Eine 30-Zone, wie es unser Titelbild suggeriert, soll Osnabrück nicht werden, aber auf bis zu drei zentralen Straßenabschnitten – vorgesehen sind der Schlosswall/Johannistorwall, die Martinistraße und die Iburger Straße – soll für vorerst drei Jahre ein Tempolimit eingeführt werden.

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„Grundsätzlich“ war der Entschluss an einem Modellversuch für innerstädtisches Tempolimit teilzunehmen schon im März gefallen, doch die Verwaltung musste erst noch weitere Details erarbeiten. In der letzten Sitzung vor dem Jahresende sorgte das überraschende Ausscheren eines Ratsmitglieds für Stress bei den Limit-Befürwortern aus der Regenbogenkoalition.

Bei der Ratssitzung im Frühjahr stand neben den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, der SPD, der FDP und der Linkspartei auch noch der Name des UWG-Vertreters Wulf-Siegmar Mierke unter dem Antrag, der die Verwaltung mit vorbereitenden Schritten beauftragte.
Doch Mierke erklärte in der Dezember-Ratssitzung, offenbar ohne die anderen Parteien vorab zu informieren, nun nicht mehr für den Modellversuch zur Verfügung zu stehen.

Im März beauftragten die bunt zusammengewürfelten Regenbogenparteien gemeinsam die Verwaltung zu prüfen, ob und wie die Stadt Osnabrück an einem Modellversuch „Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen“ des Landes Niedersachsen beteiligen könne. In der am Dienstag zur Abstimmung vorliegenden Vorlage der Verwaltung, werden Teile des Walls (Schlosswall/ Johannistorwall), die Martinistraße und die Iburger Straße als mögliche Teststrecken für das Tempolimit als geeignet definiert.

Bekommt Osnabrück den Zuschlag für die Teilnahme an dem Modellversuch, wird sich das Land an den Kosten beteiligen, allerdings wird auch die Stadt Teile der Kosten, zum Beispiel für die Überwachung der Geschwindigkeitsbegrenzung, tragen müssen. Für die voraussichtlich dreijährige Dauer des Modellversuchs sind auch Bau- und Umbauarbeiten an den Straßenabschnitten ausgeschlossen.

Die Tempolimit-Mehrheit war plötzlich knapp

Die Mehrheit drohte an diesem Dienstagabend überraschend zu wackeln. Aus Reihen der Grünen war auch ein „Judas“-Ruf zu hören, gerichtet gegen den einstigen Mitstreiter Mierke, der nun Sachargumente für seine Entscheidung gegen den Tempolimit-Versuch ins Feld brachte.

Dr. Michael Kopatz war nach der überraschenden Ankündigung des UWG-Politikers schnell an den Sitz des Abtrünnigen herübergelaufen und redete minutenlang auf diesen ein. Doch vergeblich, Mierke blieb seiner Ankündigung treu. Allerdings stimmte der mit der UWG eine Fraktion bildende Pirat Nils Elmers, wie von den Fahrrad-Ideologen erwartet.

BOB warnt vor Folgen für die Innenstadt

Vor der Abstimmung machte Kerstin Albrecht (BOB) deutlich, dass Erfahrungen aus anderen Modellprojekten gegen die Sinnhaftigkeit eines verordneten Tempo 30 Limits in der Innenstadt sprechen würde; was allerdings sicher sei: Die Funktion und das Funktionieren der Innenstadt wird dadurch massiv gefährdet.
Eine Lärmminderung von lediglich zwei Dezibel, die bereits in fünf Meter Entfernung nicht mehr wahrnehmbar sei, konnte bei ähnlichen Tests als einziges Ergebnis festgestellt werden, so Albrecht. Eine Verbesserung der Luftqualität sei durch das Ausbremsen des Verkehrs jedoch nicht feststellbar. Um wirklich nachweisbar bessere Abgaswerte zu erreichen, müssten Autos möglichst ohne Stau fahren, ein Tempolimit sei eher kontraproduktiv, so Albrecht.

Stadtbaurat hat Folgen nicht simulieren lassen

An den ebenfalls bei der Ratssitzung anwesenden Stadtbaurat Frank Otte gerichtet, warf die BOB-Politikerin diesem vor, dass er sich im Vorfeld nicht um eine Simulation der Auswirkungen gekümmert habe und dieses Versäumnis auch noch offen zugeben würde.
Das Verhalten von Otte sei auch in dieser Angelegenheit wie beim Neumarkt: „Es wird etwas beschlossen um erst danach die Folgen zu analysieren“.

Grüne: Kürzerer Bremsweg mindert Unfallfolgen

Für die Tempolimit-Befürworter argumentierte Dr. Michael Kopatz (Grüne), dass ein Expertengremium des Bundesverkehrsministeriums sich einstimmig für Tempo 30 in der Innenstadt ausgesprochen habe. Der Lärm würde deutlich reduziert und es würde sich bei Tempo 30 der Bremsweg gegenüber Tempo 50 halbieren. Nachdem innerhalb kürzester Zeit zwei Osnabrücker auf der Martinistraße von PKW angefahren und schwer verletzt wurden, sei dies die richtige Maßnahme um Unfallfolgen zu vermindern. Dass bei den beiden fraglichen Unfällen nicht die Geschwindigkeit der beteiligten Autos sondern Alkohol bzw. ein Rotlichtverstoß ursächlich waren, räumte allerdings der Grünen-Politiker selbst ein.

SPD/FDP: Gegner sind Lobbyisten und mutlos

SPD-Verkehrsexperte Heiko Panzer warf den Limit-Gegnern vor, sie würden keine Sicherheit wollen und auch nichts ausprobieren. Dies sei die Folge von „Lobbyarbeit aus Windschutzscheiben-Perspektive“.

Auch die FDP-Ratsfraktion konnte sich – wie schon im Frühjahr – für die Verbotsbefürworter begeistern. Den Gegnern, so Oliver Hasskamp, fehle der Mut für neue Ideen, zum Beispiel einen Kreisverkehr [nicht nur für LKW, die Redaktion] in der Innenstadt.

CDU: Lobbyarbeit für die Osnabrücker Bevölkerung

Auf den zuvor von Heiko Panzer geäußerten Lobbyismus-Vorwurf entgegnete Katharina Pötter: „Wir betreiben Lobbyarbeit für den Großteil der Osnabrücker Bevölkerung“.
Grundsätzlich habe mein kein Problem mit Tempolimits, „da wo es Sinn macht“, zum Beispiel am Nonnenpfad, aber nicht auf dem Wall oder der Martinistraße.
Ohnehin sei es die meiste Zeit schwierig in der Innenstadt flüssig zu fahren, aber wenn es mal möglich ist, wird kaum ein Osnabrücker das Verständnis für so eine Maßnahme haben, so Pötter.

Griesert will Bürger nicht zu Versuchskaninchen machen

Vor der Abstimmung meldete sich auch Oberbürgermeister Wolfgang Griesert zu Wort: „Wir leben in einer digitalen Welt und wir sollten so etwas vorher digital simulieren und nicht Bürger zu Versuchskaninchen machen“, richtete er seine Kritik recht direkt an den Stadtbaurat und die vom ihm versäumte Beauftragung einer Folgen-Simulation.
Da neben einem Wall-Abschnitt und der Iburger Straße auch die Martinistraße dem Verkehrsministerium für den Test angeboten werden soll, könne es bei der ab dem kommenden Jahr geplanten Sperrung der Rheiner Landstraße zu erheblichen Verkehrsproblemen kommen, mahnte der Oberbürgermeister.

Gegen die Stimmen von CDU, BOB, UWG und des Oberbürgermeister wurde die Verwaltungsvorlage angenommen.