Georg Sandhäger, Sabine Schmidtchen und Dr. Anna Ditz vom ITA mit ihrer Patientin und Kollegin Andrea Schmidt (3.v.l) / Foto: Jens Lintel
Der Aufbruch in ein „ganz neues Leben“: Andrea Schmidt hat mit einer Adipositas-Behandlung ihr Gewicht von über 120 auf 63 Kilogramm reduziert und hält dieses jetzt konstant. Jetzt erzählt sie ihre Geschichte.
Wenn sie jetzt mal Lust auf etwas Süßes hat, was nur noch selten geschieht, gönnt sich Andrea Schmidt ein Stück Schokolade. Das löse eine solche Geschmacksexplosion in ihrem Mund aus, dass sie kein zweites Stück mehr essen mag. „Früher habe ich meistens eine ganze Tafel gegessen. Aber zufrieden war ich trotzdem nicht“, sagt sie. Nachdem der Eingriff vor fast drei Jahren bei ihr durchgeführt wurde, hat sie ihr Gewicht von über 120 auf 63 Kilogramm redzieren können. „Es ging bei mir überhaupt nicht mehr so weiter“, erzählt sie. „Obwohl ich jede nur erdenkliche Diät gemacht und es auch immer mit Bewegung versucht habe, bin ich nicht dagegen angekommen.“
Patientin und Kollegin
Andrea Schmidt ist nicht nur Patientin des Klinikums Osnabrück, sondern sie arbeitet auch dort. Sie ist die Oberin der über 80 Schwestern und Pfleger des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf, die in dem Krankenhaus arbeiten. Nun wurde ein zweiter Eingriff zur Hautstraffung bei ihr durchgeführt wurde: „Dabei hat es die Krankenkasse akzeptiert, dass das überhängende Gewebe entfernt werden musste, um Folgeerkrankungen vorzubeugen“, erzählt Schmidt. „Mir bedeutet es ganz viel, dass mir, um es ganz deutlich zu sagen, meine Bauchhaut nicht mehr bis auf den Schoß hängt. Es lohnt sich wirklich, das auf sich zu nehmen. Dazu möchte ich auch andere Menschen motivieren.“
Gewichtszunahme hat sich schleichend über Jahre eingestellt
Bei Schmidt hat die Erkrankung einen Verlauf genommen, der nach Einschätzung ihrer Behandler vom ITA des Klinikums typisch für chronisch ausgeprägtes starkes Übergewicht ist. Wie bei den meisten Erkrankten hat sich die Gewichtszunahme bei ihr schleichend über einen Zeitraum von einigen Jahren eingestellt, in denen sie mit aller Kraft und sinkendem Erfolg dagegen angekämpft hat. „Ich bin eigentlich ein sportlicher Mensch und hatte immer eine gute Figur“, so Schmidt. „Aber mit zunehmenden beruflichen Herausforderungen und weniger Zeit für Bewegung ist es bei mir immer mehr geworden. Das erste Mal habe ich nach der Geburt unseres ersten Sohns viel zugenommen, aber danach habe ich es geschafft, wieder 17 oder 18 Kilo abzunehmen. Nach der zweiten Geburt war ich erstmals dreistellig – und ich habe es mit keiner weiteren Diäten mehr geschafft, je wieder so viel abzunehmen.“ Im Gegenteil: Es sei immer mehr geworden. „Ich habe zwar immer dagegen anzukämpfen versucht, aber trotzdem habe ich Stress und andere Belastungen kompensiert, indem ich Süßigkeiten gegessen habe. Weingummi war meine ständige Nervennahrung. Irgendwann stand es sogar auf dem Nachttisch.“
Nach außen hin taff
Nach außen habe sie sich offen und unverdrossen gegeben, aber in Wirklichkeit habe sie sich wegen ihres Körpers geschämt und sei, obwohl sich längst Begleiterkrankungen eingestellt hatten, immer weniger dagegen angekommen. „Das war ein schrecklicher Prozess. Zum Schluss hat es unfassbar viel Energie gekostet, mich zu motivieren“, erinnert sie sich. „Ich musste jeden Tag vier Medikamente einnehmen. Mir ging es so schlecht, dass ich direkt auf einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zugesteuert habe. Auch meine Knie sind kaputt und ich konnte kaum noch laufen. Irgendwann habe ich mich getraut, mir Hilfe zu suchen.“
Schmidt hat sich an das Team des Interdisziplinären Therapiezentrum Adipositas (ITA) des Klinikums gewandt. Zu diesem gehören neben dem Leiter des Zentrums, Oberarzt Georg Sandhäger, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie auch dessen Kollegin Oberärztin Dr. Anna Ditz und die Diätassistentin und qualifizierte Diät- und Ernährungsberaterin (VFED) Sabine Schmidtchen, die unter anderem das ambulante Optifast-52-(Abnehm)-Programm im Klinikum leitet. Wie sie erklären, fühlen sich viele adipöse Menschen schuldig an ihrem Übergewicht und sehen es als Zeichen von Schwäche an, sich in eine Behandlung zu begeben. Aber das sei eben nicht so: Adipositas sei eine schwerwiegende, in der Regel nicht selbst verschuldete Erkrankung, die allein kaum zu bewältigen sei.
Krankenkassen tragen mittlerweile oftmals die Kosten
„Wir bieten im Klinikum bereits seit 1995 konservative Behandlungen zur Gewichtsreduktion an, welche seit 2011 um ein breites Angebot an operativen Eingriffen wie z.B. Schlauchmagen- und Magenbypass-Operationen ergänzt wurden“, erklärt Sandhäger. Wie Schmidtchen verdeutlicht, wird als konservative Behandlung das „Optifast-52-Programm“ genutzt, bei dem die Teilnehmenden ein ganzes Jahr lang bei der Umstellung ihrer Ernährungs- und Lebensgewohnheiten beraten und begleitet werden. Wenn triftige medizinische Gründe vorliegen oder eine konservative Behandlung nicht oder nur zu geringen Erfolgen führt, sollten chirurgische Verfahren in Betracht gezogen werden.
„Nachdem es früher häufig strittig war, gibt es inzwischen klare Leitlinien, unter welchen Voraussetzungen konservative oder chirurgische Behandlungen von Übergewicht angezeigt sind und die Kosten von den Krankenkassen getragen werden“, sagt Dr. Anna Ditz, die sich zusätzlich zur Chirurgie auch als Ernährungsmedizinerin auf Adipositas-Behandlungen spezialisiert hat. Das gelte allerdings noch nicht für plastische Eingriffe, die häufig nötig sind, um Folgeerkrankungen wie Entzündungen der erschlafften Haut nach ausgeprägtem Gewichtsverlust zu behandeln. Es hänge am „Body-Mass-Index“ (BMI), also an der Relation des Körpergewichts zur Größe eines Menschen und an eventuellen Begleiterkrankungen, ob eine Adipositasoperation angezeigt und welche Behandlung von der Krankenkasse getragen wird. „Die Akzeptanz hat sich verbessert“, so Schmidtchen, „weil es unstrittig ist, dass die Behandlung von Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Schlaganfällen und Herzinfarkten viel teurer ist.“
Wie Sandhäger erläutert, sind es etwa 60 Patienten jährlich, die sich einem bariatrischen – also auf die Beseitigung von Übergewicht zielenden Eingriff – in der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie unter der chefärztlichen Leitung von Privatdozent Dr. Jürgen Tepel – unterziehen. Gelegentlich treten sie sogar mit einem Gewicht von über 200 Kilogramm in die Behandlung ein. „Weitere 300 ambulante Patientenkontakte jährlich kommen durch Beratungstermine und die unbedingt erforderlichen Nachsorgeuntersuchungen zustande“.
Heute fühlt sich Schmidt wieder wohl in ihrer Haut
Nach solchen Eingriffen sind Erkrankte wie Andrea Schmidt darauf angewiesen, dass sie lebenslang ergänzend zur Ernährung bestimmte Vitamine, Spurenelemente und Eiweiß zu sich nehmen. Auch ärztliche Kontrollen sind notwendig. „Und es ist wichtig, sich vier- bis fünfmal täglich in kleinen Portionen zu ernähren – und man muss Sport machen“, sagt Schmidt. „Für mich ist es einfach nur toll, dass ich mich wieder bewegen kann.“ Jetzt freut sie sich darauf, wieder Schwimmen zu gehen.