In einem Spiel, das schon wegen der partiellen Zuschauerrückkehr etwas Besonderes war, gewann der VfL gegen eine Mannschaft aus Hannover, die ihr Können als Spitzenteam zwar hin und wieder aufblitzen ließ, gegen einen aufopferungsvoll kämpfenden VfL, der auch spielerisch zu überzeugen wusste, am Ende aber zurecht verlor.
Dieser runderneuerte VfL macht Appetit auf mehr und das nicht nur wegen des neuen Goalgetters Christian Santos.
Vor dem Spiel
Die Vorsitzende des Corona-Krisenstabs, Katharina Pötter, hatte schon Tage zuvor verkündet, dass nach aktueller Bewertung des Pandemiegeschehens nichts dagegen spreche, ein Bundesligaspiel vor Zuschauern stattfinden zu lassen, solange die Sieben-Tage-Inzidenz von 35 nicht überschritten werde.
Die Vorgabe der Landesregierung beträgt 20% der Gesamtkapazität. Das heißt für den VfL, er kann 3.200 Zuschauer ins Stadion lassen – eine Zahl, die zum letzten Mal vor gut 20 Jahren unterschritten wurde, davor aber viele Male, von den 50er Jahren bis tief in die 90er Jahre hinein und über die man sich Ende der 50er bis zur legendären Saison 68/69 sogar gefreut hätte.
Mehr dazu in den Halbzeitgedanken.
Aber auch der letzte Sieg des VfL gegen Hannover 96 in der zweiten Bundesliga liegt eine kleine Ewigkeit zurück: Am 9. Spieltag 1990/91 gewann der VfL 1:0 in Hannover. Sechs Jahre später gab es in der Regionalliga ein 3:1.
Auf der Pressekonferenz …
… sprach Marco Grote vorgestern davon, dass Hannover 96 für ihn einer der Aufstiegsfavoriten sei. Darüber hinaus sei nicht alles, was der VfL insbesondere in der ersten Halbzeit in Fürth geboten habe, schön anzusehen gewesen. Nun, Christian Santos, der neben ihm auf dem Podium saß und nicht nur auf dem Platz eine stattliche Erscheinung ist, kann er damit nicht gemeint haben.
Hannovers Trainer Kenan Kocak jedenfalls nahm auf der PK in Hannover die Favoritenrolle an.
Eine Viertelstunde vor Spielbeginn wurde Kalla Diehl gedacht, siehe dazu die Halbzeitgedanken vom Spiel gegen Fürth.
Zu Saisonbeginn sollte einen die Aufstellung einer Startelf nicht verwundern, dazu muss sich eine Mannschaft über einige Spiele hinweg erst einmal finden. Klaas ist jedenfalls beim VfL dabei, bei den 96ern Laina und Bijol.
Die Vorfreude ist den Zuschauern schon beim Warmlaufen der Teams anzumerken. Offenbar will man dem am letzten Sonntag sehr aktiven Fürther Publikum Paroli bieten. Die Nord wirkt dabei sehr viel aktiver als die Süd. Als die VfL-Hymne erklingt, füllt sich in gewohnter Trägheit allmählich auch der Kuchenblock.
Und dann kommen die Teams …
… und das Stadion flippt aus – zu lange war offenbar der Entzug und die Fußballsucht ist für ihre hohe Rückfallquote weltweit gefürchtet.
Der VfL hat Anstoß und gleich in der 2. Minute kämpft sich Amenyido auf rechts durch, lässt Hübner stehen, doch sein Flankenversuch landet in der Hannoveraner Abwehr. Das Spiel beginnt munter, wobei der VfL zunächst mehr Ballbesitz hat und immer wieder gefährlich vors Tor der 96er kommt.
In der 8. Minute pariert Kühn einen gefährlichen Aufsetzer von Frantz aus 16 Metern. Wechselgesänge des euphorisierten Publikums zwischen Nord- und Süd-„kurve“ bringen mehr als nur einen Hauch Fußballfeeling an die Brücke zurück, wobei einigen auf der Süd noch der ein oder andere Krümel im Halse zu stecken scheint.
Nach einer Viertelstunde …
… beruhigt sich das Spiel ein wenig und Hannovers spielerische Qualitäten deuten sich zumindest an. Doch der VfL hält stets dagegen und kommt in der 19. Minute zu einer Torchance: Der agile Amenyido flankt von rechts in den Strafraum. Christian Santos‘ Flugkopfball, den muss man auch erst einmal kriegen, stellt für Esser allerdings kein Problem dar. Hannover lässt sich nun immer öfter vor dem Osnabrücker Tor blicken, der VfL steht aber bislang gut und kommt ebenfalls zu Angriffen, die allerdings kaum für Gefahr sorgen.
Elfmeter für den VfL …
… in der 30. Minute: Franke grätscht Amenyido im Strafraum um und Schiri Aarnink entscheidet nach langem Zögern und Videobeweis auf Elfmeter. Christian Santos verwandelt den Strafstoß in der 33. Minute im Stile eines Klassestürmers, denn er ist ein Klassestürmer.
Das Publikum dreht nun nun noch mehr auf. Jede gelungene Aktion wird frenetisch bejubelt und das Spiel wird hektischer. Maina stößt Taffertshofer zu Boden und erhält für diese Tätlichkeit nur Gelb.
Hannover versucht zwar, mit spielerischen Mitteln ins Spiel zurückzukommen, doch der VfL ist in der Abwehr hellwach, und unentwegt bestätigt sich das Publikum, dass es aus Osnabrück kommt und immer da ist. Meine Güte, das macht so viel mehr Spaß als diese drögen Geisterspiele …
Einen Freistoß aus 25 Metern setzt Kerk in der 3. Minute der Nachspielzeit am rechten Pfosten vorbei und dann ist auch schon Halbzeit. Die Zuschauer verabschieden die Mannschaft mit stehenden Ovationen in die Kabine. Mehr geht nicht.
Halbzeitfazit
Der VfL führt nach einer spielerisch und vor allem kämpferisch überzeugenden Leistung durchaus verdient mit 1:0. Die spielerische Qualität der 96er blitzte zwar immer wieder auf, doch wusste der VfL mit einem großartigen Publikum im Rücken jederzeit zu gefallen.
Tipp: Die Halbzeitgedanken, eine Melange aus Hintergrundinformation und Kommentar. Wem das Lesen der Halbzeitgedanken zu mühselig und gar zu informativ ist: Ganz einfach weiter nach unten scrollen, dort geht es dann mit dem aktuellen Spielbericht weiter.Halbzeitgedanken: Dazu gehörende Halbzeitgedanken: Zum Spiel gehörende Halbzeitgedanken: Abschweifende Halbzeitgedanken: |
Beide Mannschaften gehen unverändert in die zweite Halbzeit …
… und spielten nun auf ihre jeweiligen verwaisten Fankurven zu, doch Nord und Süd gaben alles und begrüßten den VfL zur zweiten Halbzeit erneut mit Standing Ovations.
Ecke in der 47. Minute für den VfL. Der großartige Kerk bringt den Ball von rechts weit in den Strafraum. Santos stürmt aus gut zehn Meter Entfernung von hinten heran und köpft den Ball mit einem Hechtsprung aus sechs, sieben Metern wuchtig in die Maschen. 2:0! Was für ein Stürmer!
Kurz darauf semmelt Taffertshofer einen Flankenball von Maina nur wenige Zentimeter über das eigene Tor. Das war knapp! Hannover schlägt nun einen härtere Gangart ein. Nach einem Gelbfoul von Franke, zieht Amenyido den fälligen Freistoß knapp am linken Pfosten vorbei.
Nach einer Stunde Spielzeit …
… fragte man sich, ob 96 wie schon im letzten (Geister-)Spiel an der Brücke noch einmal zurückkommen könnte. Damals gewannen die Hannoveraner nach zweimaligen Rückstand sogar 4:2, doch der VfL wirkt heute gefestigter. In der 72. Minute sogar fast das 3:0: Hult lenkt einen harten Schuss von Ihorst knapp am Pfosten vorbei ins Toraus.
Die Abwehr steht wie eine Eins und Hannover findet keine Mittel gegen das Osnabrücker Bollwerk. Und wird die Abwehr mal überwunden, steht da „Kühn! Kühn! Kühn!“ im Tor.
Als der VfL das Spiel zu diesem Zeitpunkt recht souverän unter Kontrolle hat, kommt Hannover in der 92. Minute durch einen Flugkopfball von Ducksch zum Anschlusstreffer, doch der VfL ließ sich nicht mehr die Butter vom Brot nehmen.
Fazit
Der VfL ließ die Hannoveraner mit einem selbstbewussten Auftritt von Anfang an spüren, wer Chef an der Brücke ist, denn „hier regiert der VfL!“. Mit Christian Santos hat der VfL einen Stürmertyp, einen echten Neuner verpflichtet, wie ihn Osnabrück tatsächlich schon lange nicht mehr gesehen hat, doch der Sieg beruht ganz klar auf einer geschlossenen Mannschaftsleistung.
Am kommenden Freitag muss der VfL zum Namensvetter nach Bochum, wo einen zumindest die schönste Vereinshymne Deutschlands erwartet, auch wenn das Ruhrstadion selbst so gut wie leer bleiben sollte.
Zahlen, Daten & FaktenZuschauer: 3.200, die gehörig Lärm machten Tore: Gelbe Karten: VfL Osnabrück: Hannover 96: Esser, Muroya (73. Evina), Franke, Hübers, Hult (73. Twumasi)- Kaiser, Bijol, Frantz (61. Schindler) – Haraguchi, Duck, Majna (61. Weydandt) Schiedsrichter: Arne Aarnink (Nordhorn) |
Tabellarisches
Die Tabelle ist derzeit so aussagekräftig wie eine Rede von Christian Lindner auf dem FDP-Parteitag, dennoch wird der VfL auch nach dem zweiten Spieltag auf keinem Abstiegsplatz, sondern eher ganz weit oben stehen.
Von unbestechlicher Aussagekraft hingegen ist, wie wir alle wissen, die Kickerformtabelle und nicht nur ich frage mich, wann sie endlich zur offiziellen Tabelle erklärt wird. Hannover war nach dem ersten Spiel übrigens auf Platz sechs (3,17) der VfL auf neun (3,36).[speaker-mute]
Die aktuelle Tabelle:
Titelfoto: imago images / foto2press
Kalla Wefels Saisonrückblick 2019/20 erschien im aufwändigen A-4-Format und ist unter anderem bei Bücher Wenner erhältlich. Dietrich Schulze-Marmeling schreibt in seinem Vorwort: “Herausgekommen ist ein großartiges Saisonbuch. Eigentlich ist es weit mehr als das …” Um die Spielberichte herum ranken sich Reportagen, “Halbzeitgedanken”, Hintergrundberichte, Fankommentare und Kolumnen.
160 Seiten A-4-Format / 12,00 €
Kalla saß mit zwei Jahren zum ersten Mal auf der Trainerbank des VfL, und zwar auf dem Schoß seines Vaters „Doc“ Wefel, der 34 Jahre lang Mannschaftsarzt und Vorstandsmitglied war.
Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Jupp Heynkes, Gerd Müller, Paul Breitner, Lothar Matthäus, Diego Maradona und Kalla Wefel hatten denselben Fußballtrainer, nämlich Udo Lattek, der einst bei Familie Wefel ein und aus ging. Diese und viele weitere skurrile, heitere und ernste Geschichten und Anekdoten um den VfL lassen sich in seinen Büchern „Mein VAU-EFF-ELL!“ und „111 Gründe, den VfL Osnabrück zu lieben“ nachlesen. Die von ihm 2010 mit viel Aufwand produzierte CD „Wir sind der VfL“ wurde 5.000 mal verkauft und der komplette Erlös (etwa 30.000 €) ging an terre des hommes. Seine VfL-Heimatabende sind legendär. Mit „Kär, Kär, Kär!“ schrieb er das nach der Bibel und „Mein Kampf“ meistverkaufte Buch Osnabrücks. Mit “Der VfL in der Saison 2019/20” hat er ein neues Format entwickelt, das von nun an jährlich erscheinen soll. Seit über vierzig Jahren arbeitet er professionell als Journalist und Buchautor sowie als Kabarettist und Musiker.[/speaker-mute]