Kein Mafia-Opfer vor dem Landgericht.
Die Knochenfunde vom September (HASEPOST berichtete hier) erinnerten daran:
So neu, wie der Name „Neumarkt“ klingt, ist der Platz im Herzen der Stadt Osnabrück nicht.
Bereits im 13. Jahrhundert war der Neumarkt ein belebter Ort.
Im September sind in der Großbaustelle unter einer Fernmeldeleitung aus den 60er-Jahren Knochen gefunden worden; direkt neben dem Landgericht unter der ehemaligen Tunnelrampe. Die Skelette eines Mannes und einer Frau waren fast vollständig erhalten. Auf den ersten Blick ein Fall für Polizei und Staatsanwalt. Auf den zweiten ein Fall für den Archäologen. „Keine Plomben, keine Zahnbehandlung, dieser Mann war bestimmt nicht nach einem Mafia-Mord unter der Leitung abgelegt worden“, erläutert der Archäologe Axel Friederichs. Er arbeitet mit dem Stadt- und Kreisarchäologen Bodo Zehm zusammen und war Ansprechpartner für Polizei und Staatsanwaltschaft, als die Knochen ge-funden wurden. „Wir hatten noch nie so schnell so viele Helfer zusammen. Die Fachmänner sagten den Polizisten, was sie tun müssen, und es hat sich wieder einmal gezeigt: Archäologie und Spurensicherung sind eng verwandt.“ Insgesamt wurden die Überreste von mindestens 40 Menschen gefunden.
Es sei schon erstaunlich, dass zwei Skelette fast vollständig geblieben sind, wundert sich Bodo Zehm. „Als der Tunnel in den 1960er-Jahren gebaut wurde, sind die Bauarbeiter viel robuster zu Werke gegangen als heute – auch wenn damals schon auf Überreste aus alter Zeit geachtet wurde.“ Doch da in den vergangenen Jahren nicht eben feinfühlig mit dem Boden umgegangen wurde, „ist es nicht sinnvoll, ihn heute mit großem Aufwand zu untersuchen. Das Gelände ist einfach zu zerwühlt.“
Wo heute das Landgericht steht, florierte seit dem 13. Jahrhundert ein Augustiner-Kloster. Von diesem Kloster ging Anfang des 16. Jahrhunderts die Reformation in Osnabrück aus. Und während des Dreißigjährigen Krieges ließen sich dort die Schweden nieder. Von den Gebäuden aus den Jahren ab 1287, als der Augustiner-Eremiten-Konvent von Bissendorf-Holte an den heutigen Neumarkt zog, war die Klosterkirche am langlebigsten. Doch sie wurde 1751 abgerissen.
An dieser Stelle baute Johann Conrad Schlaun ein Jahr später ein Zuchthaus. Dieser berühmte Baumeister des Barock hat unter anderem das Münsteraner Schloss entworfen, das Rüschhaus, das durch Annette von Droste-Hülshoff weltbekannt wurde oder das Jagdschloss Clemenswerth. Doch der berühmte Name des Architekten schützte das Gebäude nicht vor dem Abbruch, es stand 123 Jahre an dieser Stelle, dann musste es dem heutigen Landgerichtsgebäude weichen.
„Das Gebiet rund um das Landgericht ist voller Geschichte und Geschichten“, sagt Bodo Zehm „Ich hatte bei den Knochenfunden sofort den Verdacht, dass sie zum Kloster gehören könnten.“ In diesem Fall aber wohl eher zum Friedhof der Klosterkirche. Die letzten Mönche verließen das Kloster 1544, anschließend wurde das Gotteshaus als evangelische Pfarrkirche genutzt. „Da wir einige Knochen Frauen und Kindern zuordnen können, gehe ich davon aus, dass sie nach 1544 auf dem Kirchhof beerdigt worden sind.“
Genauer untersucht werden die Skelette nicht, das wäre zu teuer und würde – so Zehm und Friederichs – hätte nur einen geringen Erkenntniswert und würde ohnehin nur bestätigen, was Archäologen und Historiker bereits vom Neumarkt wissen: das dort seit 1287 einiges los war.
Hintergrund
Wie viele Skelette genau im Archiv der Stadt- und Kreisarchäologie liegen, kann der Archäologe Bodo Zehm nicht sagen. „Dafür sind einfach zu viele unvollständige dabei.“ Die Knochen lagern in Kisten in einem etwa 25 Quadratmeter großen Raum im Keller des Emma-Theaters in der Lotter Straße. Zurzeit wird das Inventar neu erfasst. „Eine Anthropologin säubert die Knochen und katalogisiert sie neu, die Art wie sie bisher in ihren Kisten lagen, war nicht gerade ideal“, sagt der Fachdienstleiter. Je unberührter ein Skelett vorgefunden wird, desto besser kann ein Archäologe oder ein Anthropologe damit arbeiten. „Es ist sehr aufwändig herauszufinden, wie lange ein Mensch bereits tot ist.“
Die C14-Methode bringt genaue Ergebnisse – das ist eine Radiokarbondatierung. „Sie ist allerdings sehr teuer.“ Bei den Skeletten vom Neumarkt wird sie nicht angewendet. „Die Anthropologin fand schnell heraus, dass der Mann, der fast fünf Jahrhunderte am Neumarkt gelegen hatte, viel Fleisch gegessen hat und viel auf dem Pferd saß. Das verriet sein Zahnstein und die Form seines Beckens.“
PM PA OS, Foto:Stadt Osnabrück