Dieser Artikel erschien erstmals am 14. Dezember 2015. Nachdem am 24. Juni 2019 zwei Eurofighter-Jets über (allerdings deutlich dünner besiedeltem Gebiet) in Mecklenburg-Vorpommern abstürzten, haben wir uns für eine erneute Veröffentlichung entschieden. Wie Spiegel-Online am Montag berichtete, stürzten die beiden Jets an der Ostsee bei einer Verfolgungs- und Luftkampf-Übung ab, bei der ein drittes und nicht näher beschriebenes Flugzeug das Ziel darstellte. Ähnlichkeiten zu den Luftkampf-Übungen über dem Osnabrücker Land drängen sich auf.
Das unten im Artikel genannte und auf simulierte Luftkämpfe spezialisierte kanadische Privatunternehmen firmiert inzwischen unter dem Namen „Top Aces Inc.“ und ist weiter auf der Luftwaffenanlage in Wittmund ansässig. Das Unternehmen wirbt selbst damit, gemeinsam mit Eurofighter-Jets verschiedener europäischer Streitkräfte von Wittmund aus Luftkämpfe zu simulieren.
[Update 25.06.2019, 09:20 Uhr] Der Informationsdienst Flightradar24 zeigt, dass die privaten Kampfflugzeuge des kanadischen Privatunternehmens auch weiterhin Luftkämpfe über dem Osnabrücker Land üben. Nicht auf dem aktuellen Screenshot (von 09:09 Uhr) zu erkennen sind die vermutlich verfolgenden militärischen Kampfjets, deren Transponder-Kennungen nicht von Flightradar24 erfasst werden. Zivile Passagierflugzeuge (links oben ein Ryanair-Jet) kreuzen das „Kampfgebiet“ in größerer Höhe.
Er sei „Luftfahrt-Enthusiast“, so bezeichnet sich Michael B., der nicht mit seinem vollen Namen genannt werden möchte (richtiger Name der Redaktion bekannt). Alles was mit Flugzeugen zu tun hat, fasziniert ihn. Wann immer über seinem Wohnort zwischen Bramsche und Bersenbrück ein Flugzeug am Himmel erscheint, zückt er sein Smartphone und ruft die App „Flightradar24“ auf. Doch was er dort am vergangenen Montag „live“ über seinem Wohnort mitverfolgen durfte, jagte ihm einen gehörigen Schrecken ein.
Bevor wir zu den Beobachtungen unseres Lesers kommen, kurz ein paar Erläuterungen zu Flightradar24. Dabei handelt es sich um einen Service, der auch über eine Internetseite abrufbar ist, der Flugbewegungen von zivilen Flugzeugen abbildet. Die Daten werden von mehr als 4.000 weltweit verteilten Empfängern aufgefangenen und an die Zentrale in Schweden weitergeleitet, von wo sie dann an die Nutzer der Smartphone-App verteilt werden.
Viele Fernsehzuschauer haben die Daten von Flightradar im Rahmen der Berichterstattung über die im vergangenen Jahr abgestürzten Flugzeuge von Malaysia Airlines oder in den Nachrichten über den Germanwings-Absturz gesehen. Während die offiziellen Behörden ihre Daten zurückhielten, konnte über den Service von Flightradar unzensiert verfolgt werden wie die Flugbahn bis zum Absturz verlief.
Smartphone-App zeigte einen Luftkampf über dem Osnabrücker Land
Michael B. hat knapp 4 Euro für die kostenpflichtige Variante der App ausgegeben. Was er am Montagmorgen auf seinem Smartphone verfolgen konnte und als Donnergrollen am Himmel hörte, war offenbar ein Luftkampf-Manöver. Militärflugzeuge, das wusste Michael B., werden nicht über die App angezeigt. Dennoch zückte er sein Smartphone und konnte live verfolgen was über ihm am Firmament passierte, denn tatsächlich waren am Himmel über dem Artland zivile Flugzeuge dabei Krieg zu spielen – beauftragt allerdings von der Bundeswehr.
Learjet startete ohne Kennung irgendwo in Schleswig-Holstein
Als er an diesem Morgen das erste Mal ein Flugzeug am Himmel hörte und die App aufrief, entdeckte er ein als Geschäftsflugzeug vom Typ Learjet 35 gekennzeichnetes Symbol auf dem Bildschirm seines Telefons. Zwei Dinge machte ihn stutzig: Das Flugzeug sendete offenbar keine Kennung (vergleichbar einem PKW-Nummernschild) an die Radarempfänger von Flightradar. Auch fehlten Angaben zum Start- und Zielflughafen. Anhand der Tracking-Daten, also den Daten über die bereits zurückgelegte Flugstrecke, konnte der Luftfahrt-Enthusiast nachverfolgen, dass dieser Learjet offenbar auch nicht von einem ihm bekannten Flugplatz, sondern irgendwo im tiefsten Schleswig-Holstein gestartet war.
Noch merkwürdiger: Dieses Flugzeug schien nicht auf direktem (spritsparenden) Weg zu einem Zielflughafen unterwegs zu sein, sondern vollführte offenbar vollkommen willkürliche Flugmanöver in mehreren tausend Metern Höhe über dem Osnabrücker Land und dem angrenzenden Südoldenburg und dem Emsland.
Nach kurzer Beobachtung des ersten Learjet entdeckte er ein baugleiches Flugzeug im Luftraum zwischen den Landkreisen Osnabrück, Cloppenburg und Emsland. Auch dieser Learjet war irgendwo in Schleswig Holstein gestartet, vollführte wilde Flugbewegungen und übermittelte keine zivile Kennzeichnung in seiner Radarkennung.
Kanadische Düsenjäger beginnen mit Jagd auf die Learjets
Kurz darauf tauchten zwei weiteren Flugzeuge auf, die mit hoher Geschwindigkeit aus dem Oldenburger Raum auf den Landkreis Osnabrück zuhielten. Anders als die ersten beiden Learjets, verfügten diese beiden Flugzeuge mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit heranrasenden über eine zivile Kennung. Zur Überraschung von Michael B. stellte dieser fest, dass es sich dabei nach Angaben seiner App um Zivilflugzeuge mit einer Registrierung in Kanada handelte. Ganz untypisch für die private Luftfahrt zeigte die App jedoch an, dass diese als Kampfflugzeuge vom Typ Douglas A4 Skyhawk identifiziert wurden, einem knapp unter der Schallgrenze fliegenden Jet, der im Vietnamkrieg von amerikanischen Flugzeugträgern eingesetzt wurde.
Airbus der British Airways fliegt mitten durch das „Kampfgebiet“
In den folgenden Minuten wurde unser Leser Zeuge wie die beiden ungekennzeichneten Geschäftsreiseflugzeuge und die beiden kanadischen Kampfflugzeuge über den Wolken und auf dem Bildschirm seines Smartphones wild umeinander her kreisten.
Zusätzliche Brisanz entstand in seinen Augen dadurch, dass das „Kampfgebiet“ dann auch von einem Passagierjet der British Airways, unterwegs von London nach Berlin, gekreuzt wurde. Die Flightradar-App identifizierte dieses Flugzeug als Airbus A-321 mit der Kennung G-EUXF und der Flugnummer BA990. Der Passagierjet, in dem mehr als 200 Passagiere Platz finden, flog mitten durch die Kampfzone, die sich allerdings nach den Angaben seiner App einige hundert Meter unterhalb des Airbus befand.
Pressestelle der Bundesluftwaffe bestätigt die Beobachtungen
Michael B. schickte uns vergangenen Montag ein paar Screenshots von seiner App, und wir fragten bei der Pressestelle der Bundesluftwaffe nach.
Hauptfeldwebel Agatha Kulla bestätigte die Angaben unseres Lesers:
„Der Bereich Osnabrücker Land, im Dreieck der Landkreise Osnabrück, Emsland Cloppenburg befindet sich unter der TRA 202 [TRA = Temporary Reserved Airspace = Flugbeschränkungsgebiet, die Redaktion] (Flughöhe ca. 2400 m – ca. 7500 m über Grund) und der TRA 302B (Flughöhe ca. 7500 m – ca. 20100 m über Grund).
Am 07.12.2015 flogen von 09:00 Uhr bis 09:50 Uhr Ortszeit zwei A-4 Skyhawk im Rahmen der Ausbildung in der TRA 202 in einer Höhe von ca. 6100 m bis ca. 7000 m über Grund. Ab 08:03 Uhr Ortszeit befanden sich zwei LJ-35 Learjet in der TRA 302B für ungefähr drei Stunden als Zieldarsteller. Diese flogen in einer Höhe von ca. 9100 m und ca. 10060 m über Grund.
Das Passagierflugzeug mit der Flugnummer BA990G (British Airways) flog zwischen 09:02 Uhr und 09:11 Uhr Ortszeit in einer Höhe von ca. 11300 m über diesen Bereich.
Die flugbetrieblichen Bestimmungen wurden dabei eingehalten.“
HASEPOST hat weiter nachgefragt, was hat es mit den beobachteten und bestätigten „Luftkämpfen“ über dem Osnabrücker Land auf sich hat.
Nachgefragt: Was sagt die Luftwaffe?Wieso werden solche Manöver über bewohnten Gebieten geflogen? Auf Grund der hohen Bevölkerungsdichte in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine ausreichend dimensionierten, unbewohnten Gebiete, über denen der militärische Flugbetrieb ohne jegliche Lärmbelastung für die Bevölkerung durchgeführt werden könnte. Wieso ist der Luftraum während solcher Manöver nicht für zivile Flugzeuge gesperrt (Airbus der British Airways)? Der zeitweise reservierte Luftraum TRA (Temporary Reserved Airspace) Weser wurde im besagten Zeitraum bis zu einer Höhe von ca. 10700 m über Grund reserviert. Alles oberhalb dieser Höhe ist wieder für den zivilen Flugverkehr freigegeben. Werden bei solchen Manövern Gesichtspunkte des Umweltschutzes (Abgase, Lärm und Energieverbrauch) berücksichtigt? Die Nutzung von zivilen Luftfahrzeugen (Learjet) ist in Sachen Abgasen, Lärm usw. für die Zieldarstellung bevorzugt, da diese nicht die Werte eines Kampfflugzeuges erreichen. Eine ausschließliche Nutzung ziviler Luftfahrzeuge ist jedoch nicht möglich. Kann man solche Manöver nicht über unbewohntem Gebiet fliegen, zum Beispiel über der Nordsee oder über Truppenübungsplätzen, etwa in den USA? Größere Übungen, sowie die Ausbildung der Luftfahrzeugbesatzungen werden disloziert. Die Lufträume über dem Gebiet der Nordsee sowie über Truppenübungsplätzen werden ebenso für Ausbildungsvorhaben genutzt. Diese Lufträume sind jedoch auf Grund ihrer Dimensionen für manche Übungsvorhaben nicht geeignet. |
Auf eine weitere Nachfrage wurde uns im Anschluss noch mitgeteilt, dass keines der eingesetzten Flugzeuge bewaffnet war.
Wir haben weiter recherchiert…
Zieldarstellung wurde bereits in den 60er Jahren „privatisiert“
Nach unseren Recherchen dürfte es sich bei den beiden Learjets, die als „Zieldarsteller“ agierten um Flugzeuge der Gesellschaft für Flugzieldarstellung (GFD) handeln. Dieses heute zum Airbus-Konzern gehörende Unternehmen wurde in den 80er Jahren als Tochter der Lufthansa gegründet. Bereits seit 1966 hatte ausgerechnet der Ferienflieger CONDOR, mit dem damals zahlreiche Neckermann-Urlauber begannen die Welt zu entdecken, für die Bundesluftwaffe fliegende Ziele dargestellt.
Quellen im Internet geben an, dass mindestens ein Dutzend Learjets zur Zieldarstellung im schleswig-holsteinischen Örtchen Hohn stationiert sind.
Private Kampfjets kommen aus Kanada nach Deutschland
Die als „schnelle Flugzieldarsteller“ bezeichneten Kampfjets vom Typ Douglas A-4 Skyhawk gehören dem kanadischen Privatunternehmen Discovery Air Inc., das vom Fachblatt Bundeswehrjournal als „Premiumdienstleister der kanadischen Streitkräfte“ gelobt wird. Die Maschinen, die bereits im Falklandkrieg erfolgreich einige britische Kriegsschiffe versenkten, sind seit 2015 am Fliegerhorst Wittmund stationiert.
Kriegsspiele können auch mit Absturz enden
Das die „Zieldarstellung“ auch mit einem Absturz enden kann, mussten im Sommer 2014 die Bewohner eines nur 80 Meter neben der Absturzstelle befindlichen Privathauses im Sauerland feststellen. Ihnen stürzte der Learjet neben den Vorgarten, als bei einem simulierter Luftkampf ein Tornado der Luftwaffe den eigentlich als Geschäftsreiseflugzeug konzipierten Jet rammte. Zwei Insassen des Learjets kamen in den Trümmern ums Leben.