Einen regelrechten “Lebenslauf” von Annette Niermann findet man online nicht und selbst im Karrierenetzwerk LinkedIn beginnt das öffentliche Leben der grünen Kandidatin für den Chefsessel im Osnabrücker Rathaus erst mit ihrer Wahl zur Bürgermeisterin in Bad Iburg im Jahr 2014.
Schaut man sich an, wie die noch als Bürgermeisterin in Bad Iburg tätige Niermann sich selbst präsentiert und von ihrer Partei beworben wird, findet man kleine Tricksereien, die so wohl besser auch nicht in einem regulären/chronologischen Lebenslauf stehen sollten.
Dabei kann Annette Niermann durchaus auf eine interessante Vita verweisen. Puzzelt man sich die verschiedenen Stationen auf dem Weg zur Kandidatin – zum Beispiel aus den Informationen in Pressemitteilungen der Osnabrücker Grünen oder von der Homepage der OB-Bewerberin – zusammen, erhält man einen Lebenslauf, der interessante Aspekte aufzeigt. Ein früher Auszug aus dem Elternhaus mit 18 Jahren macht neugierig, lässt aber auch Fragen offen. Wurde zum Beispiel der Besuch des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums (KKG) auch regulär mit einem Abitur abgeschlossen? Presseartikel aus dem Wahljahr 2014 lassen vermuten, dass das wohl nicht der Fall gewesen sein könnte.
Und auch wenn die Kandidatin das nicht auf ihrer Homepage für erwähnenswert hält, scheinen auch die Osnabrücker Ursulaschule und die Realschule in Bad Iburg zur schulischen Laufbahn der Kandidatin zu gehören. Auslassungen und Petitessen natürlich im Vergleich zur Grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, von deren Lebenslauf inzwischen wohl mehr Varianten bekannt sind, als darauf überhaupt einzelne Stationen zu finden sind.
In Bad Iburg gar nicht als Grüne Bürgermeister-Kandidatin zur Wahl angetreten
Auf www.niermann2021 erfährt der geneigte Leser – mangels eines chronologischen Lebenslaufs in viel Prosa verpackt –, dass Niermann bereits 2001 für die Ökopartei in Bad Iburg kandidierte, zuerst erfolglos, dann aber schon im Folgejahr in den Stadtrat der nur wenig mehr als 11.000 Einwohner zählenden Gemeinde nachrücken konnte.
Über den Kreistag (2006) ging es dann geradlinig auf das Bad Iburger Rathaus zu. Im Februar 2014 wurde Niermann in ihrer Heimatstadt zur Bürgermeisterin gewählt. Was auf der Kandidtenhomepage allerdings unerwähnt bleibt: Im Wahlkampf 2013/2014 trat sie in Bad Iburg als “unabhängige” Kandidatin auf, schielte womöglich auch auf die Unterstützung von FDP und SPD, die dann aber lieber doch den CDU-Wettbewerber bzw. einen eigenen Kandidaten unterstützen.
Obwohl Niermann 2014 in Bad Iburg als Unabhängige angetreten war, jubelten die Niedersachsen-Grünen in einer noch online verfügbaren Pressemitteilung, sie sei damit “die erste grüne Frau an der Spitze eines Rathauses in Niedersachsen”. Ein Superlativ, der sich dann wohl ein wenig verselbständigte.
Anlässlich der OB-Kandidaten-Vorstellung im Januar wurde bei der politisch wohlgesonnenen linksalternativen taz daraus “2014 wird sie Bürgermeisterin von Bad Iburg, als erste Grüne in Niedersachsen” um dann schließlich auf der Kandidatenhomepage von Annette Niermann in einer neuen Variante noch ein wenig konkreter zu werden. Nach eigener Darstellung wurde die Bad Iburgerin 2014 demnach “zur ersten Bürgermeisterin mit grünem Parteibuch in Niedersachsen”.
Grüne Bürgermeisterinnen gab es in Niedersachsen schon 2011
Erste Grüne Bürgermeisterin in Niedersachsen? Stimmt das so? Google und Wikipedia helfen weiter. Schon nach kurzer Internetrecherche stellt sich heraus: Bereits 2011 wurde im beschaulichen Dannenberg (Elbe) eine Elke Mundhenk mit grünem Parteibuch zur Bürgermeisterin gewählt.
“Das wird wohl so sein”, sagt Mundhenk im Gespräch mit unserer Redaktion selbst bescheiden dazu, dass sie vermutlich die erste Grüne Bürgermeisterin in Niedersachsen war.
Die ehemalige Bürgermeisterin von Dannenberg meint allerdings, es hätte vielleicht noch in Ostfriesland auch vor ihr vielleicht schon eine grüne Parteifreundin einen Bürgermeisterposten inne gehabt. Sie selbst, die 2016 das Amt schon wieder räumte, nimmt die Auszeichnung “erste” rückblickend aber auch nicht so wichtig wie ihre Parteifreundin aus Bad Iburg – und sie war wohl auch nicht die einzige grüne Bürgermeisterin im Jahr 2011.
Im gleichen Jahr übernahm mit Gabriele Schaffartzik im ostniedersächsischen Waake eine weitere grüne Frau ein Bürgermeisteramt – drei Jahre bevor Annette Niermann in Bad Iburg als Unabhängige (aber mit entsprechendem Parteibuch) gewählt wurde.
“Hauptamtlich” soll den Unterschied machen
Wie kommen dann die oben zitierten Aussagen zustande? Wir fragten Anfang der Woche bei der OB-Kandidatin nach, wie die Aussage “erste Bürgermeisterin mit grünem Parteibuch in Niedersachsen” gemeint sei?
“Ich bin im Februar 2014 in Bad Iburg als erste hauptamtliche
Bürgermeisterin mit grünem Parteibuch in Niedersachsen gewählt worden.
Hauptamtlich in Abgrenzung zur ehrenamtlichen Ausübung des
Bürgermeister*innen-Amtes”
…präzisiert Niermann nun, was zuvor von ihr selbst, ihrer Partei und der taz unkonkret in den Raum gestellt wurde – der wichtige Zusatz “hauptamtlich” fiel bislang immer unter den Tisch.
Erste Frau als Rathauschefin in Osnabrück?
Auch zu einer weiteren eher falschen denn richtigen Aussage nimmt Annette Niermann auf Nachfrage unserer Redaktion Stellung. So forderten die Osnabrücker Grünen in einer Pressemitteilung im Januar, dass Niermann, sollte sie im Spätsommer gewählt werden, “dass mit Niermann die erste Frau [in Osnabrück] Rathauschefin wird”.
Nun ja, von 1985 bis 1991 stellte die CDU mit Ursula Flick die Oberbürgermeisterin und damit die Person, die allgemein als “Rathauschefin” gemeint ist. Auch hier sind es nachträgliche Spitzfindigkeiten und Verweise auf die Feinheiten der Niedersächsischen Kommunalverfassung, mit der diese plakative Aussage nachträglich geradegerückt werden soll:
Niermann: “Ursula Flick war in ihrer Zeit nicht Rathauschefin, sondern diese Aufgabe oblag dem damaligen Oberstadtdirektor. Frau Flick hatte in
diesem Sinne lediglich repräsentative Aufgaben. Wie Sie wissen, wurde
mit der Änderung der niedersächsischen Kommunalverfassung im 1996 der
Aufgabenbereich der/des Oberbürgermeister*in um die Verantwortlichkeit
des Oberstadtdirektors erweitert”.
Kommentar des Redakteurs
Na, ob Ursula Flick das selbst wohl auch so gesehen hat? Ob die Osnabrücker Bürgerinnen ihre oft auch “Uschi” genannte und sehr beliebte Oberbürgermeisterin tatsächlich nur als weiblichen Grüß-August wahrgenommen haben?
Natürlich hatte der damalige Oberbürgermeisterposten vor allem repräsentative Aufgaben. Aber Chef oder Chefin im Rathaus, ist und war – unabhängig von den Feinheiten der Kommunalverfassung – immer der Oberbürgermeister – oft verkürzt zu Bürgermeister bzw. Bürgermeisterin.
Und egal ob in Dannenberg oder Bad Iburg. Bürgermeister ist Bürgermeister.
Wenn Annette Niermann als Kandidatin meint, dass “hauptamtlich” den Unterschied macht, dann sollte sie das auch kenntlich machen. Alles andere ist in meinen Augen Trickserei und meiner Ansicht nach durchaus vergleichbar mit dem seltsamen Realitätsverlust einer Annalena Baerbock, die sich auch mit erstaunlichen Attributen schmückte, die einer genaueren Betrachtung nicht standhielten.
Ich jedenfalls finde es traurig, dass auch die OB-Kandidatin der Osnabrücker Grünen meint sich mit Spitzfindigkeiten vermeintliche Superlative basteln zu müssen. Der Wähler und interessierte Osnabrücker Bürger muss sich zudem noch den Lebenslauf der Grünen-Kandidatin aus allerlei interpretationsbedürftiger Textwüste selbst zusammenreimen. Das geht besser und die Bürger dieser Stadt haben ein Anrecht darauf konkrete Informationen über die OB-Kandidaten zu erhalten, die nicht erst noch hinterfragt werden müssen. Es geht ja eben tatsächlich um eine “hauptamtliche” Stelle, für die es schon gewisse Qualifikationen braucht – einfach nur Frau und irgendwo mal “erste” gewesen zu sein, reicht da nicht aus!
Hier die Lebensläufe der OB-Kandidaten der beiden anderen großen Parteien: Katharina Pötter (CDU), Frank Henning (SPD). Chronologisch und nachvollziehbar aufbereitet, wie es der Wähler erwarten darf.