Auch wenn die Politik der vergangenen zwei Jahre oft einen anderen Eindruck vermittelte: Organisieren können die Grünen – Spalten allerdings auch, selbst bei Wahlkampfveranstaltungen. Armbändchen regelten, wer sich in welchen Bereichen aufhalten durfte.
Bei der zentralen Wahlkampfveranstaltung der Osnabrücker Grünen am Mittwochabend bestand die ‚Spaltung‘ – man könnte es auch wohlmeinender als ‚Trennung‘ oder ‚Differenzierung‘ bezeichnen – in einem ausgeklügelten, wenn auch nicht ganz nachvollziehbaren System aus abgetrennten Bereichen vor der Bühne. Wobei die aus Swingerclubs oder von Viehauktionen bekannten verschiedenfarbigen Handgelenk-Bändchen für das reichlich eingesetzte Personal eines privaten Security-Services die Einordnung der unterschiedlichen Gästekategorien einfacher machte.
Wer kein Bändchen am Handgelenk vorweisen konnte – sich also im Vorfeld nicht angemeldet hatte und so auch nicht in eine der verschiedenen Kategorien eingeordnet worden war –, musste draußen bleiben und konnte nur über den Zaunrand der Rede von Ricarda Lang und ihren Vorrednerinnen folgen.
Ratsmitglied verließ wegen Armband-Regel die Veranstaltung
Dass die Swingerclub-Armbändchen und die mit ihnen einhergehenden Privilegien unnachgiebig kontrolliert werden, musste der als Blogger aktive Comedian Kalla Wefel, der auch über ein Mandat im Osnabrücker Stadtrat verfügt, unfreiwillig feststellen. Er wurde recht deutlich von einem der Securities in bewährter Türsteher-Manier (das entscheide ich, nicht Du) auf die geltenden Restriktionen hingewiesen. Sein Vergehen? Wefel hatte sich unerlaubt aus dem ihm von der Partei-Regie zugewiesenen Bereich bewegt. Herr Wefel erklärte gegenüber unserer Redaktion, dass er deswegen vorzeitig die Veranstaltung verlassen habe.*
Vorne der grüne Strandclub – draußen das Wahlvolk ohne Bändchen am Handgelenk
Im ‚inneren Kreis‘, ganz vorne auf etwa 50 Liegestühlen verteilt, sorgten die besseren Plätze für ein medial gut zu vermittelndes Bild einer entspannten Strandbar: der grüne Beachclub.
Hinter der ersten Absperrung war Raum für etwa 50-70 weitere Stehplätze. Im äußeren Bereich hatten sich dann nochmals etwa 80-100 Zuschauer eingefunden – darunter allerdings nur vereinzelt Kritiker.
Protestbanner, Buhrufe oder Trillerpfeifen, wie sie auf Videos von anderen Parteiveranstaltungen der Grünen zu sehen und hören sind, blieben in Osnabrück weitestgehend aus. Der Protest war still und kaum sichtbar – wenn auch am Rande feststellbar.
Bevor die Hauptrednerin, die Bundestagsabgeordnete und Parteivorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, endlich die Bühne betrat, war Geduld gefragt. Erst durfte noch Landrätin Anna Kebschull über die aktuellen Herausforderungen und Auswirkungen der Europapolitik auf die lokale Ebene referieren und abschließend daran erinnern, dass am 23. Mai das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag feiert.
Anne Kura wollte die Bühne gar nicht mehr verlassen
Nach einer musikalischen Unterbrechung bekam Ratsmitglied und Landtagsabgeordnete Anne Kura die Bühne für sich und schien sie nach der wohltuend kompakten Rede ihrer Vorrednerin gar nicht mehr verlassen zu wollen – so viele Stichwortzettel mussten abgearbeitet werden. Erst als alle Details über Kuras Studienortwahl, das Studium in Osnabrück, ein Praktikum in Brüssel und andere Auslandsaufenthalte, eine Parabel über Fische und Wasser, der Umweltschutz als Staatsziel, Gleichberechtigung und Kuras persönliche Ansichten zum Grundgesetz (ja, es wird morgen 75 Jahre alt) abgearbeitet waren, konnte es endlich im Programm weitergehen.
Ricarda Lang kam erst nach einer Stunde auf die Bühne
Nach weiteren musikalischen Pausenfüllungen – knapp eine Stunde nach Beginn der Veranstaltung – kam also endlich Ricarda Lang auf die Bühne. Und Ricarda Lang lieferte ab!
Doch wer überwiegend Ausführungen über Europapolitik oder den Markenkern der Grünen, Umweltschutz und Klimapolitik (Pazifismus ist ja faktisch inzwischen gestrichen) erwartete, wurde zumindest teilweise enttäuscht. Zwar beteuerte die Spitzen-Grüne, dass sie aufzeigen wolle, wofür Grüne Politik stehe, in weiten Teilen lieferte sie aber vor allem Argumente, die ihrer Ansicht nach gegen die AfD sprechen würden.
Mit Formulierungen wie „die Nazis von der AfD“ relativierte Ricarda Lang immer wieder den real stattgefundenen Mord an Juden und Andersdenkenden und die anderen historischen Verbrechen der Nationalsozialisten, um ein Bild von „hier die Demokraten“ und „dort die Nazis“ (also die AfD) zu zeichnen. Nachdem mit „die AfD ist die Partei der Diktatoren“ ein weiterer Superlativ für den politischen Gegner gefunden wurde, erklärte sich Lang selbst – nicht weniger überzeichnet und von den politischen Realitäten entfernt – zur „Vorsitzenden einer Friedenspartei“ und verstieg sich zu der Aussage, dass es besser sei, „lieber 100 Tage am Verhandlungstisch, als nur eine Nacht im Schützengraben“ zu verbringen – deutlich die Positionen zahlreicher Parteikollegen, allen voran Anton „Panzer-Toni“ Hofreiter, ausklammernd.
Drei Fragen von nicht genannten Fragestellern
Bevor noch allerlei Selfies mit den zuvor im inneren Sicherheitsbereich platzierten geladenen Gästen gemacht werden konnten, wurden von Maximilian Strautmann noch drei ausgewählte Fragen verlesen – jedoch ohne die (angeblichen) Fragesteller namentlich zu nennen. So konnten auch noch die Stichworte ‚Bauernproteste‘ (Cem Özdemir hat da ein paar tolle Ideen), ‚Fachkräftemangel‘ (wer denkt an die Frauen?) und ‚europäischer Greendeal‘ (der muss vor den konservativen Parteien geschützt werden) abgearbeitet werden.
Schwierig, wenn Ricarda Lang kein Kontra bekommt
Alles in allem – der Titel dieses Artikels beschreibt es bereits – hat Ricarda Lang ordentlich abgeliefert.
Der Beobachter dieser Redaktion vermisste allerdings – weil man Ricarda Lang ja sonst vor allem aus Politik-Talkshows kennt – mindestens einen anderen ‚Studiogast‘, zumindest aber einen Talkmaster wie beispielsweise Markus Lanz, der den Redefluss und die teilweise etwas extreme Weltsicht und Selbsteinschätzung der Grünen-Vorsitzenden wieder in geordnete Bahnen hätte lenken können.
Positiv hervorzuheben ist, dass die politischen Gegner der Osnabrücker Grünen in den Kommentarspalten der sozialen Medien zwar ‚bellen‘, aber die Veranstaltung an diesem Mittwochabend ungestört durchgeführt werden konnte. Ein gutes Zeichen für die Friedensstadt und die Demokratie!
Dieser Beitrag wurde zusätzlich auch als ‚Meinungsbeitrag‘ gekennzeichnet, da es nicht ausbleibt, dass bei der Betrachtung einer politischen Veranstaltung auch persönliche Eindrücke mit Einfluss in den Artikel finden.
* in einer ersten Version dieses Artikels war von einem „Rausschmiss“ die Rede. Herr Wefel meldete sich aber nach der Veröffentlichung bei unserer Redaktion und stellte fest, dass er selbst entschieden habe die Veranstaltung zu verlassen, nachdem er durch einen Security-Mitarbeiter darauf hingewiesen worden war, dass seine Bewegungsfreiheit entsprechend des ihm zugewiesenen Armbändchen-Status beschränkt wurde.