Der VfL verlor in einem ebenso denkwürdigen wie verrückten Spiel gegen den SV Wehen Wiesbaden sang- und klanglos 2:6 und steckt nun mitten im Abstiegskampf. Alles andere wäre Schönfärberei.
Vor dem Spiel
Der heutige Spieltag stand auch unter dem Motto Inklusion, so waren Angehörige der Osnabrücker Werkstätten im Service, im Fanshop und bei den Stadionsprechern im Einsatz. Eine tolle Aktion.
Was das Coronavirus angeht: Aktuell gab es keine Empfehlungen seitens der Gesundheitsbehörde, die sich auf den Spieltag ausgewirkt hätten, lediglich in den Stadionzugängen, den sogenannten Mundlöchern, wurden Spender mit Desinfektionsmitteln angebracht.
Das Hinspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden ging bereits 2:0 verloren. Nach dieser Partie vom 27.09.2019 stabilisierten sich die Wehener Stück für Stück und hoffen nun, den Abstiegskampf doch noch erfolgreich bestehen zu können.
Vor dem heutigen Spiel spürte man die angespannte Stimmung unter den Zuschauern: „Heute geht es nicht nur um etwas, sondern um sehr viel!“, rief mir ein Freund zu. Und die Floskel vom Sechspunktespiel machte die Runde. Nach sieben sieglosen Spielen in Folge war die Hoffnung auf eine Trendwende überall fast physisch spürbar.
Doch der Druck liege bei Wehen, sagte Thioune auf der Pressekonferenz am Mittwoch und wies darauf hin, dass der VfL an diesem Spieltag weder absteigen, noch aufsteigen und auch nicht die Liga erhalten werde. Die Verfolger könnten dem VfL allenfalls etwas näher auf die Pelle rücken …
Der VfL startet mit einem Paukenschlag …
Die Aufstellung des VfL mit einigen Überraschungen: Für Ajdini, Ouahim, Taffertshofer und van Aken standen Álvarez, Gugganig, Köhler und Schmidt in der Startelf.
Der SV Wehen trat mit derselben Mannschaft an, die am letzten Spieltag nur knapp mit 1:0 in Bielefeld verloren hatte.
Die Wehener hatten bei Nieselregen und ungemütlichen äußeren Bedingungen im zitronengelben Trikots Anstoß und spielten zunächst auf die Ostkurve zu.
Dann der Paukenschlag in der 3. Minute: Schmidt zieht einen Freistoß aus 40 Metern von halbrechts auf den zweiten Pfosten. Dort reagiert Álvarez am schnellsten und setzt den Ball im Fallen akrobatisch unter die Latte. Der Ball springt zurück und Girth drückt das Runde mit dem Kopf über die Linie. Riesenjubel im engen Rund.
Wehen antwortet mit eins, zwei, drei, vier, fünf Paukenschlägen …
Wehens Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die VfL-Abwehr gerät bei einem eigentlich harmlosen Angriff der Gäste völlig ins Schwimmen. Irgendwann angelt sich der bullige Schäffler den Ball, schaltet am schnellsten und befördert das Kunstleder zum 1:1 ins kurze Eck.
Kurz darauf reagiert die desolat wirkende VfL Abwehr nicht rechtzeitig auf einen genialen Pass in die Tiefe des Strafraums von Mrowca auf Schäffler, der quer nach links auf Dittgen passt, der den Ball aus drei, vier Metern nur noch über die Linie drücken muss. Es steht 1:2.
Wer nun dachte, langsam kehre Ruhe ins Abwehrspiel des VfL ein, sah sich getäuscht. Dittgen flankt von links in den Osnabrücker Strafraum. Agu rutscht bei einer Abwehraktion unglücklich aus, sodass Aigner ungehindert den Ball zum 1:3 einnicken kann.
Wegen des völlig von der Rolle spielenden Agu sah sich Thioune zu einem frühen Wechsel genötigt und schickte für ihn Wolze aufs Feld. Der führte sich gleich mit einem Ausrutscher à la Agu ein: Aigner ergattert den Ball, spielt ungehindert auf den links lauernden Schäffler, der das Spielgerät ohne Mühe ins leere Tor schießt. Dieses 1:4 sah wie der Treffer in einem Trainingsspiel aus.
Der VfL kam zwar nach diesem unverhofften Totalausfall der ersten 25 Minuten etwas besser ins Spiel, doch der fünfte Paukenschlag der Wehener ließ nicht lange auf sich warten: Álvarez verstolpert den Ball im Mittelfeld, der Wehener Kyereh schnappt sich den Ball, marschiert ungehindert bis zur Strafraumkante und zieht ab. Kühn kann den Ball nur abprallen lassen und Schäffler staubt aus drei Metern zum 1:5 ab.
Zur Versöhnung kurz vor Abpfiff das 5:2 durch Heyer: Wolze kämpft sich auf der linken Seite bis zur Grundlinie, passt in die Mitte, Girth verpasst, doch der auf den zweiten Pfosten zustürmende Heyer drückt den Ball über die Linie.
Halbzeitfazit
Der VfL fing mit einem Paukenschlag zum 1:0 an und setzte dann die schon bei St. Pauli zu beobachtende katastrophale Abwehrleistung fort. Wehen erzielte innerhalb von 20 Minuten vier Tore und auch danach wirkte die VfL-Abwehr alles andere als sattelfest.
Das Publikum blieb trotz der miserablen Leistung erstaunlich gefasst und richtete seine Wut in erster Linie gegen den Schiedsrichter, der Mrowca nach einem Foul vom Platz hätte stellen und ein anderes Mal einen Elfmeter hätte pfeifen können. Für das verheerende Spiel war er aber bestimmt nicht verantwortlich.
Tipp: Die Halbzeitgedanken, eine Melange aus Hintergrundinformation und Kommentar, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Sie fallen hin und wieder recht knapp, manchmal aber auch sehr ausführlich aus. Wem das Lesen der Halbzeitgedanken zu mühselig ist: Ganz einfach weiter nach unten scrollen, dort geht es dann mit dem aktuellen Spielbericht weiter.Halbzeitgedanken: Dazu gehörende Halbzeitgedanken: Etwas abwegige Halbzeitgedanken: Abschweifende Halbzeitgedanken: |
Beide Teams wechseln
Bei Wehen ersetzte Kuhn den stark rot-gelb gefährdeten Mrowca, beim VfL wurde Köhler durch Ajdini ersetzt.
Der VfL kam nun etwas besser ins Spiel, doch Wehen hatte die zwingenderen Chancen. Die VfL-Fans feuerten ihren Verein unverdrossen an und nach Chancen von Ajdini und Álvarez keimte etwas Hoffnung auf.
Das Publikum lud seinen Frust immer häufiger am Schiedsrichter aus, der seine Sache mittlerweile eigentlich ganz ordentlich machte. Wehen verwaltete nun das Ergebnis und der VfL rannte immer wieder hilflos gegen die recht stabil stehende Abwehr des SV Wehen Wiesbaden an.
Der VfL blieb auch in der zweiten Hälfte harmlos …
Der schwere, seifige Boden machte auch in der zweiten Halbzeit den Osnabrückern offenbar mehr zu schaffen als den Wiesbadenern. Unerklärliche Fehlpässe, kaum eine zwingende oder nennenswerte Aktion und immer drohte ein weiterer Konter der Wehener.
In der 78. Minute ein Lattenknaller von Wolze, der den Ball über Freund und Feind hinweg von links auf das Tor schlenzt, war aus VfL-Sicht der Höhepunkt der zweiten Halbzeit.
Und dann die endgültige Demütigung in der 91. Minute: Kyereh versenkt einen Lattenabpraller von Schwede gnadenlos zum 2:6.
Fazit
Nach einer vom VfL desolat geführten Partie gegen einen konterstarken Gegner, der auch offenbar die geeigneteren Stollen unter den Fußballschuhen hatte, geht der Sieg der Wehener völlig in Ordnung. Für den VfL startet nun der Anfang vom Ende der schwierigen Schlussphase dieser Saison.
Faszinierend war das Verhalten der Fans nach dem Schlusspfiff, die Mannschaft und Trainer mit Applaus feierten.
Wofür?
Nun, dafür, dass der VfL bis auf die vergangenen Spiele eine großartige Leistung über die gesamte Saison hinweg gezeigt hat. Die Mannschaft muss sich nun kräftig schütteln und den Abstiegskampf annehmen. Das wird ihr gelingen, davon ist der Schreiber dieser Zeilen bei aller Enttäuschung überzeugt.
Am kommenden Freitag geht es an der ausverkauften Bielefelder Alm zum nächsten Saisonhöhepunkt. Ein Dreier für den VfL auf der Alm dürfte beim Tabellenführer zwar jenseits aller kühnsten Träume sein, aber möglich ist eben wirklich alles im Fußball.
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: 15.469, davon etwa 40 aus Wiesbaden Tore: VfL Osnabrück: Kühn – Heyer, Trapp, Gugganig – Köhler (46. Ajdini), Schmidt, Blacha (75. Heider), Agu (22. Wolze) – Álvarez, Girth, Hennning SV Wehen: Lindner – Mrowca (46. Kuhn), Mockenhaupt, Dams, Röcker, Schwede – Chato – Aigner (84. Titsch Rivero), Kyereh, Dittgen – Schäffler (78. Tietz) Schiedsrichter: Benedikt Kempkes (Thür) Statistik: |
Tabellarisches
Der VfL hält wie immer den zweiten Platz in der Kickerformtabelle, allerdings mit nachlassender Bewertung (Note 3,26). Der SV Wehen Wiesbaden war vor dem Spiel auf Platz 17 mit der Note 3,72.
Tatsächlich trat der VfL als Tabellenelfter des 24. Spieltags gegen den 17. aus Wiesbaden an, beide Teams trennten sieben Punkte voneinander. Nach dem Spiel sind es nur noch 4 Punkte, die genauen Tabellenstände wird es erst nach dem Montagsspiel geben.
Titelfoto: imago images / Revierfoto