„Die Stadt ist erstaunlich gut aus der Corona-Krise herausgekommen. Einzelhandel und City stehen insgesamt stabil da“, erklärte Volker Bajus, Fraktionsvorsitzender der Osnabrücker Grünen, beim Handgiftentag 2023.
Eine Kommentar dazu von Heiko Pohlmann
Lieber Volker Bajus, erlauben Sie mir das leicht abgewandelte Kafka-Zitat und damit die Frage: „Unter welchem Stein leben Sie?“
Was hat Sie, bitteschön, zu der Aussage geritten, dass die Stadt Osnabrück „erstaunlich gut“ aus der Corona-Krise herausgekommen sei, und dazu noch der Einzelhandel und die City „insgesamt stabil“ dastehen würden? Erlauben Sie mir einen kleinen Faktencheck.
Die Stadtwerke Osnabrück versinken in einem Schuldensumpf, das Klinikum Osnabrück sieht sich mit zuvor nie gekannten Herausforderungen konfrontiert, der Haushalt der Stadt Osnabrück steht mit erwarteten 66 Millionen Euro in den Miesen. Fakt!
Infolge der Misere werden von der zum Glück klar denkenden Oberbürgermeisterin dringend benötigte Investitionen auf den Prüfstand gestellt, inzwischen sogar bei den Schulen. Die insbesondere von Ihrer Partei – oft am Bürgerwillen vorbei – gewünschte „Verkehrswende“ findet dabei derzeit vor einem immer wieder massiv eingeschränkten ÖPNV-Angebot statt. Fakt!
So sieht für Sie also eine Stadt aus, die „erstaunlich gut aus der Corona-Krise herausgekommen“ ist?
Bei Ihrer Handgiften-Rede stand an erster Stelle nicht etwa eine realistische Betrachtung der Lage, in der sich Stadt und Bürger befinden; stattdessen mussten Sie erst einmal süffisant betonen, dass Ihre Fraktion diesmal erstmals den ersten Redebeitrag nach der Oberbürgermeisterin stellen durfte (etwas abweichend von ihrem online veröffentlichten Manuskript). Wie überaus wichtig.
Währenddessen lief im Osnabrücker Traditionsgeschäft prelle shop, nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt, bereits seit Tagen ein Ausverkauf, weil das historische Geschäftshaus nach einem Eigentümerwechsel inzwischen zu einem Spekulationsobjekt geworden ist. Fakt!
Vielleicht hatten Sie zu dem Zeitpunkt auch schon gehört, dass das inhabergeführte Unternehmen Foto Erhardt es schlichtweg leid ist, dass die Johannisstraße inzwischen aussieht wie die Kulisse eines Films über die schlechteren Stadtteile von Detroit oder Mombasa? Die sind zwar nicht insolvent, die machen nur den Laden zu und flüchten aus Osnabrücks Problemstraße. Fakt!
Der Kaufkraftverlust der Osnabrückerinnen und Osnabrücker wurde allein im vergangenen Jahr auf 82 Millionen Euro beziffert – nicht etwa von nörgelnden Kaufleuten, sondern aus unverdächtigen Gewerkschaftskreisen. Fakt!
Trotz massiver Folgen der immer noch eskalierenden Ukraine- und Energiekrise, einer zunehmenden Prekarisierung weiter Teile der Innenstadt und dem inzwischen mehr als zehn Jahre anhaltenden Stillstand am Neumarkt – weil vor allem auch Ihre Partei jahrelang des tote Pferd „Shoppingcenter“ geritten hat (ein Klassiker: die gelogene Abrissanzeige) – sehen Sie einen insgesamt „stabilen“ Einzelhandel in der City?
Ja, wo denn bitte? Wenn der Status Quo in der Hasestadt für die Osnabrücker Grünen „erstaunlich gut“ und „stabil“ bedeutet, dann wird mir jedenfalls angst und bange!
Das ist schon nicht mehr „Pfeifen im dunklen Walde“, das ist schon eine massiv gestörte Wahrnehmung oder der Glaube daran, dass die eigene Klientel einfach zu dumm oder ideologisch zu verbohrt ist, um den Ernst der Lage zu erkennen.
Was muss denn bitte noch passieren, bis auch Sie endlich in den Realitätsmodus, besser noch in den Krisenmodus wechseln? Die meisten Bürger sind es längst.
Wenn der Eisberg das Schiff getroffen hat, hilft es nicht, wenn der Kapellmeister fröhliche Lieder spielt. Übernehmen Sie Verantwortung für die Stadt und erkennen Sie die Realitäten!
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„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.“ (C. G Jung)
Bitte denken Sie mehr, Ihr Heiko Pohlmann.
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