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Mösers Meinung – zum Thema „Psychotricks und freie Bürger“

Guten Abend,

haben Sie schon mal was von „Nudging“ gehört?
Das ist ein hochaktuelles Konzept, entwickelt von englischen Verhaltensforschern. Es geht um eine neue Methode, die Gesellschaft zu verändern und Politik zu machen. Nicht mit Appellen oder Verboten, sondern mit Psychomethoden, die auf Verhaltensmuster in unserem Unterbewußtsein zielen. „Nudging“ bedeutet im Deutschen soviel wie „anstupsen“. Damit sollen die Menschen auf sanfte Art und Weise dazu erzogen werden, immer pünktlich ihre Steuern zu zahlen, soviel Energie wie möglich zu sparen, sich gesünder zu ernähren, nicht mehr soviel Gas zu geben beim Autofahren, keinen Müll mehr in der Gegend rumzuwerfen und alles ganz toll zu finden, was uns die Regierung und ihre Vasallen so zumuten.

Nudging-Politik basiert auf den Ideen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahnemann. Der hat in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ geschrieben: „Die Entscheidungen, die Menschen für sich selber treffen, lassen sich durchaus zutreffend als Fehlentscheidungen bezeichnen.“ Er glaubt, daß die Menschheit vor allem träge ist, und deshalb den kurzfristigen Nutzen einer Sache über den langfristigen bzw., wie man heutzutage so schön sagt, den nachhaltigen Nutzen stellt. So kaufen wir uns zum Beispiel lieber einen günstigen Kühlschrank, obwohl dieser wegen seines hohen Stromverbrauchs auf Dauer teurer ist als ein höherpreisiges Konkurrenzmodell. Wir schließen keine Riester-Rente ab, weil das mit zusätzlicher Arbeit verbunden ist, und wechseln aus Bequemlichkeit auch nur ungern aus der Krankenkasse unserer Eltern, obwohl es preiswertere Alternativen gibt. Auf öffentlichen Toiletten landet 80% weniger Urin auf dem Boden, wenn im Urinal das Abbild einer Fliege angebracht wird. Seitdem in US-Kinos beim Verkauf von Popcorn deklariert werden muss, wieviel Kalorien in einer Tüte stecken, ist der Konsum drastisch zurückgegangen. Und Gäste in einer Kantine entscheiden sich öfter für gesundes Obst als Nachspeise, wenn es besser erreichbar platziert wird als Süßigkeiten. Befürworter des „Nudging“ betonen immer wieder, daß die sanften Anstupser Entscheidungen beeinflussen sollen, ohne die Freiwilligkeit der Individuen einzuschränken. Wie soll das gehen? George Orwell läßt grüßen!

Urinal

Ich halte nichts von einer Einmischung in die intimen Angelegenheiten anderer Menschen. Auch der Staat darf sich dieses Recht nicht nehmen. Er tut es aber. Im August vergangenen Jahres gab es folgende Stellenausschreibung: „Das Bundeskanzleramt sucht am Dienstort Berlin für das Referat Stab Politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben befristet bis zum Ende der 18. Legislaturperiode drei Referenten.“ Von den Bewerbern wurden „hervorragende psychologische, soziologische, anthropologische, verhaltensökonomische bzw. verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse“ erwartet. Unter dem Deckmantel des Allgemeinwohls wird die Infantilisierung der Bevölkerung vorangetrieben, es wird dem Bürger ganz allgemein die Fähigkeit abgesprochen, die für ihn beste Entscheidung selbst zu treffen. Er muß angestupst werden, um zu erkennen, was für ihn das Beste ist. Er braucht Hilfestellung, um ein guter Bürger zu sein. Von da ist es nur ein kurzer Weg bis zum Herumschupschen. Denn was für einen Arnold Schwarzenegger wohl nur ein etwas kräftigeres Schulterklopfen ist, das kann für ein Baby eine lebensgefährliche Körperverletzung sein. Wer entscheidet, wann aus Stupsern Schubscher werden, wer setzt die Grenzen zwischen einem freundschaftlichen Klaps und einem brutalen Schlag?

Ich möchte diese Entscheidung nicht drei mir völlig fremden Personen überlassen, die nach Rücksprache mit der Bundeskanzlerin festlegen dürfen, was gut und schlecht für dieses Land und seine Bewohner ist. Ich möchte zumindest über mich selbst frei entscheiden dürfen. Und wenn ich mich im Rückblick falsch entschieden haben sollte, dann habe ich das wenigstens als freier und selbstbestimmter Mensch getan und nicht als willenlose Marionette einer es vermeintlich gut mit mir meinenden Regierung und ihrer Helfershelfer. Das Bundeskanzleramt sollte etwas zurückhaltender sein, was etwaigige Versuche angeht, die Bevölkerung in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Wir müssen uns wieder bewußt werden, daß wir in einer Demokratie leben, daß alle Staatsgewalt letzlich vom Volk ausgeht. Wenn unser Leben immer mehr reglementiert wird, wenn wir nicht mehr unser Menschsein ungehemmt und mit allen dazugehörigen Emotionen ausleben dürfen, was unterscheidet uns dann noch von den Tieren? Wenn wir erst angestupst werden müssen, um zu erkennen, wie wir uns zu verhalten haben, was bedeutet dann noch Freiheit für uns? Die Wahl zu haben zwischen Obst und Süßigkeiten? Nicht auf eine Fliege zu zielen, während wir ein Urinal benutzen? Wir dürfen doch schon fast nirgendwo mehr rauchen, wir werden komisch angeschaut, wenn wir das Auto dem Fahrrad bevorzugen. Wir behalten unsere Meinung lieber für uns, weil wir Angst vor sozialer Ächtung haben, weil wir nicht ausgestoßen werden wollen aus dem, was man leichtfertig als Mitte der Gesellschaft bezeichnet. Wir kennen keine Grenzen mehr, wenn es darum geht, uns klein zu machen und andere für uns reden und entscheiden zu lassen. Also sollten wir uns nicht wundern, wenn unsere Regierung nach Mitteln und Wegen sucht, uns möglichst für immer klein und ruhig zu halten. Aber wir sollten es uns nicht länger gefallen lassen! Ich werde mir jetzt eine Zigarette anzünden und eine Tiefkühlpizza warmmachen. Vielleicht trinke ich anschließend noch eine leckere Flasche Korn. Und dann trauere ich den guten alten Zeiten hinterher, als das alles noch ganz normal war und sich niemand um mich Sorgen machen mußte.

Ich wünsche allen Hasepost-Lesern ein gesundes Wochenende!

Ihr

Justus Möser

Hier alle bislang erschienenen Kolumnen von Justus Möser.


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Justus Möser
Justus Möser
Justus ist unser "ältester Mitarbeiter", seit 1720 wandelt er durch unsere Stadt - wobei er inzwischen eher "geistert". Sein Vertreter in der Gegenwart ist unser Autor Wolfgang Niemeyer, der sich in dieser Kolumne regelmäßig darüber Gedanken macht „was würde Möser dazu meinen“?

  

   

 

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