Guten Abend,

AFP

es gibt soviel zu schreiben und zu berichten, man kann kaum mit einem ruhigen Gewissen zu Bett gehen. Es gibt in diesem Jahr kein Sommerloch, keine Tage, an denen nichts passiert. Ich sitze manchmal schon morgens um sechs am Küchentisch und verfolge atemlos die Nachrichten von dem, was sich in der vergangenen Nacht ereignet hat. Oft packt mich der Zorn über die Gewalt, über die Sinnlosigkeit, über das Unmenschliche, das Menschen anderen Menschen antun, über die Kläglichkeit des politischen Handelns, über die Angst und die Lügen, die uns täglich serviert werden. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, wenn man etwas Abstand gewinnt vom Alltäglichen, wenn man neue Wege geht und die gewohnte Umgebung verläßt. In Zeiten wie diesen brauchen wir einen freien und klaren Kopf, um die Geschehnisse um uns herum richtig einordnen zu können, um zu erkennen, was für unser Leben Relevanz besitzt, wo wir von wem auch immer aufs Glatteis geführt werden sollen und wo eigenes Handeln und persönlich Stellung beziehen dringend vonnöten sind. Ich glaube, daß diesem Land ein wenig Urlaub guttun würde. Wir haben uns verrannt in Angstpsychosen, die eine Folge der Ereignisse sind, die mit dem Attentat auf die Künstler von „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 ihren Anfang nahmen und mit den verabscheuungswürdigen Ereignissen in Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach und in einer kleinen französischen Kirche ein Sommerloch, eine Verschnaufpause, eine Zeit zum Erholen, Nachdenken, eine Zeit der der inneren Einkehr unmöglich machen. Dazwischen liegen die Tage des „Wir schaffen das!“ vom Herbst 2015, deren Folgen für Deutschland wohl erst in einigen Jahren richtig beurteilt werden können. Dazwischen liegen die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza – um nur die paar zu nennen, die in unmittelbarer Nähe zu Deutschland passiert sind. Die Welt gönnt sich keine Atempause mehr. Auch die USA werden immer wieder vom islamistischen Terror schwer gebeutelt, 15 Jahre nach 9/11 ist unser Planet weder zur Ruhe gekommen noch ein friedlicherer Ort geworden. Und auf das, was nach wie vor im Nahen Osten, in Nigeria, Somalia, Mali, Afghanistan und in der Türkei geschieht, will ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Eine auch nur annähernd umfassende Beschreibung und oberflächliche Analyse aller Krisenherde würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, sie würde mich auch schlichtweg überfordern. Ich sehe allerdings im Moment auch niemanden, der der Herausforderung gewachsen wäre, die globale Politik sachlich und lösungsorientiert zu analysieren und daraus die richtigen und notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Schon gar nicht in unserer Bundesregierung. Es wird ausschließlich auf Sicht regiert, es wird nur noch reagiert statt selbst gestaltet, man läßt sich von Despoten und Meinungsumfragen treiben und demütigen. Man hofft, daß alles schon irgendwann wieder gut werden möge, daß sich die Lage beruhigt, daß es dann doch nicht so schlimm wird, wie es der gesunde Menschenverstand eigentlich aber schon lange erahnt. So wie es der Kapitän der Titanic im Jahr 1912 gemacht hat, als er sich auf ein paar Schiffsjungen verließ, die ihm melden sollten, falls irgendwo ein Eisberg auftaucht. Und der dann in aller Ruhe schlafen ging, obwohl er wußte, daß er eine Gegend passierte, die voller Eisberge war. Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Manchmal habe ich keine Lust mehr, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen, immer wieder darauf hinzuweisen, mit wieviel Unvermögen und Unverfrorenheit in Osnabrück, in Deutschland, in der Welt Politik gemacht wird. Es ist ermüdend, Woche für Woche für eine bessere Welt zu kämpfen. Aber ich habe Angst davor, mit diesem Kampf aufzuhören, weil ich nicht weiß, ob nach mir noch andere Leute die Kraft haben werden, diesen Kampf weiterzuführen. Seit mehr als 250 Jahren habe ich mich für Gerechtigkeit, für Sachverstand in der Politik, für Vernunft und Augenmaß eingesetzt. Manchmal war ich kurz davor, zu resignieren und aufzugeben. Manchmal hatte ich auch kleine Erfolge zu vermelden, manchmal habe ich große Enttäuschungen und desaströse Niederlagen erlebt. Nun werde ich ein paar Tage Urlaub machen. Ich muß einfach mal ein bißchen Kraft tanken, um anschließend den Kampf wieder aufzunehmen. Vielleicht fahre ich für ein paar Tage an den Dümmer, vielleicht setze ich mich in die Osnabrücker Altstadt und schaue während des Genusses von hochprozentigen Getränken den Menschen bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu. Dann weiß ich wenigstens, wofür ich schreibe und kämpfe. Vielleicht fahre ich aber auch zur Abwechslung mal nach Mallorca zum Ballermann und lasse es richtig krachen. Ich weiß es noch nicht. „Mösers Meinung“ macht eine kurze Sommerpause und ist ab dem 2. September wieder für sie da, natürlich in alter Schärfe und mit dem gewohnt kritischen Blick auf die wichtigen Dinge, die uns die Politiker als heile Welt und tolle Leistung verkaufen wollen und die sich bei näherem Hinsehen leider oft als heiße Luft erweisen. Pünktlich zur Kommunalwahl werde ich wieder einen Blick auf all das werfen, was unser Leben bestimmt und meistens doch nur von Dilletantismus, ideologischer Verblendung und Selbstüberschätzung gesteuert wird. Vielleicht ist der Ballermann die passende Umgebung, um das, was uns im Kommunalwahlkampf erwartet, richtig einschätzen zu können. Ein bißchen aufgesetzte Fröhlichkeit kann schließlich niemandem schaden und würde auch führenden Lokalpolitikern gut zu Gesicht stehen.

Vielleicht kann man manche Dinge nur noch im Vollrausch ertragen. Die Mehrheit im Osnabrücker Stadtrat kämpft mit aller Gewalt für ein neues Einkaufszentrum, alteingesessene Kaufleute in der Krahnstraße werden mit ihren Problemen dagegen schlichtweg ignoriert. Der Neumarkt ist mal wieder gesperrt, ohne Rücksicht auf Verluste und die politischen Folgen. In der Innenstadt explodieren die Wohnungsmieten, aber statt mehr Wohnraum zu schaffen, hat der oberste Baurat nur die Umwidmung von wichtigen Verkehrsverbindungen in Fahrrad- und Busstraßen im Kopf. Es gibt soviel zu schreiben und zu berichten. Ich werde in fünf Wochen auf jeden Fall wieder für Sie da sein. Bleiben Sie mir bis dahin gewogen, liebe Leserinnen und Leser, und bleiben sie vor allem kritisch gegenüber dem, was um uns herum passiert.

Ich wünsche allen HASEPOST-Lesern ein Wochenende, an dem es ausnahmsweise mal nichts zu kritisieren gibt. Und mir wünsche ich schönes Wetter. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Ihr

Justus Möser

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