Lokalpolitik und Verwaltung haben im Augenblick scheinbar nur ein Thema: der Kampf gegen Dooring-Unfälle*. Wollen sie damit vielleicht von einem viel wichtigeren Handlungsfeld ablenken, bei dem man im Rathaus nicht vorankommt – oder nicht vorankommen will?
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Insgesamt 88 Dooring-Unfälle in den vergangenen fünf Jahren zählt die Polizei, davon „nur“ sechs auf dem Wall und einer auf der Pagenstecherstraße. Unsere Redaktion berichtete dazu am Samstag. Also kein Grund dafür, Bäume zu fällen und Parkplätze zu opfern, um breitere und vom PKW-Verkehr abgetrennte Radwege anzulegen?
In etwa so waren meine ersten Gedanken, als ich die Zahlen der Polizeistatistik auf den Tisch bekommen hatte. Zahlen, die deutlich belegen, dass die allermeisten Unfälle, bei denen Radfahrer von überraschend geöffneten Autotüren „abgeschossen“ werden, irgendwo anders in der Hasestadt passieren und nicht am Wall und der Page.
Aber diese oberflächliche Betrachtung stimmt nicht. Das Risiko in einen Dooring-Unfall verwickelt zu werden, ist auf dem Wall und an der Page tatsächlich signifikant höher als im Gesamtnetz der Osnabrücker Straßen.
Natürlich muss es das Ziel der Gesellschaft sein, die Zahl derartiger Unfälle nach Möglichkeit auf Null zu bringen. Also „nur“ ist in diesem Zusammenhang tatsächlich völlig fehl am Platz!
Aber gilt das Ziel „Null“ nicht auch und vor allem für die leider zahlreichen tödlichen Unfälle, bei denen in Osnabrück regelmäßig Fahrradfahrer unter einem LKW sterben?
Ist es womöglich einfacher und billiger – vielleicht auch der Agenda einiger Ratsmitglieder und Verwaltungsmitarbeiter entsprechender – sich gegen den PKW-Individualverkehr zu engagieren und sich an unvorsichtig geöffneten Autotüren abzuarbeiten?.
Ist es schlicht zu unbequem, es mit der mächtigen Lobby der Osnabrücker Spediteure aufzunehmen und im Berliner Verkehrsministerium eine Verlegung der Bundesstraße B68 aus dem Stadtgebiet durchzusetzen, um endlich den LKW-Durchgangsverkehr aus der Innenstadt auszusperren?
Ich werde mich nie an den Gedanken gewöhnen können, dass man als Fahrradfahrer völlig unvermittelt von einer sich öffnenden Autotür vom Rad geholt werden kann. Ein Risiko, das übrigens auch tödlich enden kann.
Auch deswegen wähle ich, wenn ich das Rad benutze, gerne Routen zum Beispiel durch das Heger und Natruper Holz, über die Fahrradstraße im Katharinenviertel oder durch weniger befahrene Nebenstraßen.
Aber eine derartige alternative Route gibt es nicht immer – dann fahre auch ich am Wall oder der Page entlang, auch wenn ich vielleicht nur Gelegenheits- und Schönwetter-Radler bin.
Es wäre jedenfalls toll, wenn die Natruper Straße – genau wie die Bramscher Straße, die Meller Straße oder der Blumenhaller Weg, die alle parallel zu Hauptverkehrsachsen liegen – möglichst bald zu Fahrradstraßen umgebaut werden, um noch mehr sichere Optionen für die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu bieten, die naturgemäß keine Knautschzone besitzen.
Niemals werde ich mich aber auch daran gewöhnen, dass in Osnabrück mit der B68 eine der wichtigsten und verkehrsreichsten Bundesstraßen des Nordwestens mitten durch die Innenstadt geführt wird – regelmäßig tödliche Unfälle mit Radfahrern sind die Folge.
Osnabrück ist entlang der B68 übrigens die einzige Stadt, bei der die LKW sich durch ein städtisches Umfeld bewegen, bis sie schließlich auf die A33 gelangen.
Badbergen, Quakenbrück oder Bramsche haben aus gutem Grund im Verlauf der B68 ihre Ortsumgehungen.
In Osnabrück scheitert ein Durchfahrverbot für den LKW-Verkehr und die logische Umfahrung der Innenstadt über die A1, das Lotter Kreuz und die A30 an mangelnder Durchsetzungsfähigkeit und wohl auch an fehlendem Willen der Verantwortlichen, sich gegenüber dem Verkehrsministerium in Berlin durchzusetzen.
Dort wird die Verlegung der B68 an den Bau des A33-Lückenschlusses zur A1 gekoppelt – der frühestens weit im kommenden Jahrzehnt fertiggestellt sein wird, wenn überhaupt.
*Der Anglizismus „Dooring“ wird hier (unten im Artikel) erläutert.
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