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Osnabrück und seine Einwohnerzahl –
welche Zahlen stimmen denn tatsächlich?

[Update 07.07.2015 / 18:20]

Wir haben ein Update aus der Verwaltung erhalten.
Nach Angaben von Frank Westholt aus dem Team Strategische Stadtentwicklung und Statistik wurde die „alte“ Bevölkerungsprognose vom Server ersatzlos gelöscht, weil es eine neue Version von 2013 gibt – die jedoch unter einer anderen URL (hier als PDF) abgelegt wurde.

Der städtische Statistikprofi erklärte uns auch gleich warum es nach 2009 so steil bergauf ging mit den Einwohnerzahlen in der aktuellen Prognose: „Der Grund für die unterschiedliche Darstellung zwischen den Prognosen liegt in der sehr heterogenen Entwicklung der Einwohnerzahlen (laut Melderegister) vor und nach 2009. Vor 2009 gingen die Bevölkerungszahlen kontinuierlich und mit nur geringen Schwankungen zurück, ab 2009 wurde jedoch ein deutlichen Anstieg von Jahr zu Jahr verzeichnet. Da eine Prognose zum Teil auf der historischen Entwicklung beruht, hat diese einen wesentlichen Einfluss auf die angenommene Bevölkerungsveränderung. 2009 war die Datenlage eher pessimistisch und deswegen sahen die Ergebnisse schlechter aus. Als man in den Folgejahren die entsprechenden Wachstumszahlen aus dem Melderegister ablesen konnte, wurde die Prognose angepasst, um sich der Wirklichkeit anzunähern. Die Entwicklung der Zahlen kann man auf Seite 4 der aktuellen Prognose übrigens auch nachlesen.“

Trotz inzwischen wohl deutlich optimistischerer Betrachtung der Entwicklung, kam aber selbst die Bevölkerungsprognose von 2013 nicht mit der tatsächlichen Entwicklung mit – selbst wenn man den zusätzlichen Boost der Zweitwohnsteuer herausrechnet.

bevoelkerungsprognose-aktuell-osnabrueck


 

Erinnert sich noch jemand an den Aufschrei quer durch alle Parteien, als 2013 die Ergebnisse der Volkszählung „Zensus 2011“ bekannt wurden?

Angeblich verlor Osnabrück mehr als 10.000 Einwohner

Schnell wurde von den Lokalpolitikern gefordert man solle vor Gericht klagen! Das amtlich ermittelte Ergebnis von „nur“ 153.699 Einwohnern könne ganz einfach nicht stimmen.

Symbolbild: Anmeldebogen des Einwohnermeldeamtes
Eine Ummeldung von „Mama & Papa“ nach Osnabrück… machten bis vor kurzem zu wenig Studenten.

Nach Auffassung des Stadtrates hätten es weit über 10.000 Osnabrücker mehr sein sollen (in Summe: 165.021)!

So ganz sicher mit der fehlerhaften Volkszählung schien man sich im Stadtrat aber auch nicht zu sein. Es mussten Maßnahmen her um zusätzlich auch neue Osnabrücker zu finden und hier anzusiedeln.

Hektisch wurden im Herbst 2013 von der CDU neue Baugebiete gefordert, die SPD forderte schnell bestehende Baulücken zu schliessen, Grüne und FDP stritten sich um den längst vollzogenen Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft OWG und die Linke wollte eine solche Gesellschaft gleich wieder neu gründen.

Gekränkte Eitelkeit und gekürzte Zuschüsse

Niemand stellte die naheliegende Frage: hatte Osnabrück – außerhalb des inner-niedersächsischen Schwanzlängenvergleichs Wettbewerbs zwischen Oldenburg, Braunschweig und Osnabrück – tatsächlich jemals die magische Grenze von über 160.000 Einwohnern überschritten?

Woher kam die Zahl von angeblich 165.021 Einwohnern?

Neben regelmässig aus der Landeshauptstadt sprudelnden Finanzmitteln, die an der Einwohnerzahl festgemacht werden, schien es in der Debatte auch immer darum zu gehen, welches „Metropölchen“ denn nun den Titel „drittgrößte Stadt Niedersachsens“ tragen dürfe. Also im Lokalderby: Osnabrück vs. Oldenburg.

Glaubt man den Protokollen der damaligen Ratssitzungen und den archivierten Berichten der Lokalzeitung (Abruf ggf. gebührenpflichtig), dann scheint die Sache klar: die blöde Zensus-Volkszählung hat Osnabrück mehr als 10.000 Einwohner gestrichen und uns um die Bronze-Platzierung im niedersächsischen Provinz-Ranking gebracht!

Selbst die Landesregierung in Hannover, in Gestalt des frisch vom Oberbürgermeister zum Innenminister mutierten Boris Pistorius (SPD), verbreitete in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage die traurige Geschichte des mit -6,4% bezifferten Exodus in der Heimatstadt des Neu-Ministers.

Die Stadt hatte ganz andere Zahlen auf Ihrem Webserver

Hätten die in ihrer Enttäuschung vereint gegen den Zensus streitenden Kommunalpolitiker doch nur mal auf den Webserver der Stadt Osnabrück geschaut.

Dort lag seit mindestens Juni 2012 ein Dokument zum Download bereit, das ganz deutlich und offenbar amtlich bestätigt von einer Einwohnerzahl deutlich unter 160.000 berichtete.
In der „Bevölkerungsprognose für die Stadt Osnabrück“ (Stichtag 31.12.2009) wird die ermittelte Bevölkerungszahl mit exakt 155.328 Einwohnern beziffert – Tendenz: fallend!
Nur knapp anderthalb Jahre nach dem Stichtag der Bevölkerungsprognose, also im Mai 2011, ermittelte die Volkszählung „Zensus 2011“ für Osnabrück 153.699 Einwohner. Eine Zahl also, die gar nicht so weit von den auf dem städtischen Webserver schlummernden Daten entfernt lag. War die tatsächliche Differenz doch nur wenige hundert Einwohner groß?

Warum wurde die Bevölkerungsprognose gelöscht?

Mindestens seit 2012 standen in diesem zwischenzeitlich vom städtischen Webserver gelöschten Dokument Einwohnerzahlen, die ganz dicht am ergebnis der Volkszählung "Zensus 2011" lagen. Warum wurde es gelöscht...?
Mindestens seit 2012 standen in diesem zwischenzeitlich vom städtischen Webserver gelöschten Dokument Einwohnerzahlen, die ganz dicht am Ergebnis der Volkszählung „Zensus 2011″ lagen. Warum wurde es gelöscht…?

Bereits im Februar 2011 fragte HASEPOST-Gründer Heiko Pohlmann bei der Stadt an, warum in der öffentlichen Debatte immer um eine Zahl deutlich über 160.000 Einwohner gestritten würde, obwohl auf dem städtischen Webserver ein Dokument mit ganz anderen Zahlen bereitlag.

In einer E-Mail vom 14.02.2014 erhielt der städtische Pressesprecher Dr. Sven Jürgensen, neben der Bitte um Aufklärung der erheblichen Diskrepanz der im Raum stehenden Bevölkerungszahl, auch die URL* unter der das fragliche Dokument auf dem städtischen Server öffentlich abgelegt war.
Eine Antwort auf diese Anfrage erhielt Pohlmann jedoch nicht!
Allerdings muss es daraufhin zu einer „Säuberungsaktion“ auf dem städtischen Webserver gekommen sein, denn spätestens im April war das dort jahrelang verfügbare Dokument verschwunden.

Der Löschvorgang geht aus den Zeitstempeln der „Wayback Machine“ hervor, einer Datenbank, die weite Teile des Internets regelmässig archiviert. Dort steht das vom städtischen Webserver gelöschte PDF-Dokument auch heute noch zum Download bereit (das Internet vergisst nie!).

Klage gegen den Zensus auf niedriger Basis eingereicht

Während die Presseanfrage unbeantwortet blieb und man vielleicht meinte mit der Löschaktion die Diskrepanzen aus der Welt geschafft zu haben, wurde im Mai 2014 schliesslich von der Verwaltung die von den aufgebrachten Stadträten zuvor geforderte Klage gegen den Zensus eingereicht.
Schaut man sich die Berichterstattung über die Klageeinreichung in der NOZ an (Abruf ggf. gebührenpflichtig), findet man dort allerdings wieder eine neue Zahl. Von mehr als 165tausend Einwohnern war vor Gericht keine Rede mehr.
Die Stadt ist im Rahmen der Klageerhebung zwar weiterhin nicht einverstanden mit den im Zensus ermittelten Zahlen, aber es geht nun nicht mehr um die angeblich mehr als 10.000 verlorenen Einwohner oder um -6,4%, denen Ex-OB und Neu-Minister Pistorius im Juni 2013 öffentlich nachtrauerte: die beklagte Differenz betrug – bei nun offiziell 156.240 angenommenen Osnabrückern – lediglich noch 2.541 Einwohner.
Diese in der Klage gegen den Zensus verwendete Zahl ist erstaunlich nahe an den Zahlen der vom städtischen Webserver gelöschten Bevölkerungsprognose, die ja für 2009  von 155.328 Hasestadt-Bewohnern ausging.

2015 schon wieder über 160tausend Osnabrücker?

Mit Stichtag 1. Juli ermittelte die Stadt Osnabrück allerdings schon wieder eine Zahl die aus dem Rahmen fällt. Plötzlich hat Osnabrück nicht nur (erneut?) die 160tausender Marke geknackt, sondern will bereits 162.554 Einwohner gezählt haben.
Ein erstaunliches Ergebnis, wenn man sich anschaut wie 2013 in der öffentlichen Debatte ebenfalls mehr als 160.000 Einwohner „vermutet“ wurden, der Zensus 2011 nur 153.699 ermittelte und vor Gericht auch nur 156.240 angegeben werden (jeweils Stand Mai 2011).
Stimmen diese Zahlen, dann hat Osnabrück – egal ob die Stadt 2011 nun fast 154tausend oder gut 156tausend Einwohner hatte – einen enormen Bevölkerungszuwachs erfahren. Mindestens 6.000 Neubürger in nichteinmal vier Jahren! Allerdings immer noch weniger als die 2013 so vehement behaupteten über 165tausend Einwohner.

Erfolgsfaktor „Zweitwohnsitzsteuer“

Unbestritten wird die in diesem Jahr eingeführte Zweitwohnsteuer zu diesem rasanten Wachstum beigetragen haben (HASEPOST berichtete hier und hier).
Auch Oberbürgermeister Wolfgang Griesert erklärt dies so: „Seit dem 1. April gilt die Zweitwohnsitzsteuer und die hat offensichtlich viele in Osnabrück lebende Menschen motiviert, ihren Erstwohnsitz hier anzumelden. Und genau das haben wir mit der Einführung dieser Steuer auch bezweckt.“

Mehr Hauptwohnsitze, weniger Nebenwohnsitze

Nach Angaben der Stadtverwaltung ist die Zahl der Nebenwohnsitze seit Beginn dieses Jahres deutlich zurückgegangen: Hatten zum 31. Dezember 2014 noch 9.269 Personen einen Nebenwohnsitz in der Stadt angemeldet, waren es zum 30. Juni 2015 nur noch 2.591. Ein großer Teil dieser Personen hat den Zweitwohnsitz abgemeldet, da die Einträge im Register nicht mehr ihrer aktuellen Wohnsituation entsprachen. Ein anderer Teil hat sich jedoch offensichtlich für die Ummeldung entschieden. Vorausgegangen war im Januar ein Schreiben der Stadt an alle Nebenwohnsitzinhaber, in dem auf die Steuer hingewiesen wurde. Daraufhin haben bisher 1.715 Personen ihren Nebenwohnsitz in einen Hauptwohnsitz geändert. Sie sind jetzt also dort gemeldet, wo auch ihr Lebensmittelpunkt ist: in Osnabrück.

Von der Richtigkeit der jetzt veröffentlichten Zahlen ist man im Rathaus offenbar überzeugt. Die Verwaltung verkündet „das städtische Melderegister ist eindeutig: jede Person, die sich anmeldet, wird gezählt, und jede, die sich abmeldet, wird ebenfalls gezählt“.
Warum man trotz angeblich eindeutiger Zählung 2013 im Osnabrücker Stadtrat und im hannoverschen Landtag noch mehr als 10.000 fehlende Osnabrücker beklagte, wird so nicht klar.

Bevölkerungsprognose Osnabrück
Die Bevölkerungsprognose 2010 war pessimistisch: die Einwohnerzahl wird sinken – nicht steigen.

Eine neue mutige Prognose: 167.000 in 2020

Das Presseamt der Stadt wagt sich in einer aktuellen Pressemeldung weit aus dem Fenster, der Rat habe „ein klares Wachstumsziel ausgegeben: 2020 soll Osnabrück mindestens 167.000 Einwohner haben!“
In der zwischenzeitlich von den Webservern der Stadt gelöschten Bevölkerungsprognose war man da noch deutlich vorsichtiger: 2010 ging die Verwaltung noch von einem deutlichen(!) Rückgang der Bevölkerungszahl aus. Für das aktuelle Jahr 2015 prognostizierte man (ohne den Sonder-Effekt Zweitwohnsteuer) 154.650 Einwohner und für 2020 sogar nur 152.780 Osnabrücker.
Begründet wurde der Rückgang mit unbestrittenen Fakten: die Geburtenrate sinkt, die Bevölkerung wird älter – und alte Menschen sterben irgendwann.

Am Ende dann doch ein wenig Klarheit im Zahlen-Dschungel?

Pressesprecher Dr. Jürgensen, bei dem wir nochmals nachgefragt haben warum man denn nun so optimistisch sei, sieht vor allem auch die Zweitwohnsteuer als Motor der Entwicklung: „Damals wusste noch keiner etwas von der Zweitwohnsitzsteuer. Außerdem sind Prognosen, wie soll ich sagen, Prognosen, hingegen die Zahl, die wir nun veröffentlicht haben, den IST-Zustand anzeigt.“
Und auch das Rätsel, aus welcher Statistik die 2013 so bitter beklagte (falsche) Zahl von mehr als 165tausend Osnabrücker entstammt, kann der Stadtsprecher lüften, es wäre die „amtliche Zahl des Landes, die immer schon erheblich abgewichen ist von der Zahl des Einwohnermeldeamtes“, so Jürgensen auf Nachfrage.

Na Hauptsache jetzt sind alle Zahlen auf einem Stand – wer weiss wann die EU wieder einen Zensus organisiert. Das Internet vergisst nie…

 

*http://osnabrueck.de/images_design/Grafiken_Inhalt_Rathaus_online/Bevoelkerungsprognose_Stadt_Osnabrueck_2010_-_2025.pdf (ursprüngliche URL, nicht mehr erreichbar, hier archiviert verfügbar).

Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Heiko Pohlmann.


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Christian Schmidt
Christian Schmidt
Christian Schmidt sammelte seine ersten journalistischen Erfahrungen an der Leine, bevor es ihn an die Hase verschlug. Auf den Weg von Hannover nach Osnabrück brachte ihn sein Studium an der Universität Osnabrück, das ihm (zum Glück) genügend Zeit lässt, den Journalismus als "Talentberuf" zu erlernen. Neben der Hasepost, gehören einige Fachzeitschriften aus dem Bereich Bau und Architektur zu den regelmässigen Abnehmern seiner Artikel. Direkte Durchwahl per Telefon: 0541/20280-370.

  

   

 

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