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Todor Tosho Todorovic
Alter schützt vor Toren nicht
Eigentlich bin ich ja Fußballhasser.
Ach, Blödsinn! Aber ich war es mal … … und warum?
Über die Jahre war es nämlich häufig so: Wenn ich mit meiner Blues Company irgendwo ein Konzert gab und gleichzeitig ein wichtiges Fußballspiel – also in der Champions League oder ein Länderspiel – im TV übertragen wurde, war bei uns nix oder zumindest weniger los als erwartet. Die Folge war, dass bei diesen schlecht besuchten Konzerten entweder der Veranstalter draufzahlen musste oder wir – bei sogenannten Prozente- oder Türdeals (bei denen die Band einen bestimmten Prozentanteil der Eintrittseinnahmen bekommt) – so gut wie nichts oder nur sehr wenig Geld mit nach Hause nehmen konnten.
Jetzt kann man sicherlich argumentieren: „Warum habt ihr denn Gigs an solchen Tagen überhaupt angenommen?“
Richtig, jedenfalls erst einmal.
Wenn man sich aber nicht für Fußball interessiert, weiß man auch nicht, wann solche angeblich wichtigen Spiele stattfinden.
So ging das jahrzehntelang, aber dann …
Eines Sonntags, Birgit (die allerbeste Ehefrau von allen, um mich der Worte Efrahim Kishons zu bedienen) war ein paar Tage nicht in Osnabrück, bin ich in die Lagerhalle zum Frühstücken gefahren und siehe da: Die Kneipe war brechendvoll, denn auf der Großleinwand lief irgendein VfL-Spiel.
Das muss also noch in der guten, alten Zweitligazeit gewesen sein.
Ich traf ein paar Freunde und blieb da.
Die Stimmung war ,aufgeladen’ und ich fand das irgendwie spannend und klasse! Also bin ich zwei Wochen später wieder hingefahren und dann wieder und wieder.
Ich habe damals schon überlegt, auch mal ins Stadion zu gehen, aber so ganz alleine hatte ich auch nicht die große Lust.
Eines Tages rief mich Kalla an:
„Sag mal, im August gibt Joe Enochs sein Abschiedsspiel. Hättest Du Lust, mit mir hinterher ganz nach dem Musikermotto ,ohne Proben ganz nach oben‘ ein wenig Musik im VIP-Raum zu machen?“
Wenn ich mich richtig erinnere, hat er nicht VIP-, sondern VUP-Raum gesagt – very unimportant people also.
Gesagt, getan.
Ich habe meine Gitarre gepackt und war zum besagten Termin zum ersten Mal in meinem Leben im Stadion an der Bremer Brücke, das ich bislang nur vom Vorbeifahren und von Fotos in Zeitungsberichten kannte.
Ich muss gestehen, dass mich die Stimmung umgehauen hat, obwohl es nur ein Freundschaftsspiel war. Die Fangesänge besonders, die Fahnen und überhaupt die ganze familiäre Atmosphäre empfand ich als sehr schön und ausgesprochen angenehm. Das heißt: Wegen Kallas Einladung zu Joe Enochs Abschiedsspiel war ich am 23. August 2008 das erste Mal live bei einem Fußballspiel persönlich anwesend!
Die Geschichte geht aber eigentlich erst los …
Ich habe weiterhin die Spiele des VfL im TV verfolgt, inzwischen ,bei mir umme Ecke‘ in der Uhlhornklause, kam aber immer noch nicht auf die Idee, auch mal ein Pflichtspiel live im Stadion anzusehen. Dann wieder: Anruf von Kalla!
„Hömma, am 23.September 2009 ist das völlig ausverkaufte DFB-Pokalspiel gegen den derzeitigen Bundesliga-Spitzenreiter HSV! Haste Lust mit mir vor der Ostkurve die Vereinshymne zu singen? Nein sagen gilt nicht, denn Singen ist ohnehin die einzige Möglichkeit, noch ins Stadion zu kommen.“
Da ich nicht allzu oft die Chance habe, vor gut 16.000 Leuten zu singen, habe ich sofort zugesagt.
Unsere kurze Gesangseinlage war ,so la la‘. Wenn man unten auf dem Spielfeld steht, hört man durch die große Entfernung zu den Lautsprechern alles mehrfach und mit großer Verzögerung. Schwierig genug, da im Timing zu bleiben, aber nach ein paar Takten hatten wir uns einigermaßen daran gewöhnt.
Was ich dann erleben durfte, ist mit Worten kaum zu beschreiben.
Diese Spannung war nicht zum Aushalten! Wie gesagt: mein erstes wirklich wichtiges und richtiges Fußballspiel und dann in diesem Hexenkessel!
Der VfL führte bis kurz vor Schluss. Dann dieses dämliche Handspiel, die Verlängerung mit dem 3:3 nach dem kurzzeitigen Rückstand von Grieneisen und schließlich das Elfmeterschießen, bei dem unser Torwart Tino Berbig als Held des Osnabrücker Publikums gefeiert wurde.Der Sturm der Begeisterung, der dann losbrach, erzeugt bei mir auch heute noch eine Gänsehaut! Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen. Eine Euphorie, wie ich sie bis dahin noch nirgendwo anders jemals so erlebt hatte! Jeder, der da war, wird sich vorstellen können, wie das alles auf mich gewirkt haben musste. Mein erstes echtes Fußballspiel und dann das Spiel der Spiele des VfL!
Ich war definitiv angefixt!
Als ich davon bei einer Familienfeier erzählte, sagte Detlef, Birgits Neffe, dass er regelmäßig im Stadion sei und mich mal mitnehmen wolle. Ich fing also an, immer häufiger mit ihm zu den Heimspielen des VfL zur Brücke zu pilgern, wenn ich denn zu Hause und nicht auf Tour war.
Wenn wir heute mit der Blues Company unterwegs sind. wird im Bus der „Lauschangriff“ gehört oder der Ticker verfolgt. Zumindest Flo Schaube, unser Schagzeuger, Volker Winck, seines Zeichens Saxofonist, und ich fiebern mit und sind immer darauf erpicht, das Ergebnis möglichst zeitnah zu erfahren. Ich muss allerdings zugeben, dass ein Bandmitglied – den Namen werde ich hier nicht öffentlich nennen, um diesen bedauernswerten Menschen nicht auch noch unnötig zu denunzieren, seine Initialien lauten jedenfalls M. T. – Fan von … na, eben Fan von Bayern München ist! Als er Opa wurde, hatte er seinem Enkel sogar einen Strampler der Bayern gekauft und hielt es darüber hinaus für angebracht, uns mit einem Foto des Babys im besagten rot-weißen Outfit zu malträtieren. Ein Stich ins Herz war das für mich. Das arme, wehrlose Kind! Dieser vaterlandslose Geselle.
Zurück zu mir und meinem Vau-Eff-Ell …
Ich also weiterhin ins Stadion und zu den Auswärtsspielen in die Ulhornklause. Eines Tages wollte Birgit (die allerbeste Ehefrau … na, ihr wisst schon …) auch zum Fußball mit in die Kneipe gehen. Irgendwann hieß es: „Ich komme mit ins Stadion!“
Ich weiß nicht mehr genau, welches Spiel es war oder womöglich welcher Spieler, aber plötzlich war sie auch angefixt!
Inzwischen haben wir beide Dauerkarten, haben uns mit den Leuten, die um uns herum sitzen, angefreundet, fahren ab und an zu Auswärtsspielen und freuen uns, auch im ,reiferen’ Alter ein gemeinsames Hobby gefunden zu haben.
Richtig toll ist es, wenn wir mit Axel, unserem Nachbarn von gegenüber und auch ein beinharter Fan, mit seinem Fiat 500 Cabrio gemeinsam zur Brücke fahren. Dann zwängen wir uns mit vier Erwachsenen – Axels Sohn kommt auch immer mit – in voller Montur, sprich: mit Fanschals und Mützen ausgestattet, in den Kleinwagen und fahren zu unserem Vau-Eff-Ell! Das muss ein Bild für die Götter sein … jedenfalls sehen wir unterwegs immer nur fröhlich lachende Menschen und es hat auch schon den ersten Applaus auf offener Strasse für diese Delegation gegeben.
Todor Tosho Todorovic
* 16.02.1951 in Lingen/Ems
Musiker