Ein Mann (51) bleibt tot in der Wohnung zurück, ein anderer Mann (39) bricht schwer verletzt und blutend auf dem nahegelegenen Blumenhaller Weg zusammen – mitten in Osnabrück.
Was ist das für ein Ort, der „Prießnitzhof“? Wir haben uns auf die Spurensuche begeben – in die jüngste Vergangenheit und in die Zeit vor knapp einhundert Jahren.
Hier in direkter Nähe von gehobener und bester Osnabrücker Wohnlage ist die Welt nicht in Ordnung. Hier ist auch nicht gehobene Wohnlage. Hier ist Sackgasse.
Das „bessere Osnabrück“ beginnt auf der anderen Straßenseite des Blumenhaller Wegs, dort stehen die Einfamilienhäuser – die zu Stein gewordenen Ergebnisse von in den 70er Jahren eifrig bedienten Bausparverträgen.
Es wohnt sich gehobener und irgendwie auch grüner im nahen Katharinenviertel. Hinter der Autobahn in Hellern wohnt man gut und teurer, und auf der Illoshöhe hinter dem trennenden Kurt-Schuhmacher-Damm sowieso.
Der nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernte Sportwagenhändler hat kein Angebot für die Bewohner dieser Straße.
Nach allgemeiner Auffassung der Osnabrücker liegt hier im Westen der Stadt der „Rotweingürtel“; doch Rotwein kann auch Lambrusco sein und im Tetrapack auf den Tisch kommen.
Am diesem grauen Oktobernachmittag sind nur noch wenige Mitarbeiter der Spurensicherung damit beschäftigt die Beweisaufnahme abzuschließen. Anwohner haben es sich an den Fenstern der meist grauen zweigeschossigen Wohnblöcke bequem gemacht. Ein Kissen unter den Armen und auf das Fensterbrett gelehnt, beäugen sie durch die zur Seite gezogenen Gardinen was in ihrer Sackgasse passiert. Das Wort „Sackgasse“ hat in diesem Umfeld mehr als nur eine Bedeutung – zumindest an diesem trüben Oktobernachmittag und nach dieser unruhigen Nacht.
Spurensuche 1: Hier war früher Osnabrücks Wellness-Oase
Der Name Prießnitz erinnert nicht etwa an eine vielleicht ostpreußische Heimat, für deren ehemalige Bewohner hier nach dem Krieg Wohnraum geschaffen wurde. Der Prießnitzhof bekam seinen Namen als vor fast 100 Jahren etwas entstand, das man heute als „Wellness-Oase“ vermarkten würde.
Ein „Verein für naturgemäße Lebens- und Heilweise Prießnitz“ hatte im Garten der benachbarten Blumenhalle ein Licht- und Luftbad eingerichtet. Ursprünglich verabredete man sich dort um die heilsame Kraft von Licht und Luft zu genießen – und um zum Abschluss einmal ordentlich kalt zu duschen.
Der Erfinder dieser esoterisch anmutenden Beschäftigung und Namensgeber des Osnabrücker Vereins war ein Herr Vincenz Prießnitz, der mit seinen Ideen seinerzeit so populär war, dass man in Polen seither das Wort „Prysznic“ für Dusche dem Nachnamen des Luftbaders entlehnt – so berichtet es jedenfalls die Wikipedia.
Irgendwann erwarteten die Osnabrücker Licht-, Luft- und Kaltwasserduscher wohl mehr vom Leben als sich bis zum abschliessenden Duschen auf ihrer Wiese der frischen Luft zu präsentieren.
1926 ergänzten die Prießnitzer ihre Liegewiese um ein für die damalige Zeit veritables 25-Meter-Becken, ein Planschbecken und weitere Anlagen. Nach dem Krieg kamen erst die Briten, die sich bis in die 50er Jahre auf dem Gelände einrichteten, dann folgte der Verfall. Wer baden wollte ging nun ins volkstümlich „Moskau“ getaufte Neustädter Freibad, auf der anderen Seite des wüsten Stadtteils, in dem so kurz nach dem Krieg noch keine gebausparten Einfamilienhäuser standen.
Bevor die benachbarte Wüste zu einem bevorzugten Neubaugebiet der wachsenden Hasestadt wurde, entstanden hier am Blumenhaller Weg die schmucklosen grauen Häuser, die heute einer anonymen Wohnungsbaugesellschaft gehören.
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Spurensuche 2: Was geschah am 28. August vor einem Jahr?
Unser Seitenarchiv (Suchfunktion hier: www.hasepost.de) fördert für den Suchbegriff „Prießnitzhof“ einen Artikel zu Tage, der einen Freitagabend vor wenig mehr als einem Jahr beschreibt. Alkohol, mehrere Männer, ein Messer – es klingt so ähnlich.
HASEPOST vom 30. August 2015:
„Für den Freitagabend meldet die Polizei ein versuchtes Tötungsdelikt am Prießnitzhof (Wüste). Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand und einer gemeinsamen Presseerklärung von Polizeiinspektion und Staatsanwaltschaft, konsumierten mehrere Personen in einer Wohnung Alkohol.
Im Rahmen der gemeinschaftlichen Zecherei kam es gegen 20.50 Uhr zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Männern (40 und 59). Im Laufe des Streites verletzte der 59jährige den jüngeren Mann mit einem Küchenmesser erheblich.
Das Opfer befand sich zwischenzeitlich in Lebensgefahr und musste in einem Osnabrücker Krankenhaus operiert werden. Lebensgefahr besteht nicht mehr. Polizeibeamte nahmen den erheblich alkoholisierten Täter noch in seiner Wohnung fest. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ die Haftrichterin gegen den Mann einen Haftbefehl.“
Waren es die gleichen Zechkumpanen, die auch in dieser Freitagnacht aufeinander losgingen? Hatte eines der Opfer nun weniger Glück als noch vor einem Jahr? Die Altersangaben für die Beteiligten sind unterschiedlich, aber auch an diesem Samstag kursierten von Seiten der Polizei erst abweichende Angaben zum Alter eines Opfers.
Auf Nachfrage unserer Redaktion erklärte Dr. Alexander Retemeyer, Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück, dass ihm bekannt sei, dass der aktuelle Tatort „neben einem früheren Tatort“ liege. Einen Zusammenhang wollte der Oberstaatsanwalt nicht bestätigen. Er bat um Verständnis, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt von seiner Seite nicht mehr herausgegeben werden kann, als bereits am Samstagmittag an die Presse ging.