Die Demonstrationsfreiheit ist in einer Demokratie eines der wichtigsten Grundrechte. Sie sollte nicht leichtfertig für irgendwelche Spaßveranstaltungen oder zur persönlichen Profilierung für das Ego von selbstberufenen politischen Lichtgestalten genutzt werden. Leider habe ich in den letzten Tagen den Eindruck bekommen, daß genau das im Moment in Osnabrück passiert. Da meldet ein ehemaliger Ratsherr der Linken, der mit seiner Parteigenossin nicht mehr zurechtkam und deshalb mittlerweile fraktionslos ist, über das soziale Netzwerk Facebook eine Demo gegen die Wiederöffnung des Neumarktes für den automobilen Individualverkehr an. Aber nur, wenn er für diese Idee mindestens 50 Likes bekommt. Was soll das? Wenn das Thema für ihn eine so große Relevanz und Bedeutung besitzt, dann sollte er sich doch von den Facebook-Nutzern nicht davon abhalten lassen, alles zu tun, um den Neumarkt wieder gesperrt zu bekommen. Demonstrieren nur, wenn es Facebook gefällt? Was ist das für eine seltsame Form von Demokratieverständnis. Hier wird das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zugunsten eines gesteigerten Bekanntheitsgrades der Lächerlichkeit preisgegeben.
Doch das ist nicht der einzige Anlass, der mich bewogen hat, diesen Kommentar zu schreiben. Es kommt noch schlimmer. Ein stadtbekannter Gewerkschafter sucht seit geraumer Zeit offensichtlich unablässig Gründe, um die Massen zu mobilisieren und die Leute vom Sofa auf die Straße zu holen. Es wird gegen Pegida demonstriert, gegen das Abgleiten nach rechts, gegen den Sexismus. Alles ehrenwerte Anlässe, ohne Frage. Aber wenn wir uns die Situation in Osnabrück einmal näher anschauen, dann muß man sich als Bürger dieser Stadt doch fragen, welchen Sinn diese Vielzahl an Demonstrationen haben soll. In Osnabrück hat es keine massenhaften sexuellen Übergriffe auf Frauen gegeben, weder in der Silvesternacht noch sonst irgendwann. Hier ist auch weit und breit nichts von einer pegidaähnlichen Bewegung zu spüren. Geschweige denn von nennenswerten Aktivitäten der NPD oder ähnlichen scharfrechten Gruppierungen. So gesehen gäbe es eigentlich gar keine Gründe, um die oben aufgeführten Demonstrationen durchzuführen. Selbst die AfD tritt nicht zur Kommunalwahl im Herbst an (obwohl das ihr gutes Recht wäre) [Nachtrag der Redaktion: Aktuell überlegt die AfD wohl doch anzutreten]. Alles ist ruhig in unserer Hasemetropole. Und nur weil jetzt im März die „Internationalen Wochen gegen den Rassismus“ stattfinden, sollte man als politisch aktiver Mensch doch vielleicht sinnvolleres tun, als sich irgendwelche Themen an den Haaren herbeizuziehen. Nur, weil sie zur Zeit bundesweit auf der aktuellen Themenliste stehen. Nur, weil man durch sie in die Zeitung kommt. Am liebsten überregional.
Es kann doch nicht Sinn einer Demonstration sein, das Geltungsbedürfnis des Veranstalters zu befriedigen. Eine Demonstration sollte auf aktuelle Mißstände hinweisen, durchaus auch die Eigeninteressen von relevanten gesellschaftlichen Gruppen zum Ausdruck bringen und auf die Verbesserung von Lebensumständen hinwirken. Eine Demonstration ist eine ernste Sache, sie muß bei öffentlichen Behörden angemeldet werden, sie soll zur politischen Willensbildung beitragen, sie soll einen bestimmten politischen Willen zeigen (lateinisch = demonstrare) und ihn unterstreichen. Eine Demonstration hat Ziele. Welche Ziele haben in Osnabrück Demonstrationen wie die oben aufgeführten? Was unterscheidet sie überhaupt noch von den berühmt-berüchtigten Flashmobs, die nur das Ziel haben, im Internet möglichst große Verbreitung zu finden. Irgendwelche begeisterungsfähigen Bekannten werden sich schon finden, die mitlaufen. Irgendwer läuft schließlich immer mit, vor allem in Deutschland. Und alles, was gegen Pegida und gegen Rechts ist, das muß ja irgendwie gut sein. Zumindest im Weltbild der Veranstalter. Die Demonstrationsfreiheit wird dadurch immer mehr ausgehöhlt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Ich finde das schäbig. Was passiert, wenn es wirklich wichtige Themen gibt, für die es sich lohnt auf die Straße zu gehen und Flagge zu zeigen? Wer nimmt Demonstrationen dann noch ernst? Nachdem ihre Sinnhaftigkeit von kleinen Geistern für persönliche Zwecke vereinnahmt worden ist. Nachdem mittlerweile soviel für oder gegen etwas demonstriert wurde, daß man als einfacher Bürger gar nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Ich kann nur hoffen, daß noch genug Bürger da sind, die die Demonstrationsfreiheit schützen und nutzen werden, wenn wir sie einmal wirklich brauchen.
Ihr
Justus Möser