Wussten die Fachleute des RKI und die Politik bereits frühzeitig über die geringe Schutzwirkung der Corona-Impfungen Bescheid? Eine erste Analyse geleakter „RKI-Files“ durch unsere Redaktion lässt diesen Schluss zu – mit direktem Bezug zu Osnabrück, an einem Tag, an dem der damalige Bundesgesundheitsminister öffentlich noch ein anderes Bild von der Wirksamkeit der Corona-Impfungen zeichnete, der angeblichen „Pandemie der Ungeimpften“.
Die u.a. über das Portal X (Twitter) verbreiteten Dokumente beschreiben in einem Eintrag vom 14. Mai 2021 mehrere Todesfälle unter vollständig geimpften Bewohnern eines Osnabrücker Pflegeheims. Ein Vorfall, der von den RKI-Experten als „bemerkenswert“ bezeichnet wurde, aber nicht zu einer Neubewertung der Wirksamkeit der Impfkampagne führte.
Im Gegensatz zu einem Fall aus dem Februar desselben Jahres, bei dem es ebenfalls in einem Altenheim im Landkreis Osnabrück zu Corona-Infektionen bei geimpften Bewohnern kam, wurde der vorliegende Fall bislang in seiner Tragweite nicht öffentlich gemacht.
Der große Unterschied zwischen dem Ausbruch im Februar in Belm (der übrigens ausweislich der vorliegenden Protokolle auch beim RKI diskutiert wurde) und dem Ausbruch aus dem Mai 2021 ist die hohe Zahl an Todesfällen unter den trotz Impfung infizierten Personen.
Zahlreiche Tote unter Geimpften: Für das RKI eine „Besonderheit“
Der Fall, der in einem nicht näher bezeichneten Osnabrücker Pflegeheim passiert sein soll (ursprünglich unter „Saarbrücken“ vermerkt, dann aber korrigiert zu „Osnabrück“), wird in dem unserer Redaktion vorliegenden Protokolleintrag mit dem Wort „Besonderheit“ eingeleitet. Unter den Teilnehmern der als Videokonferenz durchgeführten Sitzung des Krisenstabs war auch der damalige RKI-Chef Lothar Wieler.
Insgesamt, so das vorliegende RKI-Protokoll, sollen in dem Pflegeheim von 45 Personen 19 positiv getestet worden sein – davon waren 18 der Positiven bereits „vollständig geimpft“. Aus dieser Gruppe waren zum Zeitpunkt des Protokolleintrags bereits sieben verstorben. Als Erklärung für die hohe Sterblichkeit unter den Geimpften reichte im Protokoll die Information, dass „alle mehrere Vorerkrankungen hatten und älter als 82 Jahre waren“.
In der folgenden Diskussion, in der es zu der protokollierten Bewertung „bemerkenswerter Ausbruch“ kam, wurde die Frage gestellt, ob der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung korrekt war und „welche Batches“ des von BioNTech/Pfizer gelieferten Impfstoffs verwendet wurden. Aber (Zitat RKI-Protokoll): „Selbst wenn Probleme nur mit 1 Batch, sind Zahlen hoch.“ Laut dem Bericht aus Osnabrück gab es keine Probleme mit der Kühlkette und auch keine Erschütterungen der Impfstoffe. Unter den Mitarbeitern selbst seien lediglich sieben von 55 erkrankt. Es sei nicht das gesamte Personal geimpft, heißt es weiter, ohne anzugeben, ob die erkrankten Mitarbeiter selbst geimpft waren. Der Ausnahmecharakter des Osnabrücker Falls aus dem Mai 2021 wird dadurch unterstrichen, dass es heißt: „Ähnliche Ausbrüche in Pflegeheimen mit Geimpften bereits bekannt? Ja, aber nur leicht symptomatisch.“ Eine serologische Untersuchung (ein Test auf Antigen/Antikörper-Reaktionen) lag zum Zeitpunkt des Protokolleintrags noch nicht vor; der Eintrag endet mit „Bislang nicht; Schwierigkeiten, an Seren zu kommen.“
Jens Spahn erklärte am gleichen Tag: „Impfstoffe wirken gut und sind sicher“
Noch am gleichen Tag erhielt der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) durch seinen Hausarzt im benachbarten Münsterland seine erste Impfung mit dem Impfstoff von AstraZeneca und erklärte: „Nach diesen langen Monaten der Pandemie fühlt es sich gut an, geimpft und damit geschützt zu sein. Alle bei uns zugelassenen Impfstoffe wirken sehr gut und sind sicher“ Am gleichen Tag, an dem man im Robert Koch Institut zu den auffälligen Todesfällen unter Geimpften in Osnabrück das Wort „bemerkenswert“ ins Protokoll schrieb.
Ebenfalls am 14. Mai 2021 erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gegenüber der dpa, dass man die Impfraten derart steigern müsse, „dass durch Ungeimpfte keine das Gesundheitssystem gefährdende Infektionsdynamik mehr ausgehen kann“.
Insbesondere auf der Plattform X wird dem damaligen Bundesgesundheitsminister wegen solcher Aussagen vorgeworfen eine faktisch falsche Darstellung einer „Pandemie der Ungeimpften“ verbreitet zu haben, obwohl er es hätte besser wissen müssen.
Wie gelangten die unzensierten ‚RKI-Files‘ an die Öffentlichkeit?
Seit Dienstag (23.07.2024) kursieren ungeschwärzte, vermutlich vollständige Protokolle des Corona-Krisenstabs beim Robert Koch Institut (RKI) auf zahlreichen Downloadseiten im Internet. Entsprechende Dateien wurden auch unserer Redaktion zugespielt. Das RKI selbst schreibt zu diesem Leak in einer ersten Stellungnahme, die Datensätze seien „weder geprüft noch verifiziert“. Ferner kündigt das RKI an, selbst „die verbleibenden Protokolle bis zum Ende der Krisenstabs-Sitzungen im Juli 2023 so schnell wie möglich zu veröffentlichen“ – ohne dafür einen Zeitrahmen zu setzen. Unsere Redaktion hat sich dazu entschlossen, den oben zitierten Eintrag vom 14. Mai 2021 aus den uns vorliegenden Leak-Dokumenten dennoch bereits jetzt zu veröffentlichen, da dieser Eintrag eine Neubewertung des im Sommer 2021 von offizieller Stelle noch verbreiteten Narrativs der „Pandemie der Ungeimpften“ zwingend nahelegt.
Journalisten sorgen dafür, dass RKI-Interna öffentlich werden
Für die Veröffentlichung des „RKI-Leaks“ sorgte die Berliner Journalistin Aya Velázquez, die sowohl die Einzelprotokolle als auch jahrgangsweise Sammeldokumente ins Netz gestellt hatte und darüber über X (ehemals Twitter) informierte. Die Veröffentlichung folgte nach einer durch das Magazin „Multipolar“ betriebenen Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Nachdem die herausgeklagten Protokolle im April erst stark geschwärzt veröffentlicht wurden, erfolgte im Mai eine erneute Veröffentlichung (hier beim RKI abrufbar) mit deutlich weniger Schwärzungen – wie die aktuellen Leaks zeigen, waren die bisherigen Veröffentlichungen jedoch im Umfang stark gekürzt.
Kommentar des Redakteurs:
Hatten die „Schwurbler“ vielleicht doch recht?
Hinweis: In einer ersten Version des Artikels stand in der Überschrift für kurze Zeit „neun Tote“, es waren aber „sieben“, wie im Artikel auch korrekt beschrieben.