Im Studium gilt der Grundsatz der Chancengleichheit. Alle Personen, die ein Studium beginnen, sollen in Universitäten und Hochschulen die gleiche Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss haben. Manche Menschen brauchen dabei weniger und andere mehr Hilfe. Studierende mit körperlichen Einschränkungen und chronischen Krankheiten können ohne Unterstützung schnell auf der Strecke bleiben – Grund genug nachzuhaken, wie es um die Barrierefreiheit an Universität und Hochschule Osnabrück steht.
Gebäude, Informationsquellen und alltägliche Gegenstände sind dann barrierefrei, wenn sie gleichermaßen von allen Menschen ohne fremde Hilfe und ohne besondere Erschwernis genutzt werden können. Stichwort ist an dieser Stelle die Chancengleichheit: Unabhängig von körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen sollen alle Personen möglichst gleiche Lebens- und Ausbildungsmöglichkeiten haben. Für ein Studium ist das sogar in §3 Abs. 1 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes verankert. Doch wie setzen Universität und Hochschule Osnabrück das in der Praxis um?
Uni Osnabrück: 28 von 73 Gebäuden nicht barrierefrei
Zunächst eine Bestandsaufnahme der Universität Osnabrück: Am Campus Innenstadt und am Westerberg gibt es insgesamt 73 universitäre Gebäude. Davon sind 28 nicht barrierefrei zugänglich – hierzu gehören auch Lager- und Verwaltungsräume. 48 Gebäude liegen ebenerdig oder haben eine Rampe für Rollstuhlfahrende und sind damit zumindest im Erdgeschoss barrierefrei; dabei verfügen nur 33 Gebäude über WCs für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Immerhin ein Gebäude mehr und damit insgesamt 34 haben einen Fahrstuhl. Viele Räume innerhalb der Gebäude bleiben für Personen mit Rollstuhl also dennoch nicht ohne externe Hilfe erreichbar. Lediglich 23 Gebäude haben eine automatische Eingangstür. Für Personen mit einer Sehbehinderung ist es ohne Unterstützung fast unmöglich, ihren Weg durch die Universität zu finden. Akustische Unterstützung gibt es in vier Gebäuden – einen taktilen Lageplan findet man nur in der Bereichsbibliothek am Westerberg, eines der modernsten Bauten. Über die Barrierefreiheit einzelner Gebäude informiert ein interaktiver Lageplan.
Baujahr bestimmt Barrierefreiheit
Ob und wie barrierefrei die Gebäude sind, hängt maßgeblich mit ihrem Baujahr zusammen. Während viele der älteren Objekte nicht über Aufzüge oder elektronische Türen verfügen, nimmt das Thema gerade bei Neubauten einen besonderen Stellenwert ein – etwa bei dem neuen Studierendenzentrum sowie der noch laufenden Neugestaltung des Mensavorplatzes und der Schlossterrasse. Barrierefreiheit ist hier sogar vom Gesetzgeber vorgeschrieben. Stehen Renovierungsarbeiten an alten Gebäuden an, sorge die Universität hier mit Nachbesserungsmaßnahmen für einen barrierefreien Zugang. „Müssen aus Brandschutzgründen Haupteingangstüren getauscht werden, werden diese dann mit einem elektronischen Türöffner versehen, sodass eine Öffnung für Menschen mit Beeinträchtigung erleichtert wird“, erklärt die Pressesprecherin der Universität Osnabrück Frieda Berg.
Kerngeschäft Nachteilsausgleich
Wie viele Menschen mit körperlicher oder seelischer Beeinträchtigung an der Universität Osnabrück studieren, wird laut Berg nicht systematisch erfragt. Die Beauftragte für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung Christine Kammler erreichen pro Jahr etwa 60 bis 80 Anfragen. Hier handele es sich jedoch häufig um Mehrfachkontakte und ein Großteil der Anfragen beziehe sich auf chronische Erkrankungen. Das Kerngeschäft von Kammler liege bei der Beratung zum Nachteilsausgleich. Auch er ist gesetzlich verankert und soll Chancengleichheit für diejenigen ermöglichen, die ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in Prüfungssituationen nicht oder nicht im ausreichenden Maße darstellen können.
Ruhe- und Sanitätsräume vorhanden
Weil der Bedarf von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung sehr individuell ist, gibt es an der Universität Osnabrück aktuell kein speziell zugeschnittenes Mentoring-Programm. Alltagsassistenzen, die etwa beim Tragen von Büchern oder Öffnen von Türen helfen, werden über die Eingliederungshilfe geregelt. Für Menschen mit chronischen Erkrankungen wie beispielsweise Epilepsie oder Angststörungen gibt es an der Universität vereinzelt Ruhe- und Sanitätsräume, so etwa im StudiOS oder im neuen Studierendenzentrum. Auch Assistenzhunde dürfen, sofern sie nachweislich als solche ausgewiesen sind, mit in die Gebäude genommen werden.
Kein Studium ohne Zugang zu Räumen
Marie-Theres Tapken, Mitglied im Referat Soziales, Gleichstellung und Inklusion des Allgemeinen Studierenden Ausschusses (AStA) der Universität, sieht den Zustand der Barrierefreiheit an der Universität Osnabrück kritisch: „Es gibt an vielen Stellen noch Handlungsbedarf. So viele Gebäude und vor allem die darin liegenden Räume sind einfach nicht für alle erreichbar. Dabei sollte jeder Mensch Zugang zu einem Studium haben – dazu gehört auch der Zugang zu Räumen.“ Verbesserungs- und Nachbesserungsbedarf sieht sie vor allem beim Juridicum. „Hier gibt es zwar einen Aufzug, aber den muss man erst mal finden. Kommt man durch die Tür, steht man vor Treppen.“ Dass hier Handlungsbedarf vorliegt, sieht auch die Universität Osnabrück. Seit Oktober 2022 ist Diversität ein neues Ressort bei der Hochschulleitung und liegt bei der Vizepräsidentin Prof. Dr. Andrea Lenschow. Sie soll gemeinsam mit dem Gleichstellungsbüro eine Antidiskriminierungsrichtlinie sowie eine Diversity-Strategie erarbeiten.
Lage an der Hochschule diffus
Der Zustand der Barrierefreiheit an der Hochschule Osnabrück ist diffuser. Auf Nachfrage unserer Redaktion zu einer Bestandsaufnahme der barrierefreien Gebäude meldete sich die Pressestelle der Hochschule (Stand 13. März) nicht zurück. Die Campusse Westerberg, Caprivi sowie Haste umfassen laut den Lageplänen insgesamt 68 Gebäude. Auf einem Lageplan aus dem Jahr 2017 sind sieben Gebäude als nicht-barrierefrei gekennzeichnet. Im Leitfaden „Studieren mit Behinderung“ der Hochschule Osnabrück sind mindestens elf Gebäude als nicht barrierefrei definiert. In wie vielen Gebäuden es Rollstuhlrampen, Fahrstühle, barrierefreie WCs, akustische Unterstützungen oder taktile Lagepläne gibt, ist der Redaktion nicht bekannt. Eine klare Ansprechperson für Studierende gibt es ebenfalls nicht; hier verweist die Hochschule auf den Fachbereichsleiter oder die Fachbereichsleiterin.
Keine Anlaufstelle für Menschen mit Beeinträchtigung
Grundsätzlich bietet die Hochschule an, die Raumbelegung entsprechend zu planen, wenn Menschen einen barrierefreien Zugang benötigen. Doch das kann sie nur umsetzen, wenn entsprechende Informationen vorliegen. „Da aus datenschutzrechtlichen Gründen zu Beginn des Studiums nicht abgefragt wird, ob es Einschränkungen gibt, die berücksichtigt werden müssen, kann es anfangs zu Schwierigkeiten bei der Organisation des Studiums führen“, hält Leo Tonscheck vom AStA der Hochschule Osnabrück fest. Er bemängelt vor allem die Tatsache, dass es keine klare Ansprechperson für Studierende mit Beeinträchtigung gibt: „Es sollte eine eindeutige Anlaufstelle geben, die auch online schnell zu finden ist und alle aktuellen Studierenden und Studieninteressierte berät.” Dort sollte es laut Tonscheck Informationen zu individueller Studierbarkeit einzelner Studiengänge, zu Hilfsmitteln, Unterstützungsmöglichkeiten und Ansprechpersonen geben. “Andere Hochschulen sind hier weitaus besser aufgestellt“, meint er.
Noch einiges zu tun
Trotz der Kritik betont der Vertreter des AStA, dass der Grundstein für mehr Barrierefreiheit bereits gelegt sei. Gute Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den betreffenden Stellen sei hierfür eine Voraussetzung. „Durch eine inklusive Kultur und eine positive und offene Einstellung gegenüber Studierenden mit Beeinträchtigungen wird das Studium für alle zugänglicher und attraktiver“, sagt Tonschek. „Aber es gibt noch einiges zu tun.“