Um eines gleich vorweg zu sagen: Es ist die Aufgabe der Presse auf Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen. Die Bewertung, ob etwas dann tatsächlich lediglich ein “Skandälchen”, ein wirklicher Fauxpas oder nur ein Sturm im Wasserglas ist, bleibt bei den Lesern – und natürlich bei denen, um die es geht, hier eine bunte Auswahl Osnabrücker Lokalpolitiker, quer durch die Reihen aller Parteien und Fraktionen.
Was die erste Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) zu Coronazeiten angeht, habe ich mir mein Urteil gebildet: Ein ganz schlechtes Vorbild und ein Schaulaufen von Ignoranten, das nicht zu entschuldigen ist!
Ein Morgen-Kommentar von Heiko Pohlmann
Ich kann mir schon ganz gut vorstellen, wie einige Mitglieder unseres Osnabrücker Stadtrates bereits wieder Fantasien hegen, wie man “diese Hasepost” am besten und effektivsten von der regelmäßigen Berichterstattung abschneidet, ob man nicht das Rechtsamt auf die Redaktion loslassen könnte … und was wir sonst so in den vergangenen Jahren an Reaktionen auf kritische Berichterstattung erlebt haben.
Auslöser diesmal: Ein Foto aus der ersten Ausschusssitzung für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) in Coronazeiten, noch während der Ausschusssitzung bei Instagram und Facebook veröffentlicht.
Bedingt durch die Osterpause hatte dieser öffentlich tagende Ausschuss, der zusammen mit den Ausschüssen für Kultur und Schule zu den mitgliederstärksten Organen der kommunalen Selbstverwaltung zählt, bislang noch nicht unter den erweiterten Distanzregeln getagt. An diesem Donnerstag gab es also einiges aufzuholen. Aus einer halben Stunde Sitzungsszeit, die sich die Ausschussvorsitzende Anette Meyer zu Strohen zu Sitzungsbeginn noch scherzend gewünscht hatte, wurden deutlich über zwei Stunden in einem auch vor Corona eigentlich viel zu kleinen Ratssitzungssaal. Manch ein mittelständisches Unternehmen verfügt inzwischen über größere und vor allem auch besser belüftete Räumlichkeiten. Lediglich ein geöffnetes Fenster sorgte an diesem Abend für etwas Frischluft.
Sitzung sollte ursprünglich aus Gründen des Infektionsschutzes nicht stattfinden
Was war das für ein Aufschrei der kleinen Parteien, als die großen Ratsfraktionen, allen voran die CDU, Anfang April einen Vorschlag machten, die kleinen Parteien und Einzelmitglieder aus Gründen des Infektionsschutzes(!) faktisch zu entmachten und die sonst in verschiedenen Ausschüssen zu entscheidenden Angelegenheiten – vielleicht sogar die Ratssitzungen – an den geheim tagenden Verwaltungsausschuss zu übergeben. HASEPOST berichtete seinerzeit mehrfach und nach meiner Erinnerung auch zuerst über dieses “undemokratische*” Ansinnen (*Formulierung aus einem Kommentar zum Thema).
Es ist nicht zuletzt einem aus dem Referat von Oberbürgermeister Wolfgang Griesert gesprochenem Machtwort zu verdanken, dass es dazu nicht kam und die Öffentlichkeit und die Beteiligung auch kleiner Parteien an der Ausschussarbeit gewahrt bleiben.
Dennoch ließen es sich die kleinen und großen Fraktionen bei der erstmals in der OsnabrückHalle tagenden Ratssitzung nicht nehmen, lang, ausgiebig, ermüdend und völlig sinnlos über das Für und Wider der längst nicht mehr zur Debatte stehenden Verlagerung von Kompetenzen der Ausschüsse in den deutlich kleiner besetzten VA-Geheimausschuss zu debattieren.
Erste Corona-Ratssitzung war rundum auf Infektionsschutz eingestellt
Überhaupt, die April-Ratssitzung in der OsnabrückHalle, stand noch unter starkem Eindruck der Coronakrise. Obwohl erst im Verlauf dieser Ratssitzung die weitreichende Maskenpflicht als Osnabrücker Sonderweg bekanntgemacht wurde, lagen am Eingang für alle Teilnehmer bereits ausreichend Mund-/Nasenmasken aus. Falls es einige schon vergessen haben: Das Land Niedersachsen folgte dem Osnabrücker Vorbild bei der Maskenpflicht mit Verspätung.
Selbst die Saalmikrofone wurden bei der Corona-Ratssitzung mit Plastiktüten “maskiert”. Vor und nach dem Betreten des improvisierten Ratssitzungssaals konnten alle Teilnehmern an zahlreichen Desinfektionsspendern ihre Hände desinfizieren. Es wurde in dem wirklich großen Europasaal eine Sitzordnung aufgebaut, die deutlich über den von Wissenschaftlern geforderten Mindestabstand von 1,50 Metern lag. Vorbildlich!
Schon wieder alles vergessen? Infektionsschutz nur noch symbolisch
Und im Vergleich dazu dann nur gut zwei Wochen später die StUA-Sitzung am Donnerstag: Die Desinfektionsspender gehörten wohl zur Stadthalle und fehlten daher im Rathaus. Die Tische waren nur halbherzig und eher symbolisch ein wenig auseinander gerückt – ganz anders als bei der letzten Ratssitzung vor der Osterpause. Die Zuschauer bekamen ein paar einzelne Stühle, die Pressetische wurden weiter zur Saalmitte verschoben: Das war’s! Alles was in der OsnabrückHalle so hervorragend umgesetzt worden war, galt nichts mehr.
Nein, nicht ganz: Am Eingang zum Rathaus musste jedes Ratsmitglied an einem mehr als auffällig platzierten Schild vorbei: “Achtung, Zutritt nur mit Maske. Wir wollen Infektionen vermeiden.” Da gab es eigentlich nichts zu interpretieren. Kein Schild im Ratssitzungssaal ergänzte: “Ab hier können Sie die Maske wieder absetzen” oder “Corona-Viren haben in diesem Raum keinen Zutritt”.
Zudem hatte der Oberbürgermeister nur zwei Tage vorher in einer Pressemitteilung erklärt: “Wer ins Rathaus des Westfälischen Friedens kommt, muss Mund und Nase mit einer Alltagsmaske bedecken und die Abstands- und Hygienevorschriften einhalten.”
Bereits zu Beginn der Ausschusssitzung herrschte das übliche muntere Treiben der Lokalpolitiker. Angesichts der schlechten Akustik im Saal beugte sich die Ratsfrau der Linkspartei, Giesela Brandes Steggewentz vertrauensvoll zu Oliver Haskamp, ihrem Ratskollegen von der FDP, um sich vielleicht für eine der kommenden Beschlüsse abzustimmen (siehe Titelfoto).
Auch die Ausschussvorsitzende Anette Meyer zu Strohen (CDU) verzichtete während der gesamten Sitzung, so habe ich es jedenfalls wahrgenommen, auf den Mundschutz. Nur ein paar standhafte Ausschussmitglieder, insbesondere aber ein Großteil der zuschauenden Bürger und die Vertreter der Verwaltung(!), hielten sich an die Schutzmaßnahme.
Auch einige Zuschauer folgten dem schlechten Vorbild
Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich die Sitzung vorzeitig verlassen habe. Hinter mir röchelte und schnaufte während der ganzen Zeit in der ich anwesend war, ein älterer Herr, der sich von dem “Vorbild” der Lokalpolitiker hatte verleiten lassen.
Auch er, genau wie viele Ratsmitglieder eindeutig der Risikogruppe (60+) angehörend, hatte sich der offenbar als störend empfundenen Schutzmaßnahme entledigt. So konnte er dann auch mit zunehmender Frequenz in sein Taschentuch schniefen. Vermutlich Heuschnupfen! Aber wer weiß das so genau? “Heuschnupfen ist nicht ansteckend”, habe ich versucht mich zu beruhigen. Ansteckend ist allerdings das schlechte Vorbild, das unsere Ratsmitglieder an diesem denkwürdigen Nachmittag abgeliefert haben.
Die Ignoranz wird Folgen haben
Vermutlich wird es am Samstag wieder Demonstrationen von Rechten geben, die ihre Grundrechte in Gefahr sehen. Mit Sicherheit werden sich am Montag wieder “Spaziergänger” am Domhof treffen, die sich ebenfalls in ihrer Freiheit beraubt sehen.
Polizei und Mitarbeiter des Ordnungsamtes dürften ordentlich in Erklärungsnot geraten, wenn diese Bürger dann auf das “Vorbild” im Stadtrat verweisen.
Obwohl dieser Protest unter freiem Himmel stattfindet, wird behördlich nicht nur ein Mindestabstand von zwei Metern angeordnet, sondern auch das ununterbrochene Tragen eines Mund-/Nasenschutzes. Und wer erlässt diese Auflagen? Die Stadtverwaltung, zu der auch die hinzugewählten Ratsmitglieder zählen.
Auch inhaltlich war die Sitzung eine Enttäuschung
Dass in der Ausschusssitzung von Haushaltsdisziplin keine Rede war, dass nicht ein einziger Tagesordnungspunkt sich mit Sparmaßnahmen angesichts der heraufziehenden Rezession beschäftigte, das sei hier nur am Rande bemerkt.
Genauso naiv wie die Bundespolitiker zum Jahresanfang auf die Warnzeichen aus China reagierten, ignorieren unsere Lokalpolitiker nun die drohenden Insolvenzen, die einbrechenden Steuereinnahmen und das mögliche Erstarken extremistischer Strömungen – im nächsten Jahr ist Kommunalwahl!
Die offen zur Schau getragene Ignoranz unserer Lokalpolitiker, egal, ob es um die Maskenpflicht oder die Reaktion auf die kommende Wirtschaftskrise geht, zeigt mir: Offenbar haben es etliche Mitmenschen noch nicht begriffen, dass es nicht so wie vor der Corona-Krise weitergehen kann!
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