Nicht die, die für den Stillstand auf Osnabrücks Straßen verantwortlich sind, sondern die „Nörgler“ machte Oberbürgermeister Wolfgang Griesert in seiner diesjährigen Handgiften-Rede als Problem aus.

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Eine persönliche Betrachtung der Handgiftenrede 2019 von Heiko Pohlmann

Wer die Hintergründe nicht kennt: Was ist „Handgiften“?

Wenn da nicht noch ein paar kritische Anmerkungen zu der von weiten Teilen der Regenbogenkoalition herbeigesehnten Wohnungsbaugesellschaft gewesen wären, hätte die diesjährige Rede des Oberbürgermeisters zum traditionellen „Handgiften“ vor den geladenen Honoratioren der Stadt, auch gut als Bewerbungsrede für die Aufnahme in die Regenbogenkoalition durchgehen können.

Auch zum Reizthema Neumarkt fand Griesert versöhnliche Worte. Nach Jahren des Stillstands und dem ewigen Hin und Her bei der Frage, ob der Neumarkt in Zukunft für den Individualverkehr noch passierbar sein wird, zeigte sich der Oberbürgermeister optimistisch, dass der Problemplatz bald ein neues Gesicht erhält.

Griesert erwartet baldigen Baubeginn für Shoppingcenter

Beim Baulos 2 beginnen schon bald die Bauarbeiten und wenn vom Investor Unibail-Rodamco-Westfield noch kurz vor knapp eingereichte Unterlagen bearbeitet worden sind, stünde auch dem Baubeginn des Shopping-Centers „Oskar“ nichts mehr entgegen.

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Nörgler und Social Media reden die Stadt schlecht?

Doch zuvor gab es eine Klatsche für Kaufleute, produzierendes Gewerbe und Handwerker. Ohne Namen zu nennen, kritisierte Griesert die von IHK und Handwerkskammer fortlaufend geäußerte und durch Mitgliederbefragungen gestützte Kritik an Verkehrspolitik und Baustellenkoordination in der Hasestadt.
Ein „alles halb so schlimm“, schimmerte aus Grieserts Betrachtung der Lage durch. In Osnabrück gäbe es Baustellenmanager mit „Wissen und Erfahrung“ und in anderen Großstädten wäre es ja auch nicht besser. Man müsse allerdings mehr tun und „um Verständnis werben“, warum es diese Baustellen gibt.
Dafür, dass die Situation in Osnabrück „schlecht geredet“ würde, machte der OB, neben den indirekt genannten Vertretern der Gewerbetreibenden, vor allem „Nörgler“ verantwortlich, die sich in sozialen Medien auslassen würden.

Oberbürgermeister Wolfgang Griesert
Oberbürgermeister Wolfgang Griesert

Griesert deutet Einbahnstraßen-Lösung für Rheiner Landstraße an

In Zukunft erwartet Wolfgang Griesert statt weniger Großbaustellen, vor allem viele kleine Baustellen im Stadtgebiet, um den laufenden und für die Entwicklung der Stadt notwendigen Ausbau des Breitbandnetzes voranzutreiben.
Mit der anstehenden Brückensanierung an der Hamburger Straße (zwischen Hbf und Hasepark) und den umfangreichen Bauarbeiten an der Rheiner Landstraße stehen uns allerdings erstmal noch zwei Großprojekte ins Haus. Griesert deutete dabei an, dass man von Seiten der Verwaltung weiterhin nach Möglichkeiten sucht die Rheiner Landstraße doch nicht voll zu sperren, sondern eine Einbahnstraßenlösung zu finden.

80 Millionen für Theatersanierung bringen Politiker in Erklärungsnot

Und auch bei der anstehenden Theatersanierung gab sich Griesert deutlich weniger kritisch, als man es zu Beginn seiner Amtszeit noch von ihm kannte. Dass der Stadtrat kurz davor steht 80 Millionen Euro für die erneute Sanierung der offenbar maroden Spielstätte zu genehmigen, erkannte das Stadtoberhaupt zwar als „alle bisher gekannten Dimensionen“ übertreffend an, doch würde die Summe ja nicht auf einen Schlag fällig und die Bauarbeiten würden erst in einigen Jahren beginnen.
Bis dahin müsse sich die Politik viele Fragen stellen lassen, vor allem von denen, die nicht ins Theater gehen.

Bei der Handgiftenrede 2015, als lediglich eine Summe von 20 Millionen Euro für die Renovierung des Theater im Raum stand, hatte Griesert sich noch deutlich kritischer positioniert und erklärt, dass derartige Forderungen dem Bürger „kaum noch zu vermitteln“ seien.

[Kleine Rechenspielerei des Redakteurs: Jeder Osnabrücker, vom Baby bis zum dementen Methusalem, wird für die Theatersanierung rein rechnerisch mit mehr als 470 Euro zur Kasse gebeten, teils auch indirekt über Landes- und Bundesmittel, die aber auch jemand als Steuer aufbringen muss]

Griesert stellte sich und den Anwesenden die rhetorische Frage, ob man sich die Hasestadt auch ohne das Theater vorstellen könne? Für sich beantwortete der Oberbürgermeister mit einem klaren „nein“ und stimmte damit mit der überwiegenden Ratsmehrheit überein, die neben Vertretern aus der Wirtschaft, der Kirchen und der Kultur, nahezu vollständig im Friedenssaal versammelt war.

Oberbürgermeister überraschte nur in einem Punkt wirklich mit einer konservativen Position

Neben einigen bekannten Positionen: Finanzlage (gut), Dieselfahrverbote (schlecht), Zusammenarbeit mit dem Landkreis (geräuschlos), Wirtschaftsförderung und Jungunternehmen (hoffnungsvoll) und Ehrenamt (toll), dürften Grieserts Äußerungen zum Wohnungsmarkt seine konservativen Anhänger (der OB ist Mitglied der CDU) darüber hinweggetröstet haben, dass er bei der der Baustellensituation und der Verkehrslage – vor allem aber bei der Neumarktfrage – wie ein Vorleser aus den 2016er Wahlprogrammen von SPD und Grünen gewirkt hatte.

Vonovia ist Partner der Stadt im Klimaschutz

Den Lokalpolitikern, die das Heil der Stadt in der Neugründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft suchen, brachte Griesert in Erinnerung, dass es bereits verschiedene genossenschaftliche und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften in der Stadt gibt, namentlich nannte Griesert das Heimstättenverein (HVO), die WGO und christliche Stephanswerk. Die in den vergangenen Wochen öffentlich oft scharf angegriffene Firma Vonovia bezog Griesert ausdrücklich als Partner der Stadt bei der Wohnraumversorgung mit ein. Wenn dort, zum Beispiel bei falschen Abrechnungen oder teuren Renovierungen falsch laufe, müsse das vor Gericht geklärt werden, aber Vorwürfe, dass ein privatwirtschaftliches Unternehmen auch Gewinne erzielen wolle, lies Griesert als „unangemessen“ nicht gelten. Nur im Miteinander mit der Vonovia – dem größten Vermieter der Stadt – sei es der Stadt möglich die energetische Sanierung des Wohnungsbestands im Sinne des Klimaschutzes durchzuführen.
Was die Neugründung einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft angeht, erinnerte Griesert daran, dass die dafür benötigten Grundstücke nur begrenztam Markt verfügbar sei, und überhaupt, in anderen Städten, die noch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft besitzen, gebe es trotzdem vergleichbare Probleme bei der Bereitstellung mit erschwinglichem Wohnraum.

Osnabrück jetzt mit mehr als 171.000 Einwohnern!

Als kleine Überraschung am Rande streute der Oberbürgermeister in seiner Rede eine Wasserstandsmeldung zu den aktuellen Einwohnerzahlen ein. Demnach waren zum Jahresende 2018 exakt 169.108 Einwohner in Osnabrück gemeldet (Vorjahr: 168.501). Bezieht man die Inhaber eines Zweitwohnsitzes mit ein, summiert sich die Einwohnerzahl aktuell auf 171.175.