Osnabrücks ehemaliger Oberbürgermeister streitet sich mit einem Nachbarn darüber, ob dieser eine an sein Grundstück angrenzende Fläche neu bebauen darf. Ein Streit über den Gartenzaun also und Stoff für gute Schlagzeilen und Geläster über “die da oben”?
Doch manches, was so einfach aussieht, ist es im Detail dann doch nicht.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Ein an sich schon sehr gut recherchierter Artikel der Tageszeitung NOZ (hinter Paywall) hat ordentlich eingeschlagen. Allerdings fehlte vielleicht noch ein Aspekt: Nicht allein der Ex-OB hat Einwendungen gegen den als dreigeschossiges Flachdachhaus geplanten Neubau. Und zusätzlich stellt sich zumindest mir die Frage, wie die Bauverwaltung eigentlich entscheiden kann, dass ein Abweichen vom Bebauungsplan “moderat” sei, obwohl die Vorgaben doch deutlich formuliert sind?
Einen Tag nach Veröffentlichung des ursprünglichen Artikels am Montag zeigte sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Bajus, bei der NOZ “irritiert”. Und die SPD veröffentlichte eilig eine Pressemitteilung und erklärte, man sei “verärgert”, dass der ehemalige Stadtbaurat und spätere Oberbürgermeister Wolfgang Griesert “dringend benötigten Wohnungsbau im Stadtteil Lüstringen verhindert.” Weil, ja weil ihm angeblich “die schöne Aussicht von seinem Haus und Grund nicht gefährdet werde”.
So jedenfalls die messerscharfe Erklärung der SPD-Fraktionsvorsitzenden Susanne Hambürger dos Reis und ihrem Vorgänger Frank Henning, der inzwischen “wohnungsbaupolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion” ist und daher wohl auch was dazu sagen wollte.
Bebauungsplan ignoriert: Für die Bauverwaltung ist das “moderat”?
Aber ist das so? Bereits der NOZ-Artikel klärt darüber auf, dass die für den vom Investor gewählten Standort in direkter Nachbarschaft von Wolfgang Griesert, die “Geschossflächenzahl – das ist das Verhältnis der gesamten Geschossfläche eines Gebäudes zur Größe des Grundstücks – […] um zehn Prozent […] überschritten wird”. Für die Stadtverwaltung, das heißt die zuständige Bauverwaltung unter der Leitung von Stadtbaurat Frank Otte, soll das laut der Tageszeitung „moderat“ und damit auch OK sein.
Nun gut, dann möchte ich bitte gleich bei Ottes Vorstandskollegin Heike Pape anmelden, dass ich zukünftig bei Parkverstößen auch einen 10% Bonus bei Überschreiten der Parkdauer geltend mache, gleiches möge der Stadtkämmerer Thomas Fillep mir dann bei der Zahlung der Gewerbesteuer einräumen.
Das wären dann schnell mal ein paar Tausender im Jahr extra … weil die Abweichungen ja zu meinen Gunsten nur “moderat” sind.
Nicht allein der Ex-Oberbürgermeister hat Einwände
Vielleicht sehen das auch weitere Anlieger des geplanten Neubaus in Lüstringen ähnlich und erwarten in Zukunft von der Stadt für sich einen 10%-Bonus? Zum Beispiel etwas weniger Grundsteuer oder einen Rabatt auf die Stromrechnung von den städtischen Stadtwerken? Scheinbar kann sowas ja frei verhandelt werden, solange es “moderat” bleibt.
Warum erwähne ich “weitere Anlieger des geplanten Neubaus”?
Was Sie verehrte Leserin und verehrter Leser vielleicht gar nicht wissen: Es ist keinesfalls allein der ehemalige Oberbürgermeister, der sich daran stört, dass in seiner Nachbarschaft mit ein wenig Trickserei und einer Bauverwaltung, die beide Augen fest zudrückt, drei Obergeschosse gebaut werden sollen, wo der Bebauungsplan tatsächlich nur eingeschossige Neubauten vorsieht.
Nach Recherchen unserer Redaktion gibt es mindestens acht weitere Nachbarn, die sich an diesem Neubau stören und Einwendungen vorgebracht haben. Die ganze Angelegenheit auf den ehemaligen Oberbürgermeister zu fokussieren ist schlicht billig, weil es leicht zu recherchieren ist und zumindest den jetzt angeblich so irritierten Kommunalpolitikern bekannt sein sollte, dass er mit seinen Einwendungen nicht alleine dasteht.
Angelegenheit erinnert fatal an den Neumarkt-Zauberwürfel
Aber es kommt wohl immer auf die Personen an. Denn eigentlich geht es hier nicht um den Ex-OB, jedenfalls nicht in diesem Kommentar.
Denn mich erinnert die Angelegenheit doch fatal an den “Zauberwürfel” am Neumarkt. Noch bevor die Bauarbeiten starteten, das war im Jahr 2017, hatte der Bauherr Dr. Theo Bergmann seine Pläne so geändert, dass er die Unterkellerung für den Neubau deutlich über sein Grundstück hinaus verschob – auf städtischen Grund und Boden. Das war dann wohl auch nur “marginal”?
Stadtbaurat Frank Otte verhinderte diese eigenmächtige “Landnahme” jedenfalls nicht, kommentiert seinerzeit von mir als mögliche Folge einer “ungleiche Männerfreundschaft zwischen dem radelnden Baurat und dem millionenschweren Bauherrn“. Die obige Formulierung soll übrigens den Stadtbaurat seinerzeit so verärgert haben, dass er das Rechtsamt der Stadt prüfen lassen wollte, wie man gegen die da noch sehr junge HASEPOST juristisch vorgehen könne.
Alle sind gleich. Aber manche sind gleicher
Die Frage steht nun aber im Raum: Wie kann es dazu kommen, dass es bei Teilen der Osnabrücker Stadtverwaltung scheinbar sehr viel Interpretationsspielraum für eigentlich deutlich formulierte Vorgaben gibt?
Wenn ich ein Grundstück bebauen will, dann gilt der Bebauungsplan – wenn der nicht zu meinen Plänen passt, muss entweder der Bebauungsplan geändert werden oder meine Pläne.
Siehe oben: Wenn Abweichungen von 10% “moderat” sind, dann bitte auch gleiches Recht für alle, von mir aus auch bei Parkverstößen oder Steuerforderungen der Stadt – immer zu Gunsten des Bürgers natürlich!
PS: Die CDU-Ratsfraktion hat sich übrigens zwischenzeitlich auch noch mit einer Pressemitteilung zu Wort gemeldet und kritisiert die “Instrumentalisierung eines Nachbarschaftsstreits”, verweist auf die Erfolge in der Griesert-Amtszeit und dass es die “rot-grüne Politik” sei, die “den Wohnungsbau in unserer Stadt vor die Wand gefahren hat”.
[Gruß vom Herausgeber] Liebe Leserin, lieber Leser, schön, dass Sie es bis hier ganz unten geschafft haben. Ein paar Zeilen weiter finden Sie noch den obligatorischen Hinweis, dass gekennzeichnete Meinungsbeiträge stets ausschließlich die Meinung des Autors wiedergeben. Aber ich möchte diesem förmlichen Disclaimer noch etwas hinzufügen. Natürlich haben Sie, wie auch ich und jeder andere Leser, eine eigene Meinung. Vielleicht weicht Ihre Meinung fundamental von diesem oder einem anderen bei uns veröffentlichten Kommentar ab, vielleicht stimmen Sie aber auch vollkommen zu oder aber Ihre Meinung ist „irgendwo dazwischen“. Vielleicht kann ein Kommentar in der Hasepost dabei helfen, neue Gedanken zu denken oder bestehende An- und Einsichten nochmals zu überdenken, dann haben wir und unsere Autoren etwas richtig gemacht und ganz generell zum Denken angeregt.
„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.“ (C. G. Jung)
Bitte denken Sie mehr. Ihr Heiko Pohlmann
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