Syed S. fordert Gerechtigkeit. / Foto: No Lager Osnabrück
In einem offenen Brief schildert Syed S.* seine Erlebnisse im Lager der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen in der Sedanstraße. Der 58-Jährige, der aus Pakistan geflohen ist, offenbart dabei Missstände im Lager. Nach rassistischen Übergriffen von Sicherheitskräften fordert er Gerechtigkeit.
Seit Monaten prangere Syed S. die Missstände im Lager an und hat Kontakt zur Initiative No Lager Osnabrück und zum Flüchtlingsrat Niedersachsen aufgenommen. „In dem Lager sollen die Menschen ohne Stimme sein. Doch ich mache den Mund auf, auch für alle anderen Geflüchteten dort“, wird er in einer Mitteilung zitiert. Der Brief solle auf die Missstände am Standort Osnabrück aufmerksam machen. Konkret gehe es unter anderem um mangelhafte und unzureichende Essensversorgung, respektlose und beleidigende Behandlung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bedrohungen und Gewalt durch Sicherheitspersonal und die Ausbeutung geflüchteter Menschen im Rahmen der sogenannten 80-Cent-Jobs.
Der Brief in voller Länge
„Liebe Menschen aus Osnabrück,
mein Name ist Syed, ich komme aus Pakistan.
Ich wende mich an Euch, weil mir, weil uns keine andere Wahl bleibt. Die letzten fünf Monate, in denen ich im Lager in Osnabrück gelebt habe, war ich in einer sehr verletzlichen Situation. Ich war Diskriminierungen wie Rassismus ausgesetzt und wurde von Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes angegriffen. Hier nennen sie mich einen ‚illegalen Fremden‘. Das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen die Securities wurde nach kurzer Zeit eingestellt, weil die Täter*innen angeblich nicht ermittelt werden konnten. Es ist unfassbar: Ich habe die Täter*innen in meiner Aussage genau benannt. Ich habe den Eindruck, es wurde nur sehr oberflächlich ermittelt. Ich fordere die Wiederaufnahme glaubhafter und sorgfältiger Ermittlungen!
Die meiste Zeit gibt es keine angemessene und ausreichende Essensversorgung. Ich habe das Gefühl, niemand hier hält sich an die deutschen Gesetze und alle machen sich ihre eigenen Gesetze, Regeln und Richtlinien. Ich bin Krebspatient und gehe oft mit leerem Magen schlafen.
Ich habe der Management-Ebene des Lagers über die Sozialarbeiter*innen viele Briefe zukommen lassen, aber ich erlebe überhaupt kein Interesse, etwas zu verändern. Wisst ihr, kein Mensch verlässt sein Zuhause, es sei denn, dein Zuhause ist das Maul eines Raubtiers. Ich erinnere mich wie hart es war, mein Zuhause zu verlassen. Aber da war immer Hoffnung und ein Licht am Ende des Tunnels. Geflüchteter genannt zu werden, sollte das Gegenteil einer Beleidigung wie ‚illegale Fremde‘ bedeuten. Denn Geflüchtete sind keine Terrorist*innen, sie sind vielmehr sehr oft die ersten Opfer von Terrorismus, Verfolgung und Folter.
Als ich noch in Pakistan war, wurde ich bei meinem Namen genannt: Syed. Doch hier in Deutschland haben sie meinen Namen zu ‚Flüchtling‘ und zu ‚illegaler Fremder‘ geändert. Ich bin zuallererst ein Mensch, kein Flüchtling und kein Fremder! Wisst ihr, kein Mensch verlässt gerne sein Land, denn dein Land ist wie deine Mutter. Ich arbeite hart, doch egal was ich erreiche, ich befürchte, ich werde hier immer weiter ein Fremder und ein Flüchtling bleiben.
In meinem Heimatland riskiere ich durch Folter oder Kugeln getötet zu werden. In Deutschland werde ich durch Worte getötet, denn hier werde ich behandelt wie ein Tier. Wisst ihr, ich bin zu euch gekommen, um Schutz zu suchen, um Freiheit, Gerechtigkeit und Würde zu suchen. Um wieder atmen zu können. Denn ich bin nicht nur einem Ort, sondern auch tausend Erinnerungen entflohen. Ich möchte in Würde und Respekt leben. In diesem Moment bin ich der einsamste Mensch der Welt. Ich habe niemanden auf dieser Erde. Ich bin dieser Bedingungen so müde und verliere meine Hoffnung darauf, ein Leben leben zu können. Ich brauche eure Hilfe, bevor es zu spät ist.
Danke, Gott schütze euch! Syed S.”
Vor wenigen Tagen wurde Syed S. in eine andere Unterkunft gebracht. Er fordere weiter Gerechtigkeit und eine menschenwürdige Unterbringung aller geflüchteten Menschen.
Nicht die einzige Kritik am Osnabrücker Standort
Die Missstände, die Syed S. in seinem Brief benennt, decken sich laut der Initiative mit den Erfahrungen zahlreicher anderer Menschen, die bei No Lager Osnabrück aktiv sind oder sich an sie wenden. No Lager Osnabrück dokumentiert diese Zustände in den LAB-Standorten Hesepe und Osnabrück seit Jahren. Auffällig sei, dass zuletzt wieder deutlich mehr Menschen den Kontakt suchen und von Verschärfungen berichten, etwa durch eine erhebliche Überbelegung. Um den 58-Jährigen baut No Lager Osnabrück derweil ein Unterstützungsnetzwerk auf, auch, um ihn vor weiteren Schikanen zu schützen. „Immer wieder haben wir den Eindruck, dass geflüchtete Menschen, die sich in Lagern politisch betätigen oder kritisch äußern, Schikane erleben und schnell an andere Orte transferiert werden“, so Hanna von der Initiative. „Viele Menschen sind eingeschüchtert und haben große Angst, dass Beschwerden und Kritik negative Konsequenzen für sie haben könnten. Wir unterstützen alle, die sich intern oder öffentlich äußern wollen und kämpfen weiter für die Abschaffung aller Lager!“
No Lager hatte zuletzt Anfang November vor der Ausländerbehörde demonstriert. Dort protestierten sie gegen „unfaire, herabwürdigende Behandlung und Schikane durch die Ausländerbehörde Osnabrück“ und forderten „ein gutes Leben mit Perspektiven und Zukunft für alle“.
*Name geändert