Fast kann einem die niedersächsische Landesregierung schon leid tun. Im Frühjahr schafften es die Betreiber der Kinos Hall of Fame und Filmpassage die Kino-Verbotsverfügung des Landes Niedersachsen zu kippen, nun wird auch die umstrittene Gastronomie-Sperrstundenregelung aus der Hasestadt heraus zu Fall gebracht.
Wenn Montag nicht der regelmäßige Ruhetag im Irish Pub „The Red Shamrock“ in der Dielingerstraße gewesen wäre, dann hätte schon in dieser Nacht wieder fröhlich – wenn auch mit Abstand – gefeiert werden können. Das Verwaltungsgericht Osnabrück beseitigte dafür am Montagnachmittag die von der Landesregierung aufgebauten rechtlichen Hürden.
Am Dienstagabend öffnen die Türen wieder ab 18 Uhr, wie unsere Redaktion aus verlässlicher Quelle erfahren hat, und dann wird vorläufig die Dielingerstraße in Osnabrück ein sehr sehr einsamer Stern auf der gastronomischen Landkarte von Niedersachsen sein – auch nach 23 Uhr.
Auf der Homepage des Irish Pub finden sich umfangreiche Angaben zum Hygienekonzept, das natürlich auch weiterhin und streng zur Anwendung kommen wird, wenn am Dienstag wieder über 23 Uhr hinaus geöffnet sein wird.
Am Donnerstag fällt Entscheidung für ganz Niedersachsen
Dass vorerst nur der „Antragsteller“ des vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich beschiedenen Eilantrags gegen die Corona-Verordnung des Landes Niedersachsen öffnen darf, liegt daran, dass es sich nicht um eine Entscheidung in einem vor dem Oberverwaltungsgericht zu führenden Normenkontrollverfahren handelte, das Auswirkungen auf alle Gaststättenbetreiber in ganz Niedersachsen hätte.
Der Wirt des Red Shamrock bestätigte gegenüber unserer Redaktion, dass er zusätzlich zur inzwischen erfolgreich in Osnabrück beschiedenen Beschwerde auch einen Antrag auf ein Normenkontrollverfahren beim Oberverwaltungsgericht gestellt hat.
Folgen die Richter beim OVG ihren Osnabrücker Kollegen, können schon ab Donnerstag alle Wirte in Osnabrück und ganz Niedersachsen wieder nach 23 Uhr ihrem Geschäftsbetrieb nachgehen können.
Zwei weitere Gastwirte, dem Vernehmen nach aus Delmenhorst, sollen ähnliche Anträge beim OVG eingereicht haben.
Unsicherheit besteht allerdings in der Branche, weil Angela Merkel die Landeschefs für Mittwoch zu einer neuerlichen Coronasitzung einberufen hat – erstmals per Videokonferenz. Hier könnten neue Pläne für weitere Lockdown-Verordnungen geschmiedet werden, die sich erneut auch gegen den Geschäftsbetrieb der Gastronomie richten könnten.
Gastwirt beklagte Grundgesetzwidrigkeit in Landesverordnung
Der Antragsteller hatte sich mit seinem Eilantrag konkret gegen die in § 10 Abs. 2 der Nds. Corona-Verordnung geregelte Sperrzeit gewandt, die ab einer Inzidenz von 35 oder mehr Fällen je 100.000 Einwohner eingreift und ausgeführt, die Regelung schränke seine grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig ein.
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die Kammer aus, die genannte Sperrzeitregelung sei nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die als Generalklausel ausgestaltete Regelung in § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes könne nicht herangezogen werden. Ihrem ausdrücklichen Wortlaut nach gelte sie nur für „notwendige Schutzmaßnahmen“ und nehme damit Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Daran gemessen sei jedoch nicht ersichtlich, inwieweit die angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben zwischen 23 und 6 Uhr aus Gründen des Infektionsschutzes erforderlich sei.
Auch RKI liefert keinen Nachweis, das Gastronomiebetriebe Coronainfektionen befördern
Insbesondere nach den von der Kammer ausgewerteten Daten des Robert-Koch-Instituts habe sich bislang nicht abgezeichnet oder sei gar belegt, dass es in Gastronomiebetrieben mit entsprechendem Hygienekonzept zu einem nennenswerten Anstieg der Infektionszahlen gekommen sei. Vielmehr komme dem Infektionsumfeld „Speisestätten“ nur eine untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu Fallhäufungen im Zusammenhang mit größeren (privaten) Feiern im Familien- und Freundeskreis sowie in Betrieben, Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern etc. zu. Vor diesem Hintergrund sei nicht nachvollziehbar, warum es infektionsschutzrechtlich „notwendig“ sei, Gastronomiebetriebe, die ansonsten geöffnet seien, nach 23 Uhr zu schließen. Sollte die Befürchtung bestehen, nach 23 Uhr komme es alkoholbedingt zu einer vermehrten Nichteinhaltung der Abstands- und Hygieneregeln, stünde jedenfalls als milderes Mittel etwa ein Verbot des Ausschanks alkoholischer Getränke zur Verfügung. Ein solches sei derzeit nur für den Außer-Haus-Verkauf und bei einer Inzidenz ab 50 Fällen je 100.000 Einwohner vorgesehen, so die Richter.
Stadt Osnabrück scheiterte bereits am Freitag mit ähnlicher Verfügung
Die Kammer hat außerdem die schriftlichen Gründe des stattgebenden Beschlusses vom letzten Freitag (23.10.20) gegen die in der Allgemeinverfügung der Stadt Osnabrück eben- falls vorgesehene Sperrstunde niedergelegt (s. PI Nr. 26 vom 23.10.2020). Hier kommt die Kammer nach Durchführung einer Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass Ziffer 2 der städtischen Allgemeinverfügung zur Bekämpfung der Atemwegserkrankung Covid-19 (…) rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Zur Begründung stützt sich die Kammer auf die oben dargelegten Gründe, auch die Allgemeinverfügung sei nicht von der genannten Ermächtigungsgrundlage im Infektionsschutzgesetz gedeckt.
Die Beschlüsse (3 B 75/20 und 3 B 76/20) sind noch nicht rechtkräftig und können jeweils binnen zwei Wochen nach Zustellung mit der Beschwerde vor dem Nds. Oberverwaltungsgericht angefochten werden.