Ein paar Wochen brauchte „unser Justus“ um sich von einem „Zipperlein“ zu kurieren. Mit fast 300 Jahren auf dem Buckel, dauert das manchmal ein wenig länger als erhofft. Nun ist unser Kolumnist wieder da und hat heute seine 75. Kolumne(!) abgeliefert.
Wie so oft in den vergangenen zwei Jahren ist es wieder eine Reflektion über tagesaktuelles Geschehen – natürlich mit einem Seitenblick auf Osnabrücker Verhältnisse. Ob diese Kolumne auch in Zukunft wieder wöchentlich erscheinen kann, ist noch offen. Wir hoffen es sehr und freuen uns über die Rückkehr unseres ältesten Kollegen!
Guten Abend,
in diesen Tagen bemerke ich zum zweiten Mal nach der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015 ein komplettes Staatsversagen. Was seit gestern Abend in Hamburg passiert, spottet jeder Beschreibung und macht mich wütend und ängstlich zugleich. Während ich diese Zeilen schreibe, wird über den Newsticker gemeldet, daß die Polizeibeamten, die den G20-Gipfel sichern sollen, dringend Verstärkung benötigen. Währenddessen bangen Anwohner in Blankenese und anderen betroffenen Stadtteilen um ihr Hab und Gut und müssen ihre Kinder aus den Schulen und Kitas holen. Wie vollmundig wurde doch lamentiert über ein paar Berliner Polizisten, die in Bad Segeberg während ihrer Freizeit gesoffen, öffentlich uriniert und kopuliert und Tische und Stühle nach Gebrauch nicht ordentlich an ihren Platz zurück gestellt haben. Der Hamburger Polizeipräsident bemerkte dazu süffisant, dieses Verhalten entspreche nicht „hanseatischen Gepflogenheiten“. Damit mag er durchaus recht haben. Ob es allerdings gute Tradition in Deutschlands bedeutendster Hansestadt ist, radikalen Randalierern Tür und Tor zu öffnen, das wage ich an dieser Stelle dann doch einfach mal zu bezweifeln. Aber es wirft ein bezeichnendes Bild auf die Zustände in den oberen Verwaltungsetagen dieses Staates, wenn über die eigenen Untergebenen gedankenlos und fast mit einer gewissen Schadenfreude der Stab gebrochen wird, während zu den unfassbaren Ausschreitungen, die seit Donnerstag die Stadt Hamburg heimsuchen, dann doch lieber erstmal geschwiegen wird. Das erinnert ein wenig an das Verhalten des Kölner Polizeipräsidenten in der Silvesternacht vor anderthalb Jahren. Auch da sollten unangenehme Vorkommnisse zunächst mal unter den Teppich gekehrt werden, um die durch den rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen ziemlich angespannte Stimmung in der Bevölkerung nicht noch weiter zu strapazieren. Der Schuss ging allerdings nach hinten los, und das sollte für die Verantwortlichen in Hamburg denn auch durchaus eine Mahnung sein. Wenn die Barrikaden geräumt und die letzten Autos gelöscht sind, dann wäre es doch endlich mal an der Zeit, schonungslos Bilanz zu ziehen über die Unfähigkeit des Staates, seine Bürger in wirklich heiklen Situationen ausreichend zu schützen. Es kann doch nicht sein, daß die Nichtentrichtung von GEZ-Gebühren oder die verspätete Zahlung von Gebühren für falsches Parken im schlimmsten Fall mit Gefängnisstrafen geahndet werden, während Chaoten unter dem Deckmantel einer vermeintlich korrekten politischen Gesinnung ganze Stadtviertel verwüsten und in Schutt und Asche legen können.
Was ich auch vermisse, daß ist der öffentliche Aufschrei, die multimediale Empörung, die Verbindung dieser sinnlosen Gewalt mit der damit einhergehenden politischen Gesinnung. Zu Recht wird in Deutschland unermüdlich vor dem Wiedererstarken des rechten Terrors gewarnt. Wer aber zu den Hetzkampagnen und der Gewalttätigkeit des sogenannten linksautonomen Lagers schweigt, der macht sich dann doch mehr als unglaubwürdig. Es paßt in diese Zeit des Tugendterrors und der vermeintlich korrekten Gesinnung, die mittlerweile jeder für sich in Anspruch zu nehmen glaubt und damit zugleich das Recht verbindet, Andersdenkende bis zur sozialen Vernichtung zu diffamieren, daß Linksterrorismus nicht mit der gleichen Entschiedenheit verurteilt und bekämpft wird wie die Schandtaten von Neonazis oder Islamisten. Welch beschämender Geist mag bei denen vorherrschen, die glauben, die Ablehnung des Kapitalismus gäbe Menschen das Recht, Gewalt gegen andere Menschen und gegen Sachen auszuüben. Gewalt geht immer mit einem gerüttelt Maß an Dummheit daher. Die Vorkommnisse in Hamburg sind dafür wieder einmal ein gutes Beispiel.
Dieser Tage habe ich in der Kommenderiestraße hier in Osnabrück eine Radfahrerin gesehen, die mal eben so im Vorbeifahren einem parkenden Auto den Seitenspiegel umgeknickt hat. Zugegebenermaßen stand das Auto etwas verbotswidrig mit zwei Rädern auf einem Bürgersteig und behinderte die freie Fahrt der Radfahrerin. Wenn etwas persönlich mißfällt, scheinen manche Menschen daraus die Legitimation zu ziehen, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen und Sanktionen nach eigenem Gutdünken zu verhängen und zu vollstrecken. Das ist dann doch eine politische Entwicklung, die mir zu denken gibt, die ich zutiefst mißbillige und die zugleich ein bezeichnendes Licht auf die Schieflage der politischen und sozialen Kultur in diesem Land wirft. Ein bißchen Hamburg darf ja wohl auch in Osnabrück erlaubt sein – dieser Staat scheint es ja sowieso nicht mehr verhindern zu können.
Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es nichts zu mösern gibt. Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Ihr
Justus Möser