Guten Abend,
ich habe in den letzten Tagen viel über den Begriff „Verantwortung“ nachgedacht. Seit nunmehr 300 Jahren lebe ich in Osnabrück, und diese Stadt ist mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen. Ich habe in dieser Zeit immer gerne Verantwortung übernommen, sowohl für mein eigenes Verhalten als auch für das Wohl derjenigen, die mir am Herzen liegen, und der Stadt, in der ich lebe. Ich finde, daß es eine der edelsten Eigenschaften des Menschen ist, die Konsequenzen seiner Entscheidungen selber zu tragen und dafür einzustehen. Wenn wir nicht die Verantwortung für unser Handeln übernehmen können oder wollen, dann richten wir uns früher oder später selbst zugrunde. Manchmal habe ich den Eindruck, daß den politisch Handelnden in Osnabrück das Bewusstsein für die Bedeutung von Verantwortung abhanden gekommen ist. Am Dienstagabend hat der Stadtrat Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen getroffen. Er möchte den Neumarkt zur Fußgängerzone umwidmen. Ich halte das für eine Farce, denn in dieser sogenannten Fußgängerzone werden weiterhin mehr als 2000 Busse am Tag verkehren. Er möchte die Fläche rund um den alten Güterbahnhof als reines Gewerbegebiet ausweisen. Ich halte das für eine Farce, weil bei dieser Entscheidung weder städtebauliche Aspekte noch ökonomische Abwägungen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr eine politisch und weltanschaulich in den Augen vieler Ratsmitglieder mißliebige Freikirche in ihre Schranken gewiesen werden soll. Und schließlich möchte der Osnabrücker Stadtrat eine Wiese vor der neuen Universitätsbibliothek am Westerberg zum Nelson-Mandela-Platz umwidmen. Ich halte das für eine Farce, weil dieser Name eigentlich schon für den Neumarkt vorgesehen war und weil eine schnöde Wiese dem Lebenswerk des großen südafrikanischen Freiheitskämpfers nicht annähernd gerecht wird. Aber die sogenannte „Regenbogenkoalition“ scheint mittlerweile jegliches Gespür dafür verloren zu haben, wie man es vermeidet, sich lächerlich zu machen.
Große Politiker hat seit jeher ausgezeichnet, die Folgen ihres Handelns absehen zu können und auch bei schwierigen Entscheidungen für Vertrauen in der Bevölkerung zu werben und die Bürger zumindest ein Stück weit in den Entscheidungsfindungsprozess miteinzubeziehen. In Osnabrück wird stattdessen im Moment nach Gutsherrenart regiert. Angesichts der im Herbst bevorstehenden Kommunalwahl sollen nun endlich Fakten geschaffen werden, die auch nach einer verlorenen Wahl nicht mehr so leicht rückgängig gemacht werden können. Flankiert von wohlmeinenden Berichten der lokalen Tageszeitung fühlen sich führende Parteienvertreter der Ratsmehrheit legitimiert, in Osnabrück einen Politikstil durchzusetzen, der mit Demokratie eher wenig, dafür aber viel mit Ideologie zu tun hat. Dabei bleibt zwangsläufig die Vernunft auf der Strecke. Ich frage mich zusammen mit zahlreichen weiteren Osnabrücker Bürgern, was es denn bringt, die Wege für ein neues großes Einkaufscenter zu ebnen, wenn denn die Erreichbarkeit dieses Centers nicht mehr gewährleistet ist. Ein Oberzentrum lebt auch von seiner verkehrstechnisch günstigen Lage. Diese sollte man nicht mutwillig kaputt machen. Und es zeugt wahrlich nicht von dem politischen Willen, auch Minderheiten, die nicht in das eigene Weltbild passen, in die Gesellschaft zu integrieren, wenn man ihnen das Leben so schwer wie möglich macht und ihnen in letzter Konsequenz sogar die wirtschaftliche Grundlage entzieht und damit ihre Existenz gefährdet. Genau das passiert nun mit der „Freikirche Lebensquelle“. Hier wird ein Politikverständnis deutlich, das in der Osnabrücker Bevölkerung weiteren Verdruß über „die da oben“ schüren wird, die ja doch nur machen, was sie wollen und den Sorgen der Menschen keine Bedeutung mehr zumessen. Entscheidungen werden im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste getroffen, wobei die Nachteile der getroffenen Entscheidungen diejenigen am wenigsten berühren, die sie zu verantworten haben. Die Verluste tragen immer die anderen. Doch wer trägt die Verantwortung?
Politiker sollten immer auch an die Menschen denken, von denen sie nicht gewählt worden sind. Demokratie lebt davon, andere Meinungen und Lebensentwürfe zu akzeptieren und im politischen Prozess zu berücksichtigen und so für möglichst viele Interessengruppen gemeinsam die beste Lösung zu finden. Wer dieses Grundprinzip unserer freien Gesellschaft achtlos über Bord wirft und stattdessen offensichtliche Klientelpolitik betreibt, die nur dazu dient, das eigene Weltbild zu untermauern, der mißachtet nicht nur die Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung, er zerstört zugleich mutwillig das Gemeinschaftsgefühl einer Stadt. Kurz vor der entscheidenden Ratssitzung am vergangenen Dienstag haben Vertreter von verschiedenen lokalen Wirtschaftsverbänden den Stadtrat gebeten, weitere Entscheidungen hinsichtlich der Zukunft des Neumarkts zeitlich an andere verkehrstechnische Entwicklungen wie den Lückenschluss zwischen A1 und A33 zu knüpfen. Ihre Bitte verhallte ungehört. Diejenigen, die die Entscheidungen des Osnabrücker Stadtrates zu einem nicht unwesentlichen Teil mitfinanzieren, finden keine Beachtung mehr. So wird in Osnabrück Politik gemacht. Und noch ein Skandal am Rande: einer der Initiatoren der neugegründeten politischen Vereinigung „Bund Osnabrücker Bürger (BOB)“, deren oberstes Ziel die Verhinderung der Neumarktsperrung zu sein scheint, wurde dahingehend diffamiert, daß in der Ratssitzung am Dienstag der Satz fiel, man lasse sich nicht von „Auswärtigen“ vorschreiben, wie man sich politisch zu verhalten habe. Dieser BOB-Initiator wohnt nämlich in Rulle, grade mal fünf Kilometer von Osnabrück entfernt. Was für eine geistige Grundhaltung tritt hier zutage? Ich finde, daß auch ein Bürger aus Rulle seine Meinung zur Osnabrücker Verkehrspolitik öffentlich kundtun darf. Alles andere wäre doch irgendwie Rassismus. Und ziemlich verantwortungslos!
Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu kritisieren gibt. Die Verantwortung dafür trägt jeder von uns ganz alleine!
Ihr
Justus Möser