Wir machen es für die schnellen Leser leicht: Mit einer großen Mehrheit hat die „Regenbogenkoalition“ aus SPD, Grüne, FDP, bestehenden und ehemaligen Linken, UWG und Piraten, heute die Verwaltung beauftragt alles auf den Weg zu bringen, damit noch vor der Kommunalwahl (11. September) der Neumarkt zur Fußgängerzone werden kann.
Die lebhafte Debatte, die wir in Auszügen mitgeschrieben haben, ist es dennoch wert weiterzulesen.
In einer an kontroversen Themen reichhaltig bestückten Sitzung des Stadtrates, gehörte die Zukunft des Neumarkts am Dienstagabend (5. April 2016) eindeutig zu den Höhepunkten.
Nach der vom Osnabrücker Handwerker Bernd Klute im Februar vor Gericht durchgesetzten Wieder-Öffnung des Neumarkts für den Individualverkehr, dem die Sperrungsbefürworter der „Regenbogenkoalition“ vor einigen Wochen wohl nur zähneknirschend zustimmten, stand heute der nächste Akt für den zentralen Platz auf der Agenda.
Diesmal unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben, sollte auf den Weg gebracht werden, dass der zentrale Platz zu einer Fußgängerzone umgewidmet und zu diesem Zweck teilweise „eingezogen“ wird.
Wie schon während der zeitweisen Sperrung zwischen Sommer 2014 Februar 2016, bleibt die künftige Nutzung neben dem Fußgängerverkehr auch für Radfahrer, Busse sowie notwendige Anlieferverkehre möglich.
„Regenbogenfraktion“ will mit dem Neumarkt-Thema bei der Kommunalwahl punkten
Damit zukünftig auch alles (vor Gericht) Bestand hat, beinhaltet der von der „Regenbogenfraktion“ aus SPD, Grünen, FDP, Linken, Ex-Linken, UWG und Piraten eingebrachte Antrag den Auftrag an die Verwaltung , die zur Umwidmung notwendigen Verfahrensschritte in die Wege zu leiten. Insbesondere soll die Absicht über die „Teileinziehung“ unverzüglich öffentlich bekanntgegeben werden.
Die endgültige Entscheidung über die „Teileinziehung“, so der Antrag, soll der Stadtrat in seiner letzten Sitzung, wenige Tage vor der Kommunalwahl, am 30.08. treffen.
War der Antrag der Regenbogenfraktion zu spät und/oder rechtlich nicht haltbar?
CDU-Fraktionschef Dr. Fritz Brickwedde meldete sich mit einem Antrag zur Geschäftsordnung zu Wort. Brickwedde bemängelte mit Hinweis auf die Niedersächsische Kommunalverfassung , dass es den Ratsmitgliedern und der Öffentlichkeit nicht möglich war sich hinreichend mit dem „Beratungsgegenstand“ auseinander zu setzen. Erst seit Freitagnachmittag lag die Vorlage seiner Fraktion vor. Der CDU-Chef betonte, dass dieser Teil seiner Bedenken nur formal sei.
Zusätzlich habe seine Fraktion aber auch inhaltliche Zweifel, dass der vorgezeigte Weg rechtlich möglich sei. Eine erste Einschätzung eines Fachanwalts ergab, so Brickwedde, dass die Umwidmung des Neumarkts dem Flächennutzungsplan und somit auch dem zugehörigen Bebauungsplans widersprechen würde.
Abschliessend bat Brickwedde, dass das Rechtsamt die vorliegenden inhaltlichen Zweifel prüfen solle. Somit war seine Wortmeldung ein „Antrag auf Nichtbefassung [mit dem Antrag]“, für die nur eine Gegerede zulässig sei, wie Bürgermeister Burkhard Jasper als Ratsvorsitzender betonte.
Frank Henning kann die Bedenken der CDU nicht nachvollziehen
Für den Antragsteller [die Regenbogenfraktion] erklärte SPD-Fraktionschef Frank Henning, dass wenn diese Maßstäbe angelegt werden würden, ein Großteil aller Anträge nicht behandelt werden dürften. Einen solchen Antrag, wie der von Fritz Brickwedde, hätte es seiner Erinnerung nach im Stadtrat noch nicht gegeben. Und inhaltlich hätten sich alle Ratsmitglieder mit dem „Thema Neumarkt“ befassen können, und auch die Medien hätten das Thema zu Genüge und öffentlich verbreitet.
Was den formellen „Antrag auf Nichtbefassung“ angeht, so Frank Henning, sei der Tagesordnungspunkt am vergangenen Mittwoch in das Ratsinformationssystem eingestellt. Hierzu gab es Zwischenrufe von Seiten der CDU-Fraktion, dieser Antrag sei erst ab Freitag abrufbar gewesen.
Das, was in den nächsten drei Monaten passieren wird, bezeichnete Frank Henning als ein „umfassendes Bürgerbeteiligungsverfahren“.
Gegen die Stimmen von CDU und dem parteilosen Stadtrat Michael Florysiak lehnte der Rat die von der CDU beantragte „Nichtbefassung“ ab.
Frank Otte (er)klärt die rechtliche Einschätzung des OB
In Vertretung des Oberbürgermeisters stellte der Stadtbaurat Frank Otte für die Verwaltung fest, dass keine strittige Schnellentscheidung auf den Weg gebracht werden darf, die geeignet ist das Bild der Stadt zu beschädigen. Auch gebe es Zweifel, so Otte in Vertretung für Wolfgang Griesert, ob die Beratung über die Sommerferien dem Thema gerecht wird. Was in Summe wohl der Einschätzung entsprach, dass eine Verabschiedung des vorliegenden Antrags rechtswidrig sei.
Diese Aussage sorgte für erhebliche Verwirrung. Auf eine weitere rechtliche Kommentierung der Sachlage, durch eine eigens dafür im Ratssitzungssaal anwesende Mitarbeiterin des Rechtsamts, wollte die Mehrheit des Stadtrates verzichten.
Trotz aller Bedenken der CDU, begann Frank Henning mit der inhaltlichen Debatte, in der er die Umwidmung des Neumarkts in eine Fußgängerzone mit dem Einkaufszentrum begründete. Das geplante Shoppingcenter werde allerlei positive Auswirkungen auf die Innenstadt haben.
Die Neumarktquerung, so wie sie aktuell besteht, bezeichnete Henning als „sechsspurige Autobahn“, die zusammen mit dem Kachelhaus und dem ehemaligen Wöhrl-Haus eine städtebauliche Fehlentwicklung darstellen würde. Während der Zeit der Sperrung sei bewiesen worden, dass die Belastung der Luftwerte signifikant zurückgegangen sei, und das ohne das dadurch der Verkehr in Osnabrück zusammengebrochen wäre.
Fußgängerzone mit 2.000 Bussen?
Eine Fußgängerzone mit über 2.000 Bussen sei sinnwidrig, erwiderte Fritz Brickwedde. Nur durch eine – zuvor diskutierte – Nachrüstung der Dieselbusse, könne man die Schadstoffe zurückschrauben. Dann aber brauche man auch keine Neumarktsperrung. Die Sperrung würde überdies die Gesundheit der Anwohner schädigen und zu längeren Streckenfahrten und dadurch auch zu weiteren Verbrauchssteigerungen und Schadstoffemissionen rund um die Innenstadt führen.
Erneut betonte Brickwedde, dass erst bei einem Lückenschluss der A33 Nord über eine Neumarktsperrung nachgedacht werden solle. Mit den bald anstehenden Lückenschlüssen bei Bad Oeynhausen (A30) und Halle (A33) kommt schon bald mehr Verkehr auf Osnabrück zu, der dann in die Innenstadt drängt und für zusätzliche Belastung sorgen wird. Fritz Brickwedde sieht die oberzentrale Funktion Osnabrücks gefährdet, wenn Osnabrück zur „Stauhauptstadt“ verkomme.
Hagedorn: Stadtteile werden so zusammenwachsen
Für die Grünen konterte Michael Hagedorn, dass es selten ein Thema gegeben habe, das so emotionsgeladen sei. Die zuvor von Frank Henning noch genannte „sechsspurige Autobahn“, bezeichnete der Grüne Fraktionschef (etwas realistischer) als „vierspurige Straße“, die zu einer Trennung der nördlichen und südlichen Stadtteile geführt habe.
Wenn nur noch die Busse über den Neumarkt fahren, wird die Zahl der Fahrzeuge auf 10% reduziert, und das werde für eine verbesserte Aufenthaltsqualität und ein Zusammenwachsen der Stadtteile sorgen. Nicht zuletzt werden die Schadstoffe in der Innenstadt signifikant gemindert. Ein Neumarkt ohne Autos sein „konkreter Gesundheitsschutz“ für über 90.000 Personen, die sich täglich an dem zentralen Platz aufhalten. Eine Umverteilung auf die Wälle gibt es nicht, der Durchgangsverkehr, das habe man festgestellt, würde jetzt aussen um die Stadt herum fahren. Das Allgemeinwohl überwiege bei einem gesperrte Neumarkt und deswegen stelle er mit den anderen Parteien den Antrag.
Neumarkt wurde bereits aufgewertet?
Dieser Platz ist aufgewertet worden durch städtebauliche Maßnahmen, so Thomas Thiele (FDP) mit Verweis auf das neue Hasehaus. Die Bürger würden den Neumarkt „für sich erobern“, meint Thiele beobachtet zu haben. Die Stadt hätte während der Neumarktsperrung ein anderes „Pulsieren“ gezeigt, so Thiele. An Michael Wiese gerichtet, der als Initiator der neuen Partei „BOB“ gilt, kritisierte der FDP-Politiker, dass sich die Lokalpolitiker eine Diskussion von einem Landkreisbewohner habe aufzwingen lassen [Michael Wiese wohnt in Rulle, die Redaktion].
Mierke (UWG): Dankbar dabei gewesen zu sein
Für die UWG bezeichnete Wulf Siegmar Mierke die Gegner der Neumarktsperrung als Vertreter von „Klientelpolitik“, und er sei froh, jetzt an der Entwicklung einer alten UWG-Forderung mitwirken zu dürfen. Mit „gesundem Menschenverstand“ könne man den vorliegenden Antrag nicht torpedieren, so Mierke mit Blick auf die CDU. Den Durchgangsverkehr, für den der Neumarkt stehe, können wir in Osnabrück nicht gebrauchen, schloss Mierke seinen Redebeitrag.
„Ist die Lotter Straße, die Bohmter Straße und die nach Wünschen von Rot/Grün demnächst zurückgebaute Martinistraße eine Stadtautobahn?“, fragte Katharina Pötter (CDU) und konterte damit Frank Hennings Aussage über eine „6-spurige Stadtautobahn“, tatsächlich sehe der Bebauungsplan nur zwei Spuren für den Individualverkehr auf dem Neumarkt vor.
Für die Kommunalwahl am 11. September sagte Pötter eine Quittung für die Verkehrspolitik der Regenbogenfraktion voraus.
„Warum ist denn die Johannisstraße nicht aufgeblüht?“
Heiko Panzer, der verkehrspolitische Sprecher der SPD, versuchte die nach Angaben der CDU 2.000 Busse auf dem Neumarkt zu widerlegen, nach seinen Angaben seien es nur etwas mehr als 1.600 Busse.
Dieser Vorstoß wurde nur wenige Minuten später von Anette Meyer zu Strohen (CDU) mit Verweis auf ein Schreiben der Stadtwerke gekontert. Ihren Angaben zu Folge geben die Stadtwerke 2.096 Busse an, die täglich über den Neumarkt fahren.
Jens Meier von den Osnabrücker Grünen sieht die erfolgreiche Verbannung der Autos aus der Großen Straße, vom Kamp und vom Marktplatz als Erfolgsfaktor der Innenstadt. Die nun anstehende Aussperrung des Autoverkehrs vom Neumarkt sei somit eine logische Folge, und so würde „Stadtleben“ in Osnabrück gefördert. Schon 2001 hätte das Bürgergutachten ergeben, dass die Bürger keinen PKW-Verkehr auf dem Neumarkt wollen – der Stadtrat lässt 15 Jahre später nun diese Bürgerentscheidung mit einer großen Mehrheit Realität werden.
„Warum ist denn die Johannisstraße nicht aufgeblüht“, die ja seit Jahrzehnten eine Fußgängerzone mit Busverkehr sei, fragte Anette Meyer zu Strohen an die Sperrungsbefürworter gerichtet.
Meyer zu Strohen hätte auch gerne eine Stellungnahme der Feuerwehr gehört, auch vor dem Hintergrund, dass mit der anstehenden Sperrung der Römereschstraße mit noch mehr Verkehr in der Innenstadt zu rechnen sei (HASEPOST berichtete).
Kampfzone Neumarkt?
Mit Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, die den Begriff „Kampfzone“ für den Münchner Marienplatz geprägt haben soll, warnte CDU-Ratsmitglied Ingo Dauer vor drohenden Konflikten zwischen Radfahrern, Bussen und Fußgängern, die zukünftig ohne Steuerung durch Ampeln aufeinander treffen werden. Dauer mutmaßte auch, dass die Sperrungsbefürworter heimlich auch eine Ausdehnung des geplanten Einkaufscenters am Neumarkt befördern wollen, was für ihn ein „Skandal“ sei.
Michael Hagedorn beendete für die Grünen die Debatte und stellte nochmal klar, dass der Rat der Souverän sei.
Wenn der Oberbürgermeister der Ansicht sei, das Verfahren sei rechtswidrig, könne er die Entscheidung der Kommunalaufsicht vorlegen.
Gegen die Stimmen von CDU und des ehemaligen Grünen Michael Florysiak (jetzt DMD) wurde der Antrag der Regenbogenfraktion angenommen.