Dieser Artikel erschien zuerst im Silence-Magazin. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung ihn für unsere Kolumne Trinkenstied übernehmen zu dürfen.

AFP

„Wo blEIbt Ihr?“

Es ist Samstag, 21 Uhr. Ich stehe in einem kleinen aber feinen Klub in meiner Stadt. Im Hintergrund läuft „Killers“ von IRON MAIDEN. Um mich herum lungern 10 Nasen an der Bar auf Hockern, oder stehen draußen und verzehren ihr mitgebrachtes Bier. In knapp 30 Minuten spielen 2 Bands aus Brasilien – die für 2 Konzerte in Deutschland extra halt auf ihrer Tour gemacht haben – sowie eine lokale Band. Es wurde ausgiebig Werbung in den digitalen Medien mit Plakaten, sowie Flyern gemacht. Und doch werden es nicht mehr als 20 Leute sein, von denen die Hälfte erst beim Headliner aufkreuzt, um den Eintritt zu bezahlen. Der Rest stand, während der Opener sich redlich bemühte, draußen und ignorierte gekonnt 1 Stunde lang feinsten Metal, anstatt das volle Paket zu nutzen.

Doch kaum ist der Obolus gelöhnt, steht der Hauptact sogleich vor der nächsten Hürde. Ein großer Halbkreis bildet sich vor der Bühne, nennen wir es das „U“, der sich bis zum Ende des Konzertes nicht schließen wird. Fast alle stehen teilnahmslos am Rand, wippen skeptisch mit ihren Füßen. Nur 6 Menschen, 4 davon auf der Bühne, lassen ihrer Laune freien Lauf und schütteln ihr Haupthaar. Immerhin sind ein paar Seelen vom Sofa aufgestanden, haben sich unter Menschen begeben und sehen jetzt exotische Bands aus Übersee. Für einen lachhaften Preis von gerade einmal 5 Euro. Ihre Freunde, die vor dem Rechner weiter gammeln, ärgern sich im Nachhinein, dass sie etwas Großartiges verpasst haben. Nämlich:

Eine tolle unbekannte brasilianische Metalband

FÜR 15 EURO HABE ICH DEN AUFTRITT ERLEBT, EINE CD UND EIN T-SHIRT GEKAUFT. MEHR LEISTUNG GEHT NICHT! ABER DAS NUR AM RANDE.

Das von mir beschriebene Szenario ist kein Märchen, nicht aus einem meiner erfolgslosen Bücher (da ich keine schreibe), sondern die bittere Realität.

Jenes Beispiel wurde zum Teil aus erlebten Konzerten zusammengebastelt. Solche Situationen sind immer ein Graus für den Veranstalter, die Bands, den Ruf der Stadt, und natürlich für die Szene, in der wir mehr oder weniger einen großen Teil unseres Lebens verbringen. Mich beschäftigt dieser Gedanke seit Jahren, traurigerweise ist es nicht immer nachvollziehbar, wie sowas möglich ist.

Fangen wir aber mal von vorne an

Wir leben heute mehr denn je in einer Zeit, in der das Angebot für neue Alben, neue Bands oder neue Festivals
immer mehr zunimmt, ja sogar den Fan überflutet. In einem früheren Artikel erwähnte ich, dass ungefähr 150 bis 200 neue Alben PRO MONAT erscheinen. Wohlgemerkt nur im Rock oder Metal!
Dies allein stellt sich schon als Mammutprojekt heraus. Ich wüsste gar nicht, was ich davon alles neu entdecken soll, geschweige denn kaufen möchte. Also bleibe ich bei altbekannten Bands, die seit Jahren in meinem Regal stehen, und fahre dementsprechend zu Konzerten dieser Bands. Spielt dann noch ein Interpret ständig an jeder Steckdose, trübt das sowieso meine Laune, jedes mal so eine Veranstaltung wahrzunehmen.

So viel Publikum wie hier bei der Maiwoche ist die Ausnahme.
So viel Publikum wie hier bei der Maiwoche ist die Ausnahme.

Hier liegt der Hase im Pfeffer

Mein Anspruch an neue Bands misst sich mit dem der alten. Einer unbekannten Band eine Chance zu geben, sie zu unterstützen, ohne sie zu kennen, ist gering. Das lässt sich wunderbar auf das oben gezeigte Beispiel anwenden. Viele Leute sehen die Werbung für solche Konzerte in ihrer Stadt, aber besuchen sie nicht. Oft sind es Gründe wie: mangelnde Finanzen, feststehende Termine, Arbeit.

ODER ABER DER SATZ: „OCH NEE! DIE BANDS KENN ICH NICHT! WAS, WENN DIE MIR NICHT GEFALLEN? IST NICHT GANZ MEIN GESCHMACK.“

Bei so einer Aussage bekomme ich Plaque! Nicht weil es mich stört, dass meine Mitmenschen andere Termine haben, oder kein Geld für solche Veranstaltungen. Sondern weil sie übersättigt sind vom Überangebot. Weil sie des Konzertes müde geworden sind. Was der Bauer nicht kennt … Das ist doch keine dauerhafte Lösung, oder? Wie soll denn eine unbekannte Band ein Stück weit bekannter werden, wenn ihnen keiner zuhört? So mancher Abend nahm eine unverhoffte Wendung, wo die Vorband und nicht der Headliner meine Kohle einheimste, weil er einfach besser war. Das kann euch entgehen, wenn ihr zu Hause noch vorglühen wollt und solche Gelegenheiten sausen lasst. Trinken könnt ihr auch im Klub. Ich muss erwähnen, dass ich mit Absicht bei Konzerten nicht reinhöre, somit gibt es so gut wie keine Erwartungen, und zur Not lerne ich immer neue Leute kennen (wenn ich denn Lust darauf habe).

Ich möchte, soweit es geht, hungrig bleiben und nicht die Routine Überhand gewinnen lassen

Wer so eine Meinung vertritt wie ich, muss auch mit Gegenwind rechnen. Vor ungefähr 2 Monaten hatte ich eine Diskussion darüber. Das Ende vom Lied war, dass meine Person als „naiver Gutmensch“ gebrandmarkt wurde. Also antwortete ich süffisant:

„ICH BIN DER SAMARITER UND SONST KEINER. NUR ICH KANN DIE SZENE IN MEINER STADT VOR DEM AUSSTERBEN RETTEN. DESWEGEN BESUCHE ICH KONZERTE. NICHT WEGEN DER MUSIK ODER DER MENSCHEN. NEE, DAS WÄRE LANGWEILIG. SO ETWAS MACHT MAN NUR WEGEN DEM IMAGE UND DER SELBSTAUFWERTUNG.“

Ein wenig übertrieben, ich weiß, aber keiner von euch braucht sich schlecht vorkommen, wenn er mit Herzblut in Konzerten ein Ventil, sowie Gleichgesinnte findet.

Wie kann man (Du) diesem Malheur entgegenwirken?

Indem ihr eure 4 Buchstaben zu einem Ort schwingt, wo Konzerte stattfinden. Habt keine Angst davor enttäuscht zu werden, dass allein beeinflusst eure Erwartungen schon immens. Geht pünktlich los, der Veranstalter muss sonst die Spielzeiten nach hinten verschieben, oder gar kürzen. Hört euch die Vorbands an, danach könnt ihr immer noch eure Meinung darüber kundtun, dass es euch nicht so gefallen hat. Habt Respekt vor dem Aussterben von Klublandschaften, und somit auch Konzerten. Denn es passiert schon in eurer Nähe. Und wenn es dann zu spät ist, müsst ihr im schlimmsten Fall lange Wege für einen Auftritt auf euch nehmen, um Bands zu erleben. Keine schöne Vorstellung, oder? Das merken sich auch die Musiker, sie spielen weniger in der eigenen Umgebung, oder meiden sie komplett. Zeigt ihnen Präsenz und dass die Stadt, in der ihr lebt, noch nicht tot ist.

Eine Sache noch: Bitte bildet kein „U“ vor der Bühne, das sieht grauenhaft aus, wenn man AUF der Bühne steht.


Hier nochmals die URL zum ursprünglichen Erscheinungsort dieses Artikels beim Silence Magazin (Autor: „Hannes“).