Kasperletheater
Ich habe immer geglaubt, daß der Schutz und die Durchsetzung von Recht, Gesetz und Ordnung unter Berücksichtigung des Willens der Mehrheit der Bevölkerung die Hauptaufgaben unserer politischen Vertreter sind.
Das, was sich seit einigen Tagen rund um das Thema „Wiederöffnung des Neumarktes für den Autoverkehr“ abspielt, belehrt mich leider eines Besseren. Medienwirksam hat ein Osnabrücker Bürger gegen die Sperrung des Neumarktes für den automobilen Individualverkehr geklagt. Er hat Recht bekommen. Was nichts anderes bedeutet, als daß die zur Zeit gültige Verkehrsregelung auf dem Neumarkt unrechtmäßig ist.
Wer nun aber geglaubt hat, daß die Ratsdamen und -herren, die diese Unrechtmäßigkeit zu verantworten haben, ihren Fehler einsehen, ihn korrigieren und sogar Worte des Bedauerns finden würden („Wir haben ja immer nur das Wohl der Bürger unserer Stadt im Sinn gehabt! Wir haben gedacht, daß der Bau des neuen Einkaufscenters schon im Herbst letzten Jahres beginnt! Wir lieben Euch doch alle usw. usf…“), der muß sich aufgrund der aktuellen Entwicklung verwundert die Augen reiben.
Plötzlich wird blitzschnell und natürlich ebenfalls äußerst medienwirksam von den Vertretern der „Regenbogenkoalition“ eine sogenannte Abrissanzeige des Investors für das geplante Einkaufscenter präsentiert. Siegessicher grinsen die führenden Köpfe der Osnabrücker Lokalpolitik in die Kamera, so, als ob damit die ganze Angelegenheit dann doch bitteschön auch endgültig erledigt wäre. Es scheint nicht sein zu können, was nicht sein darf! Hier wird in die unterste verwaltungstechnische Trickkiste gegriffen, um eine politische Niederlage zu vermeiden.
Der Bürger fragt sich derweil, wie dicke es der Investor und die Politiker denn wohl miteinander haben. Wirtschaftsförderung ist ja schön und gut, aber jetzt wird der Eindruck erweckt, als ob Wirtschaft und Politik in dieser heiklen Angelegenheit gemeinsame Sache machen und daß mit aller Gewalt ein Projekt durchgesetzt werden soll, dessen ideologische Bedeutung für die weitere Verkehrsentwicklung der Osnabrücker Innenstadt noch gar nicht abzuschätzen ist. Wissen Herr Cheeseman und Frau Brandes-Steggewentz (Linke) wirklich, was sie da tun? Und wollen sich die Herren Henning (SPD) und Hagedorn (Grüne) hier ein Denkmal setzen, daß die Osnabrücker Bürger schließlich auszubaden haben? Und warum blasen FDP und UWG/Piraten unablässig ins gleiche Horn? Eine sachliche Diskussion über das Thema „Freigabe oder weitere Sperrung des Neumarktes“ scheint unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Es sollen offensichtlich Tatsachen geschaffen werden, die einen Weg zurück unmöglich machen. Über den Sinn oder Unsinn eines Einkaufscenters in dieser gewiß nicht unproblematischen innerstädtischen Lage im Zeitalter des zunehmenden Online-Shoppings ist ohnehin nie wirklich gesprochen worden.
Die politischen Akteure in diesem Kasperletheater machen immer mehr den Eindruck von Getriebenen, die sich auf eine Sache versteift haben, die sie mit aller Gewalt durchboxen wollen. Vernunft und Sachverstand haben dahinter zurückzutreten, vom Willen der Bevölkerungsmehrheit ganz zu schweigen. Inwiefern diese Inszenierung für die politische Kultur in Osnabrück hilfreich ist, das scheint niemanden der beteiligten Akteure zu interessieren. Selbst Gesprächsrunden wie der „Heimatabend“ von Kalla Wefel am vergangenen Sonntag, an dem viele der Verantwortlichen zusammensaßen und einen für jedermann gesichtswahrenden Konsens hätten vereinbaren können, werden nur zur Selbstdarstellung genutzt.
Es ist Showtime, sachdienliches Handeln hat in den Hintergrund zu treten. Verlierer ist bei diesem ganzen Theater wieder mal der Bürger. Und Recht und Ordnung. Aber das scheint alles nicht mehr so wichtig zu sein. Schade!
Ihr
Justus Möser