Liebe Leserin, lieber Leser, heute schreibe ich Sie Dich ausnahmsweise mit einem direkten “Du” an, denn wir müssen reden.
Und nein, vielleicht bist Du auch gar nicht gemeint. Tatsächlich habe ich das Gefühl, wenn ich so die Kommentare bei Facebook lese und gestern die Fotos aus einer fast menschenleeren Großen Straße gesehen habe, dass die allermeisten Osnabrückerinnen und Osnabrücker sich bereits vorbildlich verhalten.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann.
Aber da gibt es auch “die anderen”, die Zeitgenossen, die sich bei dem frühlingshaften Wetter der vergangenen Tage in Straßencafés tummeln oder im Supermarkt in Gruppen dicht beieinander stehen und einen Plausch über die aktuelle Versorgungslage mit Toilettenpapier halten.
Ich will mich selbst davon nicht freisprechen, dass mir das in den vergangenen Tagen nicht auch passiert ist – wider besseres Wissen. Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen und wir neigen dazu, uns auszutauschen, miteinander zu reden und die Gemeinschaft zu suchen.
Wir müssen uns allerdings alle bewusst machen, auch und ganz besonders dann, wenn wir nicht zu den Risikogruppen gehören (etwas älter, vielleicht mit Vorerkrankung), dass wir dennoch alle gefährdet sind.
Wir sind gefährdet unbeabsichtigt zum Täter zu werden oder wie ich es im Titel geschrieben habe: Du und ich, wir sind vielleicht das Virus!
Oder wie es gestern im Gespräch (telefonisch!) ein Mitarbeiter der Verwaltung und Angehöriger des Krisenstabs formulierte: “Teile der Bevölkerung haben noch nicht erkannt, dass sie selbst ein Teil der Krise sind.”
Vielleicht hilft es, wenn wir uns einfach mal vor Augen führen, wen es ganz besonders hart treffen kann. Menschen brauchen immer eine Visualisierung. Ich denke da zum Beispiel an den netten alten Mann im Toto-Lotto-Laden, der, obwohl er schon lange in Rente ist, dort immer noch den Kindern Tüten mit “Schlickersachen” verkauft. Jeden Tag nimmt er die Lottoscheine entgegen, von denen, die bei jeder Ziehung immer wieder auf das ganz große Glück hoffen. Gefühlt begleitet er mich schon mein ganzes Leben. Er macht das sicher gerne, aber ich glaube er muss da auch jeden Tag stehen, weil die Rente sonst nicht reicht.
Vielleicht ist es bei Dir die Oma oder der Opa. Oder Tante Elfriede vielleicht, die so schwer Zucker hat? Die Nachbarin, die erst kürzlich eine neue Hüfte bekommen hat und deswegen starke Medikamente nehmen muss? Der Nachbar, von dem Du gar nicht weißt, dass er vor ein paar Jahren ein neues Herz bekommen hat und deswegen Tabletten nehmen muss, die sein Immunsystem herunterfahren?
Willst Du, oder wollen wir der Überbringer des Virus sein, der diese Menschen krank macht und womöglich tötet?
Wir haben es alle selbst in der Hand, jetzt unsere Sozialkontakte auf das Nötigste zu verringern. Warum machen da nicht alle mit?
Gleichzeitig sollten wir nicht die verurteilen, die dafür sorgen, dass in Handwerksbetrieben und in den Firmen, die keine Homeoffice anbieten können, jetzt nicht das Licht ausgeht. Es gibt einen Grund, warum noch so viele Menschen unterwegs sind. Das Wirtschaftsleben wurde nicht eingestellt – aber unsere direkten sozialen Kontakte können wir einstellen, es ist ja nur vorübergehend.
Und wir sollten uns jetzt schon überlegen, wie wir die unterstützen können, die inzwischen bereits auf Kurzarbeit gesetzt wurden, denen die Aufträge wegbrechen oder die als Gastwirte, Künstler, Einzelunternehmer und Ladenbesitzer nicht mehr wissen, wie sie zum Stichtag 1. April die Pacht für ihre Ladenlokal bezahlen sollen. Aber das ist ein ganz anders Thema.
Und noch was: Mitdenken! Leser haben unserer Redaktion in den vergangenen Stunden viel von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Zwei Geschichten sind mir besonders in Erinnerung geblieben.
Da schreibt uns ein Leser von dem Betreiber einer Pflegeeinrichtung, der es für nötig erachtete ausgerechnet in diesen Tagen Handwerker zu beauftragen, um eine Lampe in dieser Pflegeeinrichtung auszutauschen. Keine Notfall-Reparatur, einfach nur ein anderes Design der Lampe. In dieser Einrichtung leben schwerkranke Menschen, die beatmet werden müssen. Kann da nicht einer Mitdenken und solche Aufträge verschieben? Und was geht in den Handwerkern vor, die sich gegen die Pfleger vor Ort durchsetzen, sie beiseite schieben und trotz aller Warnungen einfach ihren Auftrag durchziehen?
Und eine andere Geschichte betrifft einen Discounter an der Mindener Straße, gleich gegenüber von einem großen Callcenter. Eine Leserin hat beobachtet, dass das Personal an der SB-Theke für die Backwaren keine Einmalhandschuhe nachgelegt hatte. Sowas kann passieren, da geht man als Kunde kurz an die Kasse und fragt nach, wartet einen Moment und dann gibt es sicher wieder neue Handschuhe.
Ganz offensichtlich interessierte das die allermeisten Kunden aber überhaupt nicht. Da wurde mit den gleichen Händen, mit denen eben noch der Einkaufswagen durch den Laden geschoben wurde, munter in den Brötchen gewühlt. Es könnte ja sein, dass eines der Brötchen etwas größer ist.
Sorry, es ist nicht okay, wenn einzelne Mitmenschen meinen, das Risiko auf eine Corona-Infektion eingehen zu wollen – die restlichen Brötchen, die beim Durchwühlen des SB-Regals alle angepackt wurden, werden andere Kunden kaufen.
“Du bist das Virus”, wenn sich wegen Deiner Ignoranz jemand infiziert, für den das potentiell ein Todesurteil sein kann!
So, eigentlich sollte das nur ein kurzer Kommentar werden … war wieder nichts. Ab sofort wird es bei der HASEPOST jeden Morgen einen aktuellen Kommentar geben. Nicht immer von mir, sondern auch mal von unserem Kolumnisten Kalla oder von anderen interessanten Osnabrückerinnen und Osnabrückern – ich freue mich schon sehr darauf!
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