Ganz Niedersachsen steht unter strenger Kontrolle der 2G-Plus-Regel – ganz Niedersachsen? Nein, die 50 Ratsmitglieder, das gute Dutzend bei einer Ratssitzung anwesender Verwaltungsvertreter und die oftmals auch rund 50 Besucher können die 2G-Plus Regelung bei der Ratssitzung an diesem Dienstag (ab 17:00 Uhr) getrost ignorieren.
Während einem Gastronomen oder einem Kinobetreiber inzwischen ein Strafbefehl in Höhe von bis zu 20.000 Euro droht, wenn er sich über die seit vergangener Woche geltende Regelverschärfung hinwegsetzen würde, tagt der Stadtrat munter weiter unter der ansonsten zwischen Nordseeküste und Harz überholten 3G-Regelung.
Für Geimpfte und Genesene reicht also für den Besuch einer Ratssitzung ein einfacher Impf- bzw. Genesenen-Nachweis. Impfverweigerer dürfen sich weiterhin auch nur mit einem Schnelltest bestückt in der OsnabrückHalle aufhalten.
Unsere Redaktion fragte nach, warum für die Lokalpolitik nicht gilt, was bei manch einem Kleinunternehmer inzwischen wieder Existenzangst auslöst und sogar zum Abbruch des als Freiluftveranstaltung angemeldeten Weihnachtsmarkts führte.
Zu den Fragen unserer Redaktion erklärt Dr. Sven Jürgensen, Pressesprecher der Stadt Osnabrück:
Müsste [die Ratssitzung] als öffentliche Veranstaltung mit mehr als 15 Teilnehmern in Niedersachsen nicht unter Beachtung von „2G-Plus“ stattfinden? Falls nicht, warum ist das so?
Nein, bei den Regelungen der Corona-Verordnung sind Sitzungen von kommunalen Gremien wie Rat und Fachausschüsse ausgenommen.
Die Landesregierung hat allerdings deutlich gemacht, dass für Rats- und Ausschusssitzungen auf dem Wege der Anwendung des Hausrechts Vorgaben wie z.B. 3G und Maskenzwang gemacht werden können. Die Oberbürgermeister:innen in Niedersachsen haben sich deshalb darauf verständigt, in den Rats- und Ausschusssitzungen nach Möglichkeit die 3G-Regel anzuwenden. Aufgrund dieser Empfehlung ist vom Ratsvorsitzenden angeordnet worden, dass heute 3G und FFP2-Maskenzwang (während der gesamten Sitzung) gilt.
Können Ratsmitglieder auch der Sitzung fernbleiben und ihren Redebeitrag und ihr Abstimmungsverhalten elektronisch übermitteln? Falls nicht, warum ist das so?
Nein, grundsätzlich gilt laut Kommunalverfassungsgesetz eine Anwesenheitspflicht.
Es gibt eine Ausnahmemöglichkeit im Kommunalverfassungsgesetz, dass bei einer pandemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite den Rats- und Ausschussmitgliedern die Teilnahme per Videokonferenz ermöglicht werden kann.
Bis zum Auslaufen der pandemischen Lage von nationaler Tragweite am 25.11.2021 konnte diese Ausnahmemöglichkeit angewendet werden. Dieses ist in Osnabrück für die Sitzungen der Ausschüsse auch geschehen. Zahlreiche Mitglieder haben dort per Videokonferenz an den Sitzungen teilgenommen. Für die Ratssitzungen wurde diese Regelung nicht angewendet, da durch die Nutzung des Europasaals der OsnabrückHalle sehr große Abstände gewährleistet werden können.
Warum wird die Veranstaltung überhaupt noch für das Publikum zugänglich gemacht, wo doch durch das Streaming die Öffentlichkeit hergestellt wird?
Nach der Kommentierung zur Kommunalverfassung ersetzt die Bereitstellung eines Livestreams nicht die Verpflichtung für die Kommune, Zuschauer im Sitzungsraum zulassen zu müssen.
Vielen Dank Herr Dr. Jürgensen.
Kommentar des Redakteurs
Erneut zeigen Lokalpolitiker eine unfassbare Arroganz gegenüber der Bevölkerung. Bereits zu Beginn der Pandemie zeigte unsere Redaktion, wie in Ausschusssitzungen die seinerzeit geltende Maskenpflicht ignoriert wurde. Auch im Mai 2020 bezogen sich die Feierabendpolitiker auf Sonderregelungen, die sie sich von ihren Parteifreunden im Landtag haben geben lassen. Freiwillig trotzdem die für alle anderen Bürger geltenden Regeln einhalten? Doch nicht für unsere Lokalpolitiker!
Digitalisierung scheint zudem weiterhin Neuland zu sein. Wieso wurde während der inzwischen fast zwei Jahre währenden Pandemie kein sicheres Ende-zu-Ende verschlüsseltes Abstimmungssystem eingerichtet, das auch dezentrale Sitzungen ermöglicht? Warum wurden die entsprechenden rechtlichen Grundlagen nicht geklärt, damit die anachronistische Anwesenheitspflicht im Ratssitzungssaal zumindest während der derzeitigen Ausnahmesituation nicht mehr gelten muss?
Und was die Besuchsmöglichkeit der Ratssitzung für Bürger angeht. Ja, nur vor Ort kann man wirklich die dynamischen Prozesse in den Fraktionen wirklich nachvollziehen, aber wir haben inzwischen immerhin ein funktionierendes Streaming aus den Ratssitzungen, da sollte der Gesundheitsschutz eindeutig vorgehen.
Zusammengfasst: Die Lokalpolitik hat einen weiteren Beweis dafür erbracht, dass es ihr an Bodenhaftung fehlt. Die Verwaltung hat in Sachen Digitalisierung ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Traurig!
Unsere Redaktion wird vorerst auf eine Anwesenheit am Pressetisch verzichten – dafür gibt es den Livestream aus dem Ratssitzungssaal!
PS: Ausgerechnet heute (7.12.2021, Stand 17:10 Uhr) funktioniert der Livestream übrigens nicht! #Neuland
Nachtrag: gegen 17:15 Uhr wurde dann doch noch ein Livestream gestartet.
Titelfoto: Screenshot der Startseite des Streamingangebots für Ratssitzungen in Osnabrück