Osnabrück braucht Wohnraum, die Stadt will dem Mangel mit neuen Baugebieten begegnen – auch im Bereich des Schinkelbergs an der Windthorststraße. Das Gebiet, das hier erschlossen werden soll, liegt aber nicht nur an einem der letzten ländlichen Orte in Osnabrück, sondern auch direkt in einer Kaltluftschneise. Nach einem Gutachten könnte die Bebauung der Fläche für eine Temperaturerhöhung von bis zu sieben Grad sorgen – trotzdem beharrt die Stadt Osnabrück auf ihren Plänen.
Aktuell wird die Fläche an der Windthorststraße größtenteils landwirtschaftlich genutzt und bietet einen einzigartigen Blick auf den Schinkelberg. Auch die Kleingartenanlage und der kleine See im südöstlichen Teil des Baugebiets laden in den Sommermonaten zum Spazieren zwischen grünen Bäumen ein. Doch das könnte sich bald ändern: 2018 hat der Rat der Stadt Osnabrück beschlossen, ein neues Wohngebiet im Stadtteil Schinkel-Ost zu bauen. Das Plangebiet liegt zwischen Schinkelbergstraße, BAB 33, Sportanlage am Gretescher Weg und Backhausbreite / Gesamtschule Schinkel und ist insgesamt etwa 22 Hektar groß.
Das Problem: Das Wohngebiet soll direkt in einer Kaltluftschneise liegen. Solche Schneisen liegen eher am Stadtrand, sind nur wenig bebaut und sorgen für eine Kaltluftzufuhr bis in die Innenstadt.
Fläche mit hoher bioklimatischer Bedeutung
„Die vorhandene Wohnsiedlungsstruktur soll nördlich und südlich der Windthorststraße durch eine Mischung aus Einfamilienhäusern und Geschosswohnungsbau ergänzt werden. Dabei sollen die beiden entstehenden Siedlungsbereiche selbständige Nachbarschaften mit einem eigenen städtebaulichen Gewicht bilden“ heißt es im Bebauungsplan Nr. 620, der auf der Internetseite der Stadt Osnabrück einsehbar ist. Dass diese Planungen mit dem Stadtklima kollidieren, ist der Verwaltung durchaus bewusst. Im Flächennutzungsplan 2001 wird festgehalten: „Der Änderungsbereich fungiert als Kaltluftentstehungsgebiet und wird bei entsprechenden Wetterlagen von einem hohen Kaltluftvolumenstrom überströmt. Die Stadtklimaanalyse (2017) weist der Fläche von daher eine sehr hohe bioklimatische Bedeutung mit einer entsprechenden Empfindlichkeit gegenüber einer Nutzungsintensivierung zu. Eine Bebauung würde zum einen ein Strömungshindernis darstellen und zum anderen die Funktion als Kaltluftentstehungsgebiet einschränken. Eine deutliche Beeinträchtigung des Kaltluftprozessgeschehens im Osten der Stadt könnte die Folge sein.“
Stadt plant trotz Warnung des Gutachters
Die negativen Folgen eines Wohngebiets an genau dieser Stelle hat auch der Gutachter Peter Trute von Geo-Net aus Hannover bei der letzten Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) am 25. Juni 2020 bestätigt: Die Bebauung des Gebiets unterhalb des Schinkelbergs könnte dafür sorgen, dass sich die Stadttemperatur in einigen Bereichen um bis zu sieben Grad erhöht. Trotz des schwerwiegenden Einwands beharrt die Stadt Osnabrück auf dem Bebauungsplan 620.
Noch befinden sich sowohl Flächennutzungs- als auch Bebauungsplan im frühzeitigen Verfahren. In einer Bürgerbeteiligung können Osnabrücker also noch Stellung zu den Plänen der Stadtverwaltung beziehen.
Bürgerbeteiligung läuft noch – Investor schon an Bord
Um sich gegen den Bebauungsplan auszusprechen, kamen am Mittwoch, den 22. Juli 2020, über 200 Anwohner des Schinkels und aus der Umgebung an der Gesamtschule Schinkel zusammen. Die Stadt Osnabrück plante hier eine Bürgerinformation – hatte aber anscheinend nicht mit einem solchen Andrang gerechnet. Weder Oberbürgermeister noch Stadtbaurat ließen sich bei der Informationsveranstaltung blicken, auch eine Mikrofonanlage wurde vergeblich gesucht.
Für Irritationen sorgt ein Investor aus Münster, der trotz laufender Bürgerbeteiligung mit der Beplanung des Gebiets beschäftigt ist.
Viele Anwohner, darunter Birgitt Potthoff, ehemalige Bewohnerin des Stadtteils Schinkel-Ost, wollen die Entscheidungen der Stadtverwaltung nicht auf sich beruhen lassen. Am Freitag, den 31. Juli 2020, findet deshalb das erste Treffen der Bürgerinitiative „Naturnaher Schinkel“ statt.
Crowdfunding für mehr Grün in der Stadt
„Wir wollen nicht in einem feindlichen Verhältnis zu der Stadt stehen, sondern der Bauplanung einen anderen Vorschlag unterbreiten“, berichtet Potthoff im Gespräch mit unserer Redaktion.
„Bei unserem ersten öffentlichen Treffen am kommenden Freitag um 18:30 Uhr bei der Gesamtschule Schinkel wollen wir dann auch unser Crowdfunding-Projekt vorstellen.“ Ziel der Initiative ist es nicht nur den Bebauungsplan 620 zu stoppen, sondern auch das betroffene Landstück mit Spenden „zurückzukaufen“. Nach dem Erwerb soll es dem NABU übergeben werden, der dann etwa Blühwiesen oder Hundewiesen einrichten kann. Sollte das Projekt scheitern, werden die Spendenbeträge zurückerstattet. Die Diplombiologin Potthoff schließt das Gespräch deswegen mit einer klaren Ansage: „Wir werden kämpfen. Die Verwaltung muss sich jetzt entscheiden: Wollen wir wirklich die ganze Stadt bebauen, oder wollen wir, dass unsere Enkelkinder später auch noch Orte zum Spielen und Spazieren haben?“