Guten Abend,
ich hoffe, alles ist gut!
In diesen warmen Novembertagen bin ich mal wieder mit meinem Hund am Rubbenbruchsee spazieren gegangen. Diesmal habe ich ihn vorsichtshalber angeleint. Vom OS-Team war niemand zu sehen. Wahrscheinlich hatten die gerade Betriebsausflug. Ich habe in der beschaulichen Ruhe am See über meine Stadt und mein Land nachgedacht. Es passiert im Moment soviel, daß man leicht den Überblick verlieren kann. Aber was mich am meisten ärgert, das ist der Umgang mit unserer Sprache. Mir scheint, daß wir die Sprache nicht mehr benutzen, um zu sagen, was Sache ist, um Dinge auf den Punkt zu bringen, zu erklären und zu hinterfragen. Wir benutzen unsere Muttersprache, um Dinge zu verschleiern, wir reden um den heißen Brei herum, wir haben Angst, etwas falsches zu sagen, mißverstanden zu werden, uns um Kopf und Kragen zu reden. Ich habe das Gefühl, wir fürchten uns vor unserer eigenen Sprache. Wir wollen niemandem vor den Kopf stoßen, wir wollen geliebt werden, wir wollen dazugehören. Und ein falschen Wort kann viel kaputt machen. Es kann uns ausgrenzen, uns an den Pranger stellen, uns der Lächerlichkeit preisgeben. Sprache ist ein Herrschaftsinstrument. Der Niedergang der Sprache dient den Herrschenden mittlerweile offensichtlich dazu, uns klein zu machen. Denn ohne Sprache kann es keine Größe geben.
Es heißt ja so schön: die Sprache ist verräterisch. Sie gibt das Innerste von uns preis, sie verführt aber auch oft dazu, das, was wir wirklich meinen, zu verbergen. Vor ein paar Tagen ist ein großer deutscher Politiker gestorben. Er war ein Meister der klaren Ansage, ein guter Rhetoriker, einer, der sagte, was er meinte und meinte, was er sagte. Und er wurde von den Deutschen geliebt. Vielleicht, weil er keine Angst vor Sprache hatte, weil er keine Rücksicht auf Sachzwänge nahm, die ein klares Wort leider viel zu oft verhindern. Vielleicht würden wir selber gerne öfter mal offen reden, mal wirklich sagen, was uns bewegt und was wir uns wünschen. Ich glaube, wir trauen uns das nicht mehr. Unter den Nazis und der SED war die freie Rede in Deutschland nicht erwünscht, in der Bundesrepublik wurde sie einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. Sie hat viele gute und langanhaltende positive Entwicklungen hervorgebracht. Wir müssen wieder mehr die freie Rede fördern, die Abkehr von Gelaber und Dummschwätzerei. Man muß die wichtigen Dinge auf den Punkt bringen, um sie erfolgreich zu vermitteln. Das sollten Politiker wissen, wenn sie dem Volk etwas mitzuteilen haben. Man muß einen klaren Standpunkt einnehmen, um etwas zu erreichen oder auch nur um sich zu verteidigen. Das ist ohne das Beherrschen von Sprache nicht möglich. Als gelernter Jurist weiß ich, wovon ich rede. Nicht umsonst fragen wir, wenn wir etwas wirklich wichtiges vortragen möchten: Darf ich offen sprechen? Wenn wir nicht aufpassen, verlernen wir unsere Sprache. Wenn wir erst zehnmal überlegen müssen, ob es denn auch angebracht ist, was wir sagen wollen, dann läuft etwas fundamental schief in diesem Land. Dann kommen wir nicht mehr weiter. Dann gibt es eine Schere im Kopf der Bürger, die Fortschritt und Zukunft verhindert. Die uns vorschreibt, was wir zu sagen und damit letztendlich auch, was wir zu denken haben.
Das ging mir durch den Kopf bei meinem kleinen Spaziergang um den Rubbenbruchsee. Und mir fielen die Sonntagnachmittage ein, wenn ich mit meiner Familie, mit allen Verwandten und Bekannten zusammensaß. Es gab natürlich Kaffee und Kuchen. Später kamen dann die härteren Sachen auf den Tisch. Es wurde viel geredet und diskutiert. Selten war man sich einig, aber es war mir immer eine Freude, mit klaren Worten für meine Position, für meine Ansichten über die Dinge zu streiten. Und dem Rest meiner Familie ging es genauso. Auch wenn mal ein hartes Wort fiel, so fand man schließlich doch wieder zusammen. Ein bißchen klüger, ein bißchen schlauer, vielleicht sogar ein bißchen weiser. Ich wünsche mir manchmal Sonntagnachmittage mit Kaffee und Kuchen für unsere Stadt und unser Land. Und daß dabei wieder frei geredet wird. Denn wir müssen unsere Sprache wiederfinden, gerade in diesen wilden Zeiten, in denen alles so unübersichtlich scheint. Und allen HASEPOST-Lesern wünsche ich natürlich ein schönes Wochenende!
Ihr
Justus Möser
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