„Da hat jemand die Demokratie nicht verstanden.“ Mit deutlichen Worten fasst Dr. Thomas Thiele zusammen, wie der von den Grünen gestellte Osnabrücker Ratsvorsitzende in der vergangenen Ratssitzung die Debatte um einen Antrag der Osnabrücker Liberalen abwürgte.
Es waren nicht allein die Zwischenrufe, mit denen die Vertreter der Grünen und der SPD den FDP-Kommunalpolitiker Robert Seidler eindeckten, auch nicht das demonstrative Wegdrehen des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Volker Bajus, sondern vor allem die vom Vorsitzenden Michael Hagedorn vorgetragene Bitte an die Ratsmitglieder, sich zu diesem Tagesordnungspunkt doch bitte nicht mehr zu melden.
Zwischenrufe, persönliche Anfeindungen, das Ignorieren des politischen Gegners und das demonstrative Verlassen des Ratssitzungssaals während eines Redebeitrags, das alles gehört zum Repertoire des „Schauspiels“ der monatlich stattfindenden Ratssitzungen, doch die Äußerungen des Ratsvorsitzenden haben nach Ansicht des FDP-Fraktionsvorsitzenden eine ganz neue Qualität im Niveau-Limbo der Kommunalpolitik erreicht.
Ratsvorsitzender wollte nicht mehr über FDP-Antrag diskutieren lassen
Michael Hagedorn, der bevor er das Amt des Ratsvorsitzenden einnahm, selbst lange Jahre Fraktionsvorsitzender der Ökopartei war, forderte in der vergangenen Ratssitzung die Mitglieder aller Fraktionen auf, keine Diskussion über einen von der FDP eingebrachten Antrag zur Abschaffung der Umweltzone in Osnabrück aufkommen zu lassen.
Das Thema sei, so Hagedorn, bereits ausführlich im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) behandelt worden. Somit, so jedenfalls die deutlich zu erkennende Ansicht Hagedorns, habe man darüber in der Ratssitzung lediglich noch abzustimmen und die Beschlussempfehlung des Ausschusses ohne Diskussion zu bestätigen.
Thiele: Bürger muss verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen
Von einer derartigen Ratsarbeit, bei der in der Ratssitzung nur noch durchgewinkt wird, was in den deutlich kleiner besetzten Ausschüssen vorab diskutiert wurde, hält Dr. Thiele nichts: „Der Bürger muss verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen.“
Thiele sieht durch das Abwürgen von Ratsdebatten die Öffentlichkeit darum betrogen, nachvollziehen zu können, wie es zu politischen Entscheidungen kommt.
Zwar seien auch die Ausschusssitzungen, mit Ausnahme des Verwaltungsausschusses (VA) grundsätzlich öffentlich, aber tatsächlich würden sich nur wenige Bürger in die oft auch noch parallel tagenden Ausschüsse verirren und auch die Presse könne nicht jede im Vorfeld der Ratssitzung stattfindende Fachdiskussion vermitteln. Zudem, so Thiele, wird nur die Ratssitzung, nicht aber die Sitzungen der Ausschüsse, über das Internet an eine potentiell größere Gruppe der Osnabrücker Bürger gestreamt.
Auch Einzelmitglieder und kleine Fraktionen werden benachteiligt
Aber auch die Ratsmitglieder der kleinen Fraktionen bzw. die Einzelmitglieder wie zum Beispiel Kalla Wefel (die Partei) oder Viktor Jersch (AfD) würden so von der Willensbildung ausgeschlossen, da sie überhaupt nicht in den Fachausschüssen beteiligt wären. Auch die FDP, die sich zusammen mit der UWG zu einer Gruppe zusammengeschlossen hat, sei nicht in allen Ausschüssen präsent.
Daher, so Thiele, müsse der Rat und vor allem auch der Ratsvorsitzende akzeptieren, dass die Ausschüsse lediglich vorbereiten, was abschließend im Rat beschlossen und auch diskutiert wird.
Dass der einzige Redebeitrag vonseiten der Befürworter der Beibehaltung der Umweltzone durch die SPD-Fraktionsvorsitzende Susanne Hambürger dos Reis sich ausschließlich um ihren Wunsch nach einem früheren Ende der Ratssitzung drehte, also völlig am Thema vorbei war, kritisiert der FDP-Politiker ebenfalls: Hier wäre der Ratsvorsitzende gefordert gewesen einzugreifen.
Grüne vor Landtagswahl nicht mehr offen für sachliche Debatten?
Thomas Thiele zeigte sich zudem zu einem anderen Tagesordnungspunkt erschüttert über das Demokratieverständnis der Osnabrücker Grünen. Im Verlauf der Debatte um den Vorschlag, zukünftig allen Geflüchteten kostenlose Busfahrten anzubieten, hatte Anke Jacobsen (Grüne) die ablehnende Haltung ihrer Fraktion damit begründet, dass auch andere Fluchtgründe als Krieg für den Flüchtlingsstatus und damit auch das Angebot von Gratis-Busfahrten geltend gemacht werden sollten.
Obwohl die FDP daraufhin anbot, den entsprechenden Passus in ihrem Antrag zu ändern und damit der vorgebliche Grund, weshalb die Grünen nicht zustimmen wollten, entfallen wäre, stimmten die Grünen schließlich gegen den Antrag.
„Wir sind gerade im Vorwahlkampf in Niedersachsen“, ist die Erklärung die Thomas Thiele für die verhärteten Fronten, aber auch „sie glauben, sie hätten eine unglaubliche Mehrheit bei der vergangenen Kommunalwahl erzielt, die nutzen sie jetzt voll aus“.
Grüne und SPD gegen jeden Vorschlag, der nicht aus den eigenen Reihen kommt?
Ähnliche Vorwürfe gegen die Mehrheitsgruppe von Grünen und SPD/Volt gab es im Verlauf der Ratssitzung auch von der CDU.
Diese hatte die Einrichtung einer Fahrradstraße in der Windhorststraße (Schinkel) gefordert. Die Fundamentalopposition gegen diesen Vorschlag quittierten einige CDU-Ratsmitglieder resigniert mit Aussprüchen wie „die sind nur dagegen, weil der Vorschlag von uns kommt“.
Titelfoto: Ratssitzung, Archiv Hasepost