Guten Abend,
seit dem 01. November 2015 müssen Menschen in Deutschland, die eine neue Wohnung beziehen, sich von ihrem Vermieter eine sogenannte „Wohnungsgeberbestätigung“ ausstellen lassen. Der Grund ist ein neues und bundesweit einheitliches Meldegesetz. Denn in Deutschland herrscht allgemeine Meldepflicht. Wer umzieht ist verpflichtet, seine neue Anschrift der Meldebehörde vor Ort mitzuteilen. In Osnabrück ist die zuständige Meldebehörde das Bürgeramt im Stadthaus.
Neben der Vorlage einer „Wohnungsgeberbestätigung“ ist in Osnabrück auch das persönliche Erscheinen des „Wohnungsnehmenden“ bei der Anmeldung eines Wohnungswechsels verpflichtend.
Das ganze läßt sich nicht online erledigen. Einer guten Bekannten von mir ist dabei folgendes passiert: Sie wohnte viele Jahre mit ihrer Mutter, die mittlerweile schon über 80 Jahre alt ist, in einem Hochhaus im Osnabrücker Stadtteil Gartlage. Weil in diesem Hochhaus aus pekuniären Gründen immer mehr Wohneinheiten in Wohngemeinschaften für Studenten umgewandelt wurden und damit einhergehend von morgens bis abends ein relativ hoher Lautstärkepegel im Haus herrschte, hatte die Mutter den dringlichen Wunsch nach einem Wohnungswechsel hin in eine ruhigere Gegend. Mutter und Tochter beschlossen deshalb, in den Stadtteil Wüste zu ziehen, wo die beiden schon ihre jeweilige Kindheit verbracht hatten. Zum Glück fand sich dort schnell ein passendes Domizil und Anfang November dieses Jahres ging dann der Umzug reibungslos über die Bühne. Ein paar Tage später ging die Tochter zum Stadthaus, um ihre Mutter und sich umzumelden, so wie sich das für ordnungsliebende Deutsche schließlich gehört. Dieser Vorgang gestaltete sich allerdings schwieriger als erwartet. Da die Mutter stark gehbehindert ist, hatte sie ihrer Tochter eine Vollmacht ausgestellt, damit diese in ihrem Namen die Ummeldung vollziehen konnte. Das wurde aber von der zuständigen Sachbearbeiterin im Stadthaus nicht akzeptiert. Verordnung ist schließlich Verordnung, und persönliches Erscheinen heißt persönliches Erscheinen, da nützt auch die beste Vollmacht nichts. Der Hinweis der Tochter, daß ihre Mutter wirklich sehr starke Probleme mit ihrem Bewegungsapparat hat, führte nicht zu einer einvernehmlichen Lösung.
Die Sachbearbeiterin machte folgendes Angebot: der behandelnde Arzt sollte an Stelle der Mutter zusammen mit der Tochter im Bürgeramt erscheinen und die starke Gehbehinderung der Mutter bezeugen. Im Anschluß würde dann ein Mitarbeiter des OS-Teams zusammen mit der Tochter in die neue Wohnung fahren, um sich davon zu überzeugen, daß die Mutter dort auch wirklich wohnt.
Selbst ein Teilerfolg ihres Termins beim Bürgeramt wurde der Tochter verwehrt. Denn da sie die neue Verordnung zur Vorlage einer„Wohnungsgeberbestätigung“ bei einer Ummeldung nicht kannte, hatte sie diese natürlich auch nicht bei sich und konnte noch nicht einmal sich selbst in der neuen Wohnung anmelden. Unverrichteter Dinge mußte sie das Stadthaus verlassen. Nach einem Gespräch mit ihrer Mutter entschieden sich die beiden dafür, mit tatkräftiger Unterstützung eines guten Bekannten einen erneuten Besuch im Bürgeramt zu machen. Den behandelnden Arzt wollten sie für eine im Grunde doch recht profane Sache wie eine Wohnungsummeldung nicht extra bemühen. Und eine „Wohnungsgeberbestätigung“ wurde vom Vermieter auch problemlos ausgestellt. Alles schien auf ein Happy End hinauszulaufen, lediglich getrübt von dem Umstand, daß der Mutter auch noch eine Woche nach ihrem Besuch im Stadthaus die Beine furchtbar weh taten. Aber nun hatte alles endlich seine Ordnung gefunden, und die beiden durften von nun an in Ruhe und Frieden und gemäß den Bestimmungen des deutschen Meldegesetzes in ihrer neuen Wohnung in der Wüste leben.
Ich finde diesen Vorgang skandalös. Abgesehen von dem schrecklichen Wort „Wohnungsgeberbestätigung“, das sich wohl irgendein von der eigenen Kreativität beseelter Beamter in Berlin ausgedacht haben wird und das für mich einen Rückfall in die feudalen Zeiten des Mittelalters bedeutet („Vermieterbescheinigung“ hätte es doch auch getan!), ist das ungebührliche Verhalten der Sachbearbeiterin im Bürgeramt durch nichts zu entschuldigen. Ein Bürgeramt sollte für seine Bürger da sein und bei der Bewältigung der Herausforderungen des Alltags helfen. Dabei darf es auch gerne mal etwas unbürokratischer zugehen. Das deutsche Meldegesetz ist in den vergangenen Monaten durch zahlreiche Neubürger mit offensichtlicher Duldung der Bundesregierung so oft mißachtet und umgangen worden, daß es mich doch verwundert, mit welcher Akribie im Osnabrücker Bürgeramt bei zwei Menschen, die ihr ganzes Leben in dieser Stadt verbracht haben, vorgegangen wird. Was wäre denn wohl geschehen, wenn sich die Tochter geweigert hätte, mit ihrer gehbehinderten Mutter und einer „Wohnungsgeberbestätigung“ noch einmal in das Stadthaus zurückzukommen? Laut deutschem Meldegesetz ist es eine Ordnungswidrigkeit, wenn die neuen Bestimmungen nicht eingehalten werden. Meldet sich ein Mieter nach einem Umzug nicht binnen zwei Wochen beim Einwohnermeldeamt, riskiert er eine Strafe von bis zu 1.000 Euro. Hier zeigt der deutsche Staat eine Entschlossenheit, die man sich von ihm in anderen Bereichen oft wünscht. Ich glaube allerdings, daß er damit die falschen Menschen trifft. Im Grunde scheint unser ganzes Leben eine einzige Ordnungswidrigkeit zu sein, die wir aber dahingehend korrigieren können, daß wir möglichst genau die Vorschriften und Regeln einhalten, die uns vom Staat auferlegt werden. Ob das alles sinnvoll und angemessen ist, lasse ich jetzt mal dahingestellt sein. Mit jeder neuen Vorschrift, mit der die Bürger malträtiert werden, stirbt ein Stück Freiheit. Bis irgendwann nichts mehr davon da ist. Egal, Hauptsache, die „Wohnungsgeberbestätigung“ wird rechtzeitig vorgelegt.
Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Adventswochenende, an dem es ausnahmsweise mal nichts zu mösern gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Ihr
Justus Möser
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