Osnabrück ist “die Nummer 1 unter den Städten im Norden”, das jedenfalls meint das Handelsblatt herausgefunden zu haben. Ein Grund zum Jubeln? Ja, für das Stadtmarketing, die Wirtschaftsförderung und die auch für die Repräsentanz der Stadt zuständige Oberbürgermeisterin – nicht aber für die Lokalpolitik.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Natürlich freue auch ich mich darüber, dass man per Ferndiagnose und vom Schreibtisch aus in Düsseldorf, am Redaktionssitz des Handelsblatts, anhand von Kriterien in den Bereichen Ökologie, Mobilität, Soziales, Arbeit und Digitalisierung feststellen kann, dass die Stadt Osnabrück die Nummer 1 im Norden ist und sogar bundesweit recht weit vorne steht.
Wer mit offenen Augen durch die Hasestadt geht, sieht auch, woher das gute Abschneiden kommt. Wir haben tatsächlich eine hervorragende Infrastruktur für Startups. Osnabrück liegt an der Kreuzung von zwei wichtigen Bahnlinien und von gleich drei Autobahnen. Die Stadtwerke-Busflotte ist in weiten Teilen elektrifiziert. Und dass eine „kleine Großstadt“ wie Osnabrück mit dem Stadtteilauto über ein gut funktionierendes Carsharing-Angebot verfügt, ist ebenso wenig selbstverständlich wie ein Theater, das neben Schauspiel auch noch die Sparten Konzert, Tanz, Musik sowie Kinder- und Jugendtheater bedient – nur um ein paar Beispiele zu nennen.
Doch was dahinter steht, kann keine Schreibtisch-Recherche in ein Ranking packen. Startups, die in Osnabrück das Laufen lernen, fehlt es oft an innovativen Unternehmen, an die sie in der Reifephase andocken können.
Die Busflotte der Stadtwerke ist dort besonders emissionsfrei, wo sie nach einem von der Politik nahezu völlig kritiklos begleiteten Streichplan inzwischen nur noch selten bis überhaupt nicht mehr fährt.
Und was nützen die besten Anbindungen an das Autobahnnetz oder gut verfügbare Carsharing-Angebote, wenn sich die Stadt nach dem zerstörerischen Wirken des inzwischen verabschiedeten Stadtbaurats vor allem durch ein katastrophales Baustellenmanagement, mangelnde Parkplätze und absurde Tempolimits oder Betonblöcke entlang der Einfallstraßen auszeichnet? Das Stadttheater ist für die städtischen Finanzen ein Fass ohne Boden, und die bereits vor Jahren als dringend erachtete Sanierung des Theaters wird von einer Wahlperiode zur nächsten verschoben, damit bloß nicht die nächste anstehende Wiederwahl vor dem Hintergrund der durch die Theatersanierung dann völlig kollabierenden städtischen Finanzen erfolgt.
Vom katastrophalen Zustand des Neumarkts, der zu einem innerstädtischen Notstandsgebiet verkommenen Johannisstraße und den zahlreichen anderen Baustellen der Stadt ganz zu schweigen.
Das alles sieht man von außen nicht. Und wenn man dann auch noch die polizeiliche Kriminalstatistik nicht oder nicht ausreichend mit ins Ranking einberechnet, dann sieht Osnabrück wirklich toll aus – allerdings nur auf dem Papier. Aber Osnabrück ist ja auch schön: die Maiwoche, der Weihnachtsmarkt, die historische Altstadt und der Rubbenbruchsee. Osnabrück hat einiges zu bieten – doch leider nur punktuell.
Die Politik, allen voran Volker Bajus (Grüne) und Susanne Hambürger dos Reis (SPD), sollte jetzt besser still sein. Ich empfinde es als völlig fehl am Platz, wenn ausgerechnet Vertreter der beiden Parteien, die führend dafür verantwortlich sind, dass im Stadtrat manch eine Fehlentscheidung getroffen wurde, sich nun mit Aussagen wie “die gute Platzierung sehen wir als Ansporn, nicht nachzulassen” selbst feiern.
Nein, wir brauchen dringend einen Politikwechsel in Osnabrück. Kein “nicht nachlassen”, sondern endlich eine Politik für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt – nicht nur für eine Klientel, die überwiegend aus Fahrradfahrern, zugezogenen Studierenden und Bewohnern von Katharinenviertel, Weststadt und Westerberg besteht, wo Grüne und SPD noch ihre Hochburgen haben.
Die letzten Kommunalwahlen, mit ersten Rekordergebnissen für die AfD im Schinkel, in Haste und in Eversburg – dort, wo man nicht das Handelsblatt liest und man die Verfügbarkeit verlässlich fahrender Stadtbusse vermutlich höher einschätzt als die Sparte Tanztheater der Städtischen Bühnen – sollten eigentlich Warnung genug sein für die Vertreter:Innen (hier gender´ ich ausnahmsweise) von SPD und Grünen, das wohl gar nicht alles so toll ist in Osnabrück.
Das Titelbild ist eine Montage basierend auf einem Foto von Maurice Guss.
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