Auf dem Internetportal „Neutrale Lehrer“ bietet die AfD seit Dezember 2018 in Niedersachsen die Möglichkeit, Lehrer und Lehrerinnen zu melden, die vermeintlich gegen das Neutralitätsgebot von Schule verstoßen. Jetzt äußern sich die Lehrer des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums in einem offenen Brief. Sie sehen sich zum Neutralitätsgebot verpflichtet, wollen aber nicht wertneutral sein. Hier der Brief im Wortlaut:
So heißt es im Niedersächsischen Schulgesetz zum Bildungsauftrag der Schule: „Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden, die Grundrechte für sich und jeden anderen wirksam werden zu lassen, die sich daraus ergebende staatsbürgerliche Verantwortung zu verstehen und zur demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beizutragen“. Diesen Werten verpflichten wir uns auch im Leitbild unserer Schule. Hier legen wir einen besonderen Wert auf eine aktive Erinnerungs- und Verantwortungskultur und die Herausbildung eines kritischen Geschichts- und Gegenwartsbewusstseins sowie den interkulturellen Dialog vor dem Hintergrund der vielfältigen Herkunft unserer Schüler und Schülerinnen.
Nicht verhandelbare Werte
Daraus leiten wir für unsere Arbeit ab, dass wir in unserer Gesellschaft – und damit eben auch am Graf-Stauffenberg-Gymnasium – Werte haben, die wir als nicht verhandelbar erachten und die wir verteidigen, wenn wir sie – zum Beispiel in politischen Programmen von Parteien oder Aussagen von Politikern – verletzt sehen. Zu diesen Werten zählen Menschenrechte, wie die Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit der deutschen Geschichte.
Die AfD vertritt auf ihrer Internetseite den Grundsatz „Demokratie lebt von einem freien Austausch von Argumenten“. Diesem Grundsatz stimmen wir zu. Meinungsfreiheit bedeutet, dass man grundsätzlich (fast) alles sagen darf. Meinungsfreiheit bedeutet aber auch, anderen Meinungen widersprechen zu dürfen.
Daher beanspruchen wir, die Lehrkräfte des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums, folgende Punkte für uns:
• Wir sprechen an, dass wir die Grundprinzipien des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums – die „gegenseitige Rücksichtnahme, Toleranz, Solidarität“ – durch eine Partei gefährdet sehen, deren Führungspersonal etwa in Deutschland lebende Türken und Türkinnen als „Kameltreiber” bezeichnet, Politikern in Anatolien „entsorgen” möchte und mit Aussagen über „Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ Vorurteile schürt.
• Wir erachten die kritische Aufarbeitung der NS-Verbrechen als einen zentralen Gegenstand unserer Schule und halten diesen nicht für „dämliche Bewältigungspolitik“ . Schülerinnen und Schüler sollen an unserer Schule bei der Herausbildung eines kritischen Geschichts- und Gegenwartsbewusstseins unterstützt werden, daher lehnen wir „eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ kategorisch ab. Wir nutzen Klassen- und Kursfahrten, zum Beispiel nach Berlin, um die Verbrechen des Faschismus zum Thema zu machen. Das Stelenfeld ist für uns kein „Denkmal der Schande“ , sondern vor allem ein Ort der Reflexion.
• Wir informieren kritisch über Inhalte und Strategien aller Parteien und Gruppierungen mit demokratie- und menschenfeindlichen Absichten. Wir weisen Schülerinnen und Schüler explizit darauf hin, welche Gefahren von einem Erstarken demokratie- und menschenfeindlicher Parteien ausgehen können.
• Wir treten dafür ein, dass jede und jeder in der Schule seine politische Meinung frei aussprechen und zur Diskussion stellen kann, ohne Sanktionen oder Einschüchterungen zu erwarten.
Homophob, rassistisch und antisemitisch
Wir sind der Überzeugung, dass es unsere Pflicht ist, unsere Schüler und Schülerinnen über die Instrumentarien einer wehrhaften und lebendigen Demokratie aufzuklären und sie zu ermutigen, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Die Meinungsfreiheit berechtigt jede und jeden, die dargelegten Positionen öffentlich zu vertreten. Genau deshalb dürfen Teile der genannten Aussagen auch als das benannt werden, was sie sind: rassistisch, antisemitisch, homophob, sexistisch, faschistisch, chauvinistisch, also menschenfeindlich.
Wir möchten mit diesem offenen Brief diejenigen Kollegen und Kolleginnen stärken, die durch Beschwerden bereits unter Druck geraten sind und rufen alle Kollegien dazu auf, es uns gleich zu tun.