Ehrlich gesagt, wenn ich bei jeder in den vergangenen Tagen vollzogenen Maßnahme im Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus mich im Detail mit dem Für und Wider auseinandergesetzt hätte, dann hätte ich vor lauter Kopfschütteln jetzt vielleicht eine Nackenstarre. Aber Kopfschütteln bringt uns aktuell nicht weiter!
Ein Appell an die Eigenverantwortlichkeit, von Heiko Pohlmann
In den vergangenen Tagen und vor allem nach den drastischen Maßnahmen, die unsere überraschend aus der Versenkung aufgetauchte Kanzlerin am Montag verkündete, gab es zahlreiche Anfragen an unsere Redaktion und noch viel mehr Kommentare bei Facebook, in denen nach dem“Warum“ zu einzelnen Vorschriften gefragt wurde.
Und ich muss als Journalist ganz klar sagen: Das Hinterfragen von Regulierungen und Gesetzen ist nicht nur Aufgabe der Presse, sondern auch eine wichtige Bürgerpflicht. Dieses Recht ist durch die Corona-Krise weder eingeschränkt, noch sollten wir es uns nehmen lassen. Doch jetzt folgt das „Aber“: Wir sollten uns auch Gedanken machen, vor welchem Hintergrund manche Entscheidung der letzten Tage getroffen wurde und unter welchem Druck zukünftige Entscheidungen getroffen werden.
Dabei können (und sollten) wir in einer hoffentlich bald wieder entspannteren Situation auch aufklären, warum die Regierenden solange gewartet haben, bis sie in eine derartige Situation gerieten, in der vieles nun viel zu unüberlegt erscheint.
Vorerst müssen wir nun aber einige Fragen vertagen und erstmal auf die aktuellen Herausforderungen reagieren – um Menschenleben zu schützen.
Worauf ich eigentlich hinaus will: Es bringt einfach nichts, jetzt in eine Trotzhaltung zu gehen – „Warum, warum, warum …?“. So manche Frage kann jetzt einfach nicht beantwortet werden und manche offizielle Regulierung ist vielleicht halbherzig. Und wenn das so ist, dann sind wir alle gefordert, es besser zu machen!
Natürlich ist es beispielsweise auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar, warum Friseure noch arbeiten dürfen und Baumärkte weiterhin geöffnet haben.
Ich habe mir zu den beiden Themen meine Gedanken gemacht. Es ist aus Kriegsgefangenenlagern bekannt, dass die Körperpflege tatsächlich als eine der wichtigsten Beschäftigungen gilt, mit der die Moral und das Durchhalten der Betroffenen aufrecht gehalten werden kann. Vielleicht hilft es manch einem Mitbürger tatsächlich über die kommende Zeit, wenn er die Haare nochmal schön hat? Aber kein Friseur ist verpflichtet, jetzt noch geöffnet zu haben, und kein Kunde muss jetzt noch zum Friseur gehen. Dazu aber gleich unten noch mehr.
Und was die Baumärkte angeht, ich glaube nicht, dass es darum geht, dass Familienväter jetzt ihre Freizeit im Kleineisenbereich verbringen sollen, um endlich eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Spax-Schrauben wirklich eine Alternative zum Eisennagel sind.
Zahlreiche Handwerker sind jedoch dringend auf die Verfügbarkeit der Waren aus Baumärkten angewiesen. Schon jetzt haben sich die Lieferzeiten der Paketdienste drastisch verlängert. Auf Zulieferungen an und von Großhändlern kann sich derzeit kein Handwerker mehr verlassen. Und wenn der Geruchsverschluss unter dem Waschbecken platzt, dann muss schnell Ersatz her, sonst kann man sich auch nicht mehr so einfach die Hände waschen. Und halbfertige Baustellen müssen auch beendet werden, sonst wäre der wirtschaftliche Schaden immens. Also der Einsatz von Handwerkern muss gewährleistet bleiben!
In einer perfekten Welt hätte man sicher Regelungen geschaffen, die den Besuch von Baumärkten nur noch Handwerkern erlaubt und die Vorsichtsmaßnahmen beim Friseurbesuch zwingend vorschreiben.
Und da bin ich beim Kernpunkt dieses Kommentars: Wir dürfen und sollen durchaus die getroffenen Maßnahmen hinterfragen, vielleicht müssen wir diese Fragen auch ein wenig auf die Zukunft verschieben. Wir sollten jetzt aber versuchen uns wenn möglich selbst Antworten zu geben und auf Eigenverantwortung setzen!
Denn kein Friseur und kein Baumarkt ist aktuell verpflichtet zu arbeiten oder zu öffnen. Niemand schreibt uns vor, nur weil unsere Arbeit noch nicht staatlichen Regulierungen unterworfen ist, nicht selbst für Schutzmaßnahmen zu sorgen.
Vor allem aber ist auch kein Kunde verpflichtet, jetzt zum Friseur zu gehen oder einen Baumarkt zu bevölkern. Nur weil es nicht verboten ist, müssen wir da jetzt hin!
Ich habe neulich in einem Baumarkt Markierungen auf dem Boden vor der Kasse gesehen, mit dem die Kunden zu ausreichendem Abstand voneinander aufgefordert werden (immer nur Vorrücken bis zur nächsten Markierung) – eine tolle Idee, die würde sich auch im Supermarkt bestimmt bewähren.
Und kein Friseur ist gezwungen, seinen Laden geöffnet zu halten. Hier sind die Ladeninhaber selber gefordert, Entscheidungen zu treffen. Und bitte, wenn ihr geöffnet habt, verwendet Einmalhandschuhe beim Kundenkontakt, bittet eure Kunden und Mitarbeiter sich die Hände zu waschen und stellt Euch selbst ernsthaft die Frage: Müssen wir tatsächlich geöffnet haben, auch wenn es nicht verboten ist? Hier sind auch die Mitarbeiter gefordert, ein wenig auf ihre Chefs einzuwirken. Einfache Grundregeln wie Abstand halten und regelmäßiges Händewaschen kann jeder selbst durchsetzen, ohne gleich einen Streik organisieren zu müssen.
Das gleiche gilt für die so viel gescholtenen Baumärkte: Hier braucht es Unternehmen und Unternehmer mit Mut, die klar sagen: „Wir bedienen aktuell nur Handwerker, die sich mit einem Gewerbenachweis ausweisen können.“
OK; vielleicht bin ich ein wenig naiv und vertraue zu sehr auf Eigenverantwortung. Aber statt immer nach dem „Warum“ zu fragen, braucht es jetzt einfach mehr Mut zur Eigenverantwortung. Ohne wird es in den kommenden Wochen nicht gehen!
Wenn auch nur ein kleiner Teil von uns in dieser Krise lernt, wieder eigenverantwortlich zu denken und zu handeln – und das auch im Sinne der Gemeinschaft – wäre das ein toller Nebeneffekt dieser Krise. Fangen Sie doch gleich heute damit an, es geht!