Dass die Parteienvertreter vom Zeitpunkt des Shoppingcenter-Aus überrascht waren, lässt sich ganz gut an den Reaktionen ablesen. Statt auf sich umfassend mit den Folgen für die Stadt Osnabrück und vielleicht sogar der eigenen Rolle in der acht Jahre andauernden Provinzposse zu beschäftigen, beklagen UWG, Piraten und die Linkspartei zum Beispiel, dass sie nur unwesentlich früher als die Presse und damit die Öffentlichkeit von dem Rückzieher des Investors informiert worden waren.
Tatsächlich, so die Recherchen unserer Redaktion, wurden alle im Rat der Stadt Osnabrück vertretenen Parteien von der Verwaltung etwa anderthalb Stunden vor den Medien informiert. Lediglich durch eine vor dem offiziellen Pressetermin vom (Nicht-) Investor Unibail-Rodamco-Westfield versendete Pressemeldung, vor allem aber durch eigene Recherchen, hatten die Papierzeitung NOZ und die Hasepost einen kleinen Vorsprung vor den Lokalpolitikern.
Die beiden größeren Fraktionen, SPD und Grüne, wollen trotz leerer städtischer Kassen die vom Investor zusammengekauften Immobilien in städtisches Eigentum übernehmen (nach Recherchen unserer Redaktion wurden dafür vom bau-unwilligen Investor vor gut acht Jahren etwa ca. 30 Millionen Euro aufgebracht).
Trotzdem sie am Ende Recht behielt, gibt sich die CDU versöhnlich, der Bund Osnabrücker Bürger (BOB) sieht den gesunden Menschenverstand bestätigt und die FDP scheint so überrascht zu sein, dass es als erste Reaktion nur zu einem Satz bei Facebook reichte [Update 15.06.: inzwischen liegt eine Pressemitteilung der FDP vor].
Kommentar zum Thema: “Wer sich verzockt…”
Die Reaktionen der Parteien ungekürzt und in der Reihenfolge, in der sie bei uns in der Redaktion über den Tag verteilt eingingen:
Grüne: „Ende des Neumarktcenters ist große Chance“
“Die Grünen sehen das Ende des Projekts mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Durch das Projekt haben wir wertvolle Jahre verloren. Wir sind enttäuscht, dass der Investor nicht früher für Klarheit gesorgt hat. Aus Grünen-Sicht gibt es jetzt für die Stadt die Riesenchance, selber die Initiative zu ergreifen und auf der Fläche Projekte zu entwickeln, die sich positiver auf die Innenstadtentwicklung auswirken, als es ein Einkaufscenter getan hätte“, erklärt der Fraktionsvorsitzende, Volker Bajus.
Die Grünen können sich vorstellen, dass die Stadt das Grundstück auch selber erwirbt und entwickelt. Die Fläche sei aufgrund der zentralen Lage grundsätzlich geeignet für Wohnen, für Erweiterungen der Uni oder andere öffentliche Zwecke. „Das ist eine lebendige Citylage, wo sich Menschen treffen sollen und auch was zusammen machen können. Auch Kultur und Gastronomie wären sinnvoll“, so Bajus.
Das Ende des Projekts sei auch das Ende des Bebauungsplans. „Wir sollten umgehend alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um den B-Plan aufzuheben. Schließlich hat der Investor sein Versprechen nicht gehalten. Damit bekommen wir das Heft des Handelns wieder in die Hand“, erläutert Bajus. Und er ergänzt: „Für uns war das Neumarktcenter immer nur eine Option, um am Neumarkt überhaupt voran zu kommen. Jetzt geht es darum möglichst schnell neue Lösungen zu finden. Wir können uns gut vorstellen, dass wir das Land als Partner für bauliche Nutzungen, zum Beispiel für Uni und Justizzentrum gewinnen. Auch private Ideen sind willkommen.“
SPD: “Wir müssen die Grundstücke zurückkaufen”
Oberbürgermeister, Verwaltung und Rat der Stadt haben sich aus heutiger Sicht leider vergeblich darum bemüht, den städtebaulichen Schandfleck am Neumarkt, bspw. das grüne Kachelgebäude am Eingang der Johannisstr., zu beseitigen. Dabei war das geplante Einkaufscenter Mittel zum Zweck, um den Neumarkt an dieser Stelle städtebaulich aufzuwerten und mit Hilfe privater Investitionen des Centerbetreibers Uni- bail Rodamco Westfield neu zu gestalten.
Der Rückzug des Centerbetreibers ist bedauerlich. Offensichtlich spielen neben den auf 175 Mio. angestiegenen Baukosten, auch die wachsende Bedeutung des Onlinehandels eine nicht unerhebliche Rolle, die die Rentabilität des Projektes in Frage stellen. Nun gilt es nach vorne zu schauen, nach alternativen Bebauungen und Nutzungsmöglichkeiten zu suchen. Wichtig aus SPD Sicht: Wir müssen die Grundstücke von Unibail Rodamco Westfield zurückkaufen, um das Areal in städtische Hand zu bekommen.
Wenn die Stadt Grundstückseigentümer wird, hat sie zukünftig die Fäden in der Hand, die weitere städtebauliche Entwicklung und Nutzung des Gebietes zu steuern. Oberbürgermeister und Verwaltung sind jetzt gefordert, alle rechtlichen Möglichkeiten eines Rückkaufs zu prüfen und möglicherweise vorhandene Vorkaufsrechte der Stadt zu nutzen.
CDU: ” Grabenkämpfe der Vergangenheit müssen beendet werden”
Die Zeit für eine neue Chance ist gekommen. Wir haben jetzt Gewissheit und müssen zusammen einen Plan B ausarbeiten. Wir reichen den anderen Fraktionen die Hand und stehen für Gespräche bereit. Wichtig ist jedoch vor allem auch, dass Eigentümer und Stadt an einen Tisch und ehrlich über die Zukunft des Neumarktes reden müssen. Es ist zwar bedauerlich, dass Jahre der Entwicklung und Fortschritt verschenkt wurden, aber es ist nicht die Zeit, der Vergangenheit hinterherzulaufen“, so Fritz Brickwedde, Vorsitzender der CDU-Fraktion. Aus Sicht der CDU seien von Wohnungen über Universität bis hin zu Dienstleistungen und Handel alle Nutzungen denkbar. Wenn erforderlich, könne die Stadt auch Teile der Immobilie, die bisher immer in privater Hand waren, erwerben, um somit die Jahre des Stillstands zu beenden.
Noch 2016 haben die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen, FDP, Linke und UWG/Piraten in Absprache mit dem Eigentümer öffentlich auf dem Neumarkt die Abrissanzeige in die Höhe gehalten und so den falschen Eindruck erweckt, mit Abriss und Neubau gehe es bald los. Die Nähe dieser Parteien zu einem globalen Konzern sei zu eng gewesen. Die CDU hat als einzige Fraktion die Planungen für ein Einkaufszentrum am Neumarkt kritisch begleitet und den Bebauungsplan sowie Durchführungsvertrag abgelehnt.
Die Skepsis hat sich zu 100 Prozent bestätigt. „Jetzt gilt es aber, den Blick nach vorne zu richten. Es bleibt keine Zeit für Streitereien und Gezanke. Wir müssen jetzt zusammen einen modernen, standortgerechten Plan B ausarbeiten“, so Anette Meyer zu Strohen (CDU), Vorsitzende des Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt abschließend. Die Grabenkämpfe der Vergangenheit müssen beendet werden.
UWG: Stadt Osnabrück ist angewiesen auf Investoren
Auf den ersten Blick sind wir alle aufgrund dieser unerwarteten Entwicklung am Neumarkt Verlierer – auch der Einzelhandel in Osnabrück. Aber dennoch müssen wir nun schnellstmöglich das Beste aus der Situation machen.
Dennoch, Eigentum verpflichtet und so ist es nicht verwunderlich, dass wie in Berlin Stimmen laut werden, die die Enteignung von Immobilienfonds fordern.
Wir können als Politik über das Planungsrecht dafür die Voraussetzungen am Neumarkt schaffen, haben aber aufgrund der zu hohen Verschuldung der Stadt nicht die Möglichkeit selber ein Bauvorhaben in dieser Größenordnung durchzuführen.
Wir sind angewiesen auf Investoren. Eventuell sind Osnabrücker Firmen und Privatleute bereit zusammen etwas zu entwickeln, z.B. in Kooperation mit bereits vorliegenden sehr interessanten Projektvorschlägen namhafter Kulturplaner und -berater wie Reinhart Richter.
Ich möchte aber davor warnen zu glauben, dass es kurzfristig zu einer positiven Entwicklung am Neumarkt kommen wird. Wir müssen leider davon ausgehen, dass sich dieser Prozess über einige Jahre hinziehen wird.
Was mich jedoch wirklich verärgert, ist dass der Oberbürgermeister uns nicht mal im nichtöffentlichen Teil der gestrigen Sitzung für Stadtentwicklung und Umwelt über die Entscheidung von Unibail-Rodamco-Westfield in Kenntnis gesetzt hat. Es ist nicht verwunderlich, dass immer weniger Bürger bereit sind sich politisch ehrenamtlich zu engagieren, wenn man den Eindruck gewinnen muss wissentlich verschaukelt zu werden.
Piraten: Wohnung, Altenheim und Stadtbücherei am Neumarkt
Wir sollten die Chancen, die sich uns jetzt bieten, nutzen, um für die Stadt ein lebendiges Quartier zu schaffen. Dabei sollten nicht nur kommerzielle Angebote im Fokus stehen, sondern ein zentraler Ort mit Aufenthaltsqualität geschaffen werden – mit z.B. Wohnungen, Altenheim und Stadtbücherei.
Wir müssen an diesem wichtigen zentralen Punkt der Stadt schnellstmöglich was tun!.
Allerdings sehe ich die Gefahr, dass es nun wieder zu einem jahrelangen Stillstand kommen wird. Ich hoffe, dass nicht wieder gegen neue Pläne und Projekte durch mehrere Instanzen geklagt wird und sich wieder alles um Jahrzehnte verschiebt.
Dass die Verwaltung den Rat über die Entscheidung von Unibail-Rodamco-Westfield nicht vor der Veröffentlichung informiert hat, halte ich allerdings für sehr fragwürdig. Diese Vorgehensweise zeigt, wie wenig die Verwaltung an der Zusammenarbeit mit den gewählten Vertretern interessiert ist.
BOB: Absage Shoppingcenter war vorhersehbar
Ankauf der Immobilie prüfen um Stillstand zu beenden
Die Realisten unter uns wussten es schon lange. Nach unerträglicher langer Zeit des Hinhaltens ist es nun klar: Das Center kommt nicht!
“Wir sehen hier ein Musterbeispiel dafür, dass gesunder Menschenverstand und neue Entwicklungen wie eine Veränderung des Einkaufsverhaltens nicht ignoriert werden dürfen. Genauso wenig darf ein Blick in unsere Nachbarstädte unsere Sinne trüben, wo Center leer stehen und wenig frequentiert werden”, so Ralph Lübbe, BOB-Fraktionsvorsitzender.
Die städtebauliche Erneuerung und Verkehrsführung am Neumarkt war fundamental auf ein Center ausgelegt. Jetzt sind wir wieder bei NULL angekommen. Zu verdanken haben wir dies einer politischen Mehrheit im Stadtrat, die in der Vergangenheit lieber mit falschen Abrissanzeigen um Wählergunst gebuhlt hat, statt ihrer Verantwortung nachzukommen. Lieber wurde sich hinter den Erklärungen und Vertröstungen des Investors versteckt, als einen Plan B zu erarbeiten.
Doch Schadenfreude ist hier fehl am Platz, zu groß ist der Schaden, den Osnabrück bereits genommen hat. Nutzen wir konstruktiv unsere Energien, um bessere Ideen für gesellschaftli- che und soziale Nutzung vorzulegen:
“Wohnraum, Universität, Einzelhandel, Dienstleistung, Kultur – es gibt viele gute Ideen für das Quartier. Ein möglicher Ankauf der Immobilie durch die Stadt würde eine eigenständige Dynamik und unabhängige Planung zulassen. Wichtig ist auch, dass der geplante verkehrstechnische Umbau des Neumarkts solange ruht. In der aktuellen Planung wurden vorausei- lend Forderungen des Investors aufgegriffen, die einer zukünftigen Bebauung und Nutzung nicht mehr gerecht werden”, so Lübbe weiter.
“Lasst uns zusammen einbringen und überlegen, was in das Herz unserer City gehört. Wir sind als BOB bereit, fraktionsübergreifend schnell eine gute Alternative für die Osnabrücker Bürgerinnen und Bürger mit zu gestalten”, so Lübbe abschließend.
Linkspartei: Skepsis gegenüber Privatinvestoren bestätigt
Die Ratsfrauen der Fraktion Die Linke., Giesela Brandes-Steggewentz und Heidi Reichinnek, erklären zum Aus für das Einkaufscenter am Neumarkt:
Ein Einkaufszentrum für Osnabrück schien eine machbare Lösung für den Neumarkt zu sein. Für die nötigen Veränderungen könnte die Kooperation mit dem Investor genug Geld bringen, die Stadt sollte die Entwicklung in der Hand zu haben. Doch mit der heutigen Nachricht ist das Aus für das Einkaufszentrum am Neumarkt besiegelt. Der Investor des Einkaufszentrums hat unsere Skepsis gebenüber Privatinvestoren bestätigt: Wir können uns auf sie nicht verlassen.
Jetzt muss die Stadt die Entwicklung am Neumarkt wieder in die Hand nehmen und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern neue Ideen entwickelt. Ein so zentraler Platz muss dem Gemeinwohl dienen. Eine Kooperstion mit dem Land sollte ebenfalls in Erwägung gezogen werden.
Empört sind wir über Informationspolitik des Oberbürgermeisters gegenüber uns ehrenamtlichen Ratsmitglieder. Eine halbe Stunde vor einer Pressekonferenz per E-Mail über eine solche Entwicklung in knappen Worten informiert zu werden, ist skandalös. Wir erwarten nun zeitnah umfassende Informationen und werden dann gemeinsam mit Rat, Verwaltung und Bevölkerung die Chance auf einen Neuanfang nutzen.
FDP: Offensichtlich sprach- und ein klein wenig orientierungslos
Trotz mehrfacher Bitte unserer Redaktion um ein Statement, haben wir von den Liberalen nur einen Satz bei Facebook gefunden. Die Aussage verwundert ein wenig, denn die Osnabrücker FDP Ratsfraktion stimmte in den vergangenen Jahren mit den anderen Parteien der Regenbogenkoalition “für” das Shoppingcenter.
[Update 15.06.: inzwischen liegt eine Pressemitteilung der FDP vor]