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Morgen-Kommentar: Regel-Wirrwarr gefährdet den Kampf gegen Corona

Seit einem Jahr erlassen Bundespolitiker und Provinzfürsten in regelmäßigen Abständen neue Vorschriften im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Inzwischen sind die Bestimmungen so unübersichtlich, dass selbst Experten verzweifeln. In einer kritischen Phase der Pandemie ist das gefährlich.

Ein Kommentar von Lukas Brockfeld 

Die Bundesnotbremse beschert den Osnabrückern zahlreiche neue Corona-Regeln. Um den HASEPOST-Lesern einen Überblick zu verschaffen, schrieb ich am Montagmorgen einen Artikel, in dem ich die wichtigsten Bestimmungen zusammenfasste. Für die vermeintlich einfache Aufgabe musste ich mich 1,5 Stunden durch ausführliche PDF-Dokumente und unübersichtliche Tabellen kämpfen. Auch die Pressestellen von Stadt und Landkreis Osnabrück taten sich mit konkreten Auskünften schwer. Nach einem Jahr Corona ist kaum noch jemand in der Lage zu verstehen, wo welche Regeln gelten.

Willkürliche Grenzwerte als Grundlage für Maßnahmen

Das Chaos fängt schon bei den Grundlagen an: Die Bundesnotbremse greift eigentlich ab einem Inzidenzwert von 100, andere Schwellenwerte wie 50 oder 35 wurden wieder verworfen. Schulen sollen aber laut Bundesgesetzgebung bis zu einer Inzidenz von 165 Wechselunterricht veranstalten. In Osnabrück tun sie das für die meisten Jahrgangsstufen nicht, da in Niedersachsen der Grenzwert für Schulschließungen nach wie vor bei 100 liegt. Geschäfte dürfen trotz gezogener Notbremse Kunden mit einem negativen Testergebnis hereinlassen, vorausgesetzt die 7-Tage-Inzidenz liegt unter 150. In Osnabrück ist der Einkaufsbummel demnach auch mit negativem Test und FFP2 Maske verboten, in Melle ist er erlaubt. Der Osnabrücker darf aber immerhin auch ohne Test in den Buchladen und das Blumengeschäft. Natürlich kann niemand sagen, warum das Infektionsrisiko dort besonders gering sein soll. Keiner dieser Grenzwerte ist logisch oder gar wissenschaftlich begründet, stattdessen werden Maßnahmen anhand willkürlicher, verwirrender und sich regelmäßig ändernder Zahlen verhängt.

Unverständliche Regeln im Alltag

Das Regel-Chaos ist im täglichen Leben allgegenwärtig. Neuerdings braucht es einen negativen Coronatest für den Frisörbesuch. Wer diese Regel wann erlassen hat, weiß eigentlich niemand. Auch kann niemand sagen, warum ein negatives Testergebnis für den Frisör qualifiziert, nicht aber für das Nagel- oder Tattoostudio. Beim Haare schneiden muss selbstverständlich eine FFP2 Maske getragen werden, draußen auf dem Parkplatz reicht eine OP-Maske, die selbstgenähte Alltagsmaske ist aber unter keinen Umständen regelkonform. Im ÖPNV muss ebenfalls eine FFP2 Maske getragen werden. Gilt das auch beim Warten an der Bushaltestelle? Wer weiß das schon. In der Osnabrücker Innenstadt ist die Maske Pflicht, auch Draußen in einer einsamen Nacht. In Bad Rothenfelde ist man besser dran, hier gilt das innerstädtische Maskengebot nur an Samstagen, Sonn- und Feiertagen in der Zeit von 9 bis 19 Uhr. Und was ist eigentlich aus dem im Dezember erlassenen öffentlichen Alkoholverbot geworden? Vermutlich weiß das nicht mal mehr die Polizei.

Selbst Experten überfordert

Das Regel-Wirrwarr brachte unlängst den Osnabrücker Zoo in Bredouille. Nachdem der Tierpark monatelang geschlossen war, wollte man alles richtig machen und steckte viel Zeit und Geld in ein neues Hygienekonzept. Der Einlass sollte nur mit einem negativen Testergebnis möglich sein, dazu wurde sogar ein eigenes Testzentrum am Eingang aufgebaut. Alternativ sollten die Zoobesucher Zuhause einen Selbsttest machen, für Geimpfte sollte die Testpflicht entfallen. Am Dienstag musste der Zoo zurückrudern. Laut dem neuen Bundesinfektionsschutzgesetz dürfen nur offizielle Testergebnisse akzeptiert werden, selbst zweifach Geimpfte müssen sich vorm Zoobesuch testen lassen. Dr. Marco Athen, Jurist und Präsidiumsmitglied der Zoogesellschaft, entschuldigte sich für die Verwirrung: „Die Rechtslage ist komplex und durch zahlreiche Änderungen, Verweise und Ausnahmen unklar. Deswegen prüfen nun die Stadt Osnabrück und das Niedersächsische Sozialministerium die Vorgaben. Wir bitten um Verständnis und entschuldigen uns vielmals für eventuelle Unannehmlichkeiten für unsere Besucher.“ Selbst promovierte Juristen und die zuständigen Behörden wissen nicht mehr welche Regeln gelten. Und der Zoo ist beileibe kein Einzelfall. Sich immer wieder ändernde und oft genug unsinnige Bestimmungen sorgen in ganz Deutschland für Kopfzerbrechen.

Regel-Wirrwarr ist mehr als nur lästig

Fälle wie diese gibt es reichlich. Der Landkreis Osnabrück braucht immerhin ein 17 seitiges PDF-Dokument, um die aktuellen Bestimmungen zu erklären, die selbst von Experten kaum noch verstanden werden. Die meisten Bürger haben schon lange aufgegeben und leben nach ihren eigenen Regeln, wer kann es ihnen verübeln? Das Vorschriften-Chaos ist mehr als nur lästig. Mit über 20.000 Corona-Neuinfektionen am Tag ist Deutschland in einer kritischen Phase der Pandemie. Nachvollziehbare und konsequente Maßnahmen sind augenblicklich wichtiger als jemals zuvor. Da nur knapp jeder vierte Deutsche eine Impfung erhalten hat, werden sich die Bürger noch eine Weile an die Abstands- und Hygieneregeln halten müssen. Polizei und Behörden haben nicht die Kapazitäten, die Corona-Maßnahmen wirksam zu kontrollieren. Der Staat ist also auf die Kooperation der Bevölkerung angewiesen, verspielt diese aber mit immer verwirrenderen und unsinnigeren Vorschriften. Im Kampf gegen die Pandemie ist Einsicht besser als Kontrolle, schon weil Kontrolle in der Praxis unmöglich ist. Aber wer sieht eine Testpflicht für zweifach Geimpfte oder eine Maskenpflicht auf einer leeren Straße ein? Die Regierenden sollten nach knapp sechs Monaten Dauerlockdown dringend für klare Verhältnisse sorgen, damit unsere Gesellschaft wenigstens die letzte Phase der Pandemie erfolgreich meistert. Es steht zu viel auf dem Spiel!


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Lukas Brockfeld
Lukas Brockfeld
Lukas Brockfeld ist seit dem Sommer 2019, erst als Praktikant und inzwischen als fester Mitarbeiter, für die Redaktion der HASEPOST unterwegs.

  

   

 

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