenplatz ersetzt wird. Aber das würde ein völliges Umdenken in der Stadtplanung bedeuten. Der Neumarkt wäre dann Fußgängerzone oder Plaza. Und möglicherweise nicht nur kommerziell genutzt.
Damit ist nicht zu rechnen. Denn längst haben sich Oberbürgermeister und Stadtrat zu Erfüllungsgehilfen mächtiger Immobilienfürsten degradieren lassen: Dieter Rauschen auf der einen, Dr. Theodor Bergmann auf der anderen Seite.Und auch hier lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher. Seit dem Mittelalter haben in Osnabrück die Kaufleute, und allen voran die Tuchhändler, das Sagen. Auch daran hat sich nicht viel geändert. Früher saßen sie noch selbst im Stadtrat, heute haben sie ihre Leute dafür. Rauschens Textilkaufhaus L+T ist ein überdimensionaler moderner Tuchhandel und auch Bergmann entstammt einer Textilkaufmanns-Familie: das „Haus Bergmann“ (heute H&M) und „Thomas Kleidung“ (heute „Sportarena“) sind älteren Osnabrückern noch ein Begriff. Bergmann scheiterte mit dem Textilhandel und konzentriert sich seitdem auf die Vermarktung seiner Immobilien, während Rauschen sein Reich immer weiter ausdehnt.
Die Fehde zwischen Rauschen und Bergmann bestimmt mittlerweile die städtebauliche Zukunft des Osnabrücker Zentrums. Die letzte Kommunalwahl geriet in Osnabrück fast zur Volksabstimmung über den Neumarkt, obwohl weder Volk noch Stadtrat in dieser Sache überhaupt etwas ausrichten können. Denn die Entscheidung des Stadtrates für eine „große Lösung“ am Neumarkt wird zur Farce angesichts der „vorbeugenden“ Immobilienkäufe des „Altstädters“ Rauschens in der „Neustädter“ Johannisstraße. Nun herrscht über Jahre Stillstand und das bedeutet bekanntlich Rückschritt.
Bergmann wird dagegen halten. Und beide – Rauschen und Bergmann – werden die Osnabrücker Innenstadt am Ende unter sich aufteilen, wenn man sie politisch nicht daran hindert.4,3% Prozent der Osnabrücker Bürger besitzen 37,5% des Gesamtvermögens, über 50% der Einwohner Osnabrücks nur etwa 10%. Diese Zahlen stammen aus dem Jahr 1437.”
Reinhard Stiehl
Illustration: Google