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Türchen 18: Lillies erster geschlagener Weihnachtsbaum

Opa Willi kümmert sich um den Weihnachtsbaum.

Im HASEPOST-Adventskalender erwartet unsere Leserinnen und Leser täglich bis zum 24. Dezember abwechselnd entweder eine fortlaufende Osnabrücker Weihnachtsgeschichte oder das Weihnachtsfest einer anderen Kultur. Wir wünschen euch (trotz aller Krisen) eine schöne und besinnliche Zeit! 

Familie Bremkers macht sich auf in den Wunderwald

Bei den Bremkers ist eine der ersten Amtshandlungen im Dezember das Baumschmücken, um lang genug etwas vom Lichterglanz zu haben. Bärbel hat das genau aus dem Grund eingeführt, weil sie sich das als Kind damals immer gewünscht hatte. Denn ihre Eltern stellten erst kurz vorm Fest, manchmal sogar noch am Weihnachtsmorgen den Baum auf. Und dort stand er maximal bis Silvester, denn spätestens dann hatten die Erwachsenen keine Lust mehr auf Weihnachten und wollten „frisch“ ins neue Jahr. Seit Bärbel sich ein eigenes Leben aufgebaut hat, heißt es also: Am 1. Dezember steht der Baum.

In der Regel stammt der Bremkersche Baum vom Bauernhof nebenan. Das klassische selbstständige Schlagen des Baumes kennt Lillie bisher also gar nicht. Gut, dass sie heute mit Oma Gerda und Opa Willi im Wald einen Baum für die Großeltern schlägt. Dafür müssen sie ein ganzes Stück fahren, denn im Landkreis Osnabrück gibt es nur einige wenige Stellen, an denen das möglich ist. Nach etwa 30 Minuten Autofahrt sind sie endlich da. Vor Lillie erstreckt sich ein dunkelgrünes Meer an Tannen.
„Wow“, entfährt es ihr. „Und wie finden wir da den richtigen Baum?“
„Das merken wir dann einfach“, meint Oma Gerda. „Ein paar wichtige Merkmale gibt es natürlich vorher schon: Er darf nicht zu groß und nicht zu breit sein, sonst passt er nicht ins Wohnzimmer. Und er sollte nicht zu sehr nadeln.“
In der Zwischenzeit hatte sich Opa Willi durch die Menschentraube zu dem kleinen Häuschen am Eingang durchgeschlagen. „Was macht er da?“, fragt Lillie und zeigt auf ihren Opa.
„Er besorgt uns eine Axt. Irgendwie müssen wir den Baum ja fällen.“
Willi winkt ihnen mit der Axt in der Hand. „Da geht’s lang“, ruft er ihnen entgegen und zeigt mit seinem Handschuhfinger hinter sich. Das lässt Lillie sich nicht zweimal sagen und flitzt voran. Kurzzeitig verlor sie ihre Großeltern aus den Augen und hatte schon Angst, alleine den Weg aus dem Tannenwald nicht zu finden, doch dann tauchte Oma Gerdas orange Pudelmütze über einem Tannenzweig auf. Glück gehabt.

Nachdem sie ein kleines Stück gegangen waren, zeigt Oma Gerda auf einen scheinbar wahllosen Baum. „Den finde ich schön“, meint sie.
„Wegen meiner“, brummte Opa Willi.
Lillie schüttelte energisch den Kopf. „Nein, der sieht aus wie alle anderen. Wir brauchen einen besonderen Baum!“
„Ok, dann zeig mir mal einen“, fordert ihre Oma sie auf.
Lillie lässt ihren Blick über die Bäume schweifen, biegt einmal scharf links ab und bleibt dann vor einer etwas kümmerlich wirkenden Tanne stehen. „Der gefällt mir.“
„Der?“, fragt Oma Gerda entsetzt. „Aber wieso das denn? Der hat doch so wenig dichte Äste und auch noch zwei Spitzen.“
„Ja und?“, erwidert Lillie. „Das macht ihn doch zu etwas besonderem, denn er sieht nicht so aus wie alle anderen Bäume!“
Zweifelnd wirft Oma Gerda einen Blick zu ihrem Mann herüber. Der hebt nur entschuldigend die Axeln. „Ich finde ihn auch in Ordnung, ist mal was anderes.“
„Das kann man wohl sagen“, sagt Oma Gerda noch nicht vollends überzeugt. Sie denkt noch einen Moment lang nach und lässt dann die Schultern sinken. „Na gut.“
Die drei machen sich daran, den Baum zu fällen. Nach zehn Minuten liegt die Tanne auf dem Boden und Opa Willi reibt sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn.
„Und nächstes Jahr wächst hier dann wieder ein Baum, Opa?“
Willi lacht. „Nein, so schnell geht das nicht. Das dauert noch einige Jahre.“
Lillie schaut ihn entsetzt an: „Wie? Die Bäume werden hier gepflanzt, wachsen so lange und dann fällen wir sie, damit sie für ein paar Tage im Wohnzimmer stehen?“
„Ja, mein Engel, so ist es.“
„Warum machen wir denn sowas?“
Opa Willi zuckt mit den Schultern. „Tradition.“

So langsam ist Lillie sich nicht mehr sicher, ob alle Tradition so gut sind, wie sie sind, oder ob sie nicht mal langsam einer kleinen Überarbeitung bedurften.

Mehr von Lillie gibt es in Türchen 20 wieder zu lesen.


Hier geht es zu allen bislang erschienenen Teilen unserer Osnabrücker Weihnachtsgeschichte und hier zu den Artikel über das Weihnachtsfest einer anderen Kultur.


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Jasmin Schulte
Jasmin Schulte
Jasmin Schulte begann im März 2018 als Redakteurin für die Hasepost. Nach ihrem Studium der Germanistik und der Politikwissenschaft an der Universität Vechta absolvierte sie ein Volontariat bei der Hochschule Osnabrück. Weitere Stationen führten sie zu Tätigkeiten bei einer lokalen Werbeagentur und einem anderen Osnabrücker Verlag. Seit März 2022 ist Jasmin Schulte zurück bei der HASEPOST und leitet nun unsere Redaktion. Privat ist Jasmin Schulte als Übungsleiterin tätig, bloggt über Literatur und arbeitet an ihrem ersten eigenen Roman.

  

   

 

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