Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Mann kann eigentlich nicht mehr sachlich über das schreiben, was sich am Dienstagabend im Ratssitzungssaal abspielte. Auf gar keinen Fall kann man all die Beleidigungen, Unterstellungen und gegenseitigen Abschätzigkeiten – egal von welcher Fraktion – in Worte packen, jedenfalls nicht, wenn man nicht ein Loblied auf die Politikmüdigkeit schreiben will.
Parlamentsdebatten aus Südkorea oder der Türkei fallen einem ein, wo mit Regenschirmen und Fäusten auf den politischen Gegner eingedroschen wird, wenn man sich die nächste Eskalationsstufe vorstellt, die nach der letzten “Vorstellung” der ach so ehrwürdigen Ratsmitglieder wohl unweigerlich folgen muss. Dabei gab es in der an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Debatte einen Redebeitrag, der nicht laut war, der erst gegen Ende der Schlammschlacht kam und der von Seiten der “Regenbogenkämpfer” allerdings vollkommen unnötig durch Zwischenrufe verhöhnt wurde.
Kerstin Albrecht, Politikneuling und “im echten Leben” Tanzlehrerin, machte den versammelten Feierabendpolitikern einen Vorschlag, den sie eigentlich sehr ernst nehmen und der nicht verhöhnt werden sollte. Vermutlich haben die Angesprochenen überhaupt nicht zugehört?
Besagte Tanzlehrerin also, die sich mit Emotionen und Choreografie und damit auch auf ganz besondere Art und Weise mit Prozessen, Organisation und Harmonie auskennt, sagte ungefähr Folgendes, das ich leider nicht wort-wörtlich mitgeschrieben habe: Lassen Sie uns doch bitte nochmal von vorne anfangen, uns alle an einen Tisch setzen, in einem Raum. Und wir gehen erst wieder auseinander wenn wir eine Lösung für den Neumarkt haben. Wir schnappen uns dann auch den Investor, und der soll endlich sagen wie es mit seinem Kaufhaus weitergeht. Und dann reden wir wie ganz normale Menschen über alle Probleme, vom Individualverkehr, über die Busse, die Zukunft der Johannisstraße und was mit den leerstehenden Gebäuden am Neumarkt passiert.
Wie gesagt, dass da oben ist keine wortgetreue Mitschrift, aber so ungefähr war die Idee von Kerstin Albrecht.
Und da waren keine Vorschläge einer “Autofahrerpartei”, als die man BOB ja gelegentlich bezeichnet. Es ging auch nicht *gegen* den Kaufhaus-Investor, im Gegenteil: Der soll mit an den Tisch und endlich mal eine klare Aussage zu den Plänen machen, die in der Friedensstadt schon für so viel Unfrieden gesorgt haben, in der Hauptsache, weil sich dieser “Partner” der Stadt jeder verbindlichen Zusage entzieht und die Lokalpolitiker und die Bürger dieser Stadt mit Stellvertreter-Gefechten alleine lässt. Ich kann das nur unterstützen: Setzt Euch endlich an einen Tisch, in einem Raum, und kommt erst wieder raus wenn Ihr eine Lösung habt! Ich besorge höchstselbst gerne ein paar Türsteher, die solange auf den Schlüssel aufpassen bis der sprichwörtliche “weiße Rauch” aufsteigt.
Die Befürworter der Neumarktsperrung (in Neusprech: “Befreiung des Neumarkts vom Individualverkehr”) müssen sich in ihrer inzwischen verhärteten und aggressiv verteidigten Haltung auch unangenehme Fragen stellen lassen: Gibt es Geheimabsprachen mit dem Kaufhaus-Investor und gibt es eine geheime Agenda, wegen derer die Sperrung des Neumarkts durchgedrückt werden soll?
In Richtung Geheimabsprache ging ein Wortgefecht zwischen dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Fritz Brickwedde und seinem Kollegen Frank Henning von der SPD. Der Eine erinnerte den Anderem daran, dass dieser vor der Kommunalwahl beim Heimatabend von Kalla Wefel eine Andeutung gemacht habe, dass der Kaufhaus-Investor Unibail Rodamco (Paris) wohl die Neumarktsperrung befürworten würde. Es gibt dazu einen Videomitschnitt im Archiv der HASEPOST. “Lüge, Lüge, Lüge”, konterte Henning und behauptete, eine mißverständliche Formulierung binnen 20 Sekunden in den richtigen Kontext gesetzt zu haben, was auf dem viral verbreiteten Mitschnitt nicht zu sehen und zu hören sei. Egal wie es wirklich war, unsere Redaktion wird – sobald der Tonmitschnitt der Debatte von Dienstag vorliegt – noch dazu Stellung nehmen. Die Vehemenz, mit der Frank Henning das nachweislich von ihm Gesagte versucht von sich zu weisen, überrascht aber schon. Nicht wenige Beobachter fragen sich, ob es da nicht doch in kleinem Zirkel festgesetzte Forderungen eines global agierenden Spekulanten geben könnte, die nicht nur über die Zukunft des Osnabrücker Neumarkts, sondern auch über die Glaubwürdigkeit des im kommenden Jahr erneut zur Wahl stehenden SPD-Fraktionschefs entscheiden?
Vollends zum “Trojanischen Pferd” wird der Neumarkt aber wenn es um den Grund geht, warum Oberbürgermeister Wolfgang Griesert die Verwaltung jetzt noch keine Vorlage zur Sperrung vorlegen lässt. Glaubt man dem Stadtoberhaupt und dem von ihm quasi als Kronzeugen zur Ratssitzung geladenen Leiter des städtischen Rechtsamts, dann ist es nach geltender Rechtsprechung zwingend notwendig, dass vor einer Sperrung des Neumarkts alle Folgen – auch an angrenzenden Straßen, insbesondere dem Wall – abgeschätzt und mögliche Gegenmaßnahmen konkret benannt werden.
Vor allem geht es dabei um Stickoxide und mögliche Fahrverbote. Griesert will, dass der Politik und damit auch der Bevölkerung vor einer Ratsentscheidung und vor einer Sperrung des Neumarkts klar wird, was diese Maßnahme tatsächlich bedeutet.
Die Befürworter einer “Befreiung des Neumarkts” müssen sich den Vorwurf gefallen lassen erst sperren zu wollen und dann, wenn die zusätzlichen Schadstoffe am Wall und andernorts faktisch gemessen wurden, in der Folge mit Fahrverboten zu kontern. Dann aber wäre die Neumarktsperrung ein Trojanisches Pferd für eine Ideologie, für die es mit Sicherheit keine Wählermehrheit gibt.
Vielleicht wäre es jetzt doch an der Zeit auf die leiseste Rednerin der vergangenen Ratssitzung zu hören, sich mal an einen Tisch zu setzen und wie normale Menschen zu handeln?