Ich wage es nur ungern, der deutschen Bundeskanzlerin zu widersprechen. Aber was sie am Dienstagabend im ARD-Interview an Einschätzungen zur aktuellen Corona-Lage von sich gegeben hat, das widerspricht der realen Situation in diesem Land ganz massiv.
Ein Kommentar von Wolfgang Niemeyer
Im Großen und Ganzen ist seit Herbst 2020 beileibe nicht ‘nichts schiefgelaufen’, wie Angela Merkel in ihrer unnachahmlichen Art zwischen stoischem Gleichmut und verstecktem Hochmut schmallippig verkündete. Ganz im Gegenteil: es ging seitdem so ziemlich alles schief, was irgendwie schiefgehen konnte.
Der als Rettung des Weihnachtsfestes gepriesene Lockdown light ging nach hinten los, die Infektionszahlen stiegen explosionsartig weiter nach oben. November- und Dezemberhilfen, die von diesem Lockdown betroffene Wirtschaftszweige entschädigen sollten, werden bis heute nur schleppend oder gar nicht ausgezahlt und sorgen für pure Existenzangst bei vielen Unternehmern und ihren Mitarbeitern. Über das Impfdesaster möchte ich nicht viel Worte verlieren. Eine verantwortungslose und dilletantische Einkaufspolitik der EU, an der auch die deutsche Bundeskanzlerin einen bedeutenden Anteil hat, sorgte schnell für Resignation bei allen Impfwilligen, die zudem in vielen Fällen zur Corona-Hochrisikogruppe zählen.
Es wird bis weit in das Frühjahr hinein viel zu wenig geimpft werden, weil viel zu wenig Impfstoff vorhanden ist. Zudem wirkt auch der umfassende Lockdown, der Mitte Dezember 2020 verhängt wurde, nur langsam bis gar nicht. Die Fallzahlen sinken zwar seit 14 Tagen, die Zahl der Toten ist aber nach wie vor viel zu hoch. Der Schutz der Risikogruppen, der zwingend das Kernstück jeder Corona-Maßnahme sein muss, wird bis zum heutigen Tag ganz offensichtlich vernachlässigt. Die hohen Infektionszahlen in Alten- und Pflegeheimen sprechen eine deutliche Sprache.
Und zu guter Letzt ist die völlig empathielose Krisenkommunikation von Bundesregierung und Ministerpräsidenten nicht geeignet, die Bevölkerung bei vielen dringend notwendigen Schritten zur Bekämpfung der Pandemie zum Mitmachen zu motivieren. Eine breite Unterstützung der Bevölkerung ist aber unablässige Voraussetzung für die erfolgreiche Bekämpfung des Corona-Virus und schnelle Schritte zurück in eine erträgliche Normalität. Viel zu lange ist das öffentliche Leben schon stillgelegt, mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser einseitigen und erfolglosen Politik wird unsere Gesellschaft noch viele Jahre zu kämpfen haben. Im Großen und Ganzen ist also einiges schiefgelaufen. Frau Merkel hat unrecht, wenn sie das Gegenteil behauptet.
Die gute Nachricht des Tages: es kann nur besser werden!
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Foto: Angela Merkel bei “Farbe bekennen”; Screenshot: ARD