Minus 12,51 Prozent für die Grünen bei der Europawahl im Vergleich zu 2019. Vor allem aber auch minus 8,45% zur Kommunalwahl 2021. Es hat Gründe, dass die Osnabrücker Grünen in der Hasestadt so abgestraft wurden – vor allem in Haste, Eversburg und im Schinkel, wo in einzelnen Wahlbezirken jetzt die AfD dominiert.
Ein Kommentar von Heiko Pohlmann
Wer jetzt ernsthaft behauptet „die lokale Arbeit [der Grünen] ist von Pragmatismus und Realitätssinn geprägt“ (siehe hier) und deswegen sei es ungerecht, dass die Grünen – übrigens im direkten Vergleich als einzige Partei in Osnabrück – so abgestraft wurden, der scheint die Realitäten zu verkennen und die Zahlen des städtischen Wahlamts nicht studiert zu haben.
Die vergangene Europawahl ist die erste Wahl seit dem Aufkommen der AfD, nach der die lokalen Medien nicht mehr schreiben können, dass die AfD in Osnabrück faktisch nicht stattfindet. Schuld daran ist meiner Ansicht nach auch eine Kommunalpolitik, die einige Teile der Bevölkerung systematisch ausklammert.
Die AfD hat genau da gewonnen – und mit ihr haben die Grünen dort verloren – wo die Grünen, die seit 2021 den Stadtrat dominieren, keine Angebote für die Bürger machen.
Nur zwei Beispiele: Wer in Haste, Eversburg oder im Schinkel wohnt, der interessiert sich nicht für maßlos überteuerte „mobile Stadtgärten“ (Stückpreis 50.000 Euro), die in der Altstadt Parkplätze blockieren. Und die Verhüllung des Kaufhof-Warenhauses wird in Osnabrücks Randbezirken vermutlich als das gesehen, was es tatsächlich auch war: die sehr sehr teure Bespaßung einiger weniger elitärer Bildungsbürger.
In Osnabrücks weniger schönen und etwas abgehängten Stadtteilen erwartet man Antworten auf viel drängendere Fragen: Wann fahren die Busse, warum ist der Strom der Stadtwerke nicht billiger und kann ich am Neumarkt und an der Johannisstraße meine Kinder noch sicher umsteigen lassen?
Nun gut: Am vergangenen Sonntag wurde natürlich und „eigentlich“ über Europa abgestimmt. Über den ‚Green Deal‘ einer Ursula von der Leyen zum Beispiel, die selbst gar nicht auf dem Stimmzettel zu finden war. Oder über USB-Kabel, die zukünftig nur noch einer behördlich vorgebenen Steckernorm entsprechen dürfen. Aber wen interesssiert das wirklich?
Es ist naiv zu glauben, dass Brüssel-Themen den Wählern die Hand bei der Stimmabgabe geführt haben. Auch wenn das weder Brüssel noch Osnabrück war, dann waren schon eher noch „Mannheim“ oder ein nach „Sylt“ plötzlich so beliebtes Lied (döp dödö döpp) die beherrschenden Themen für viele.
Und sicherlich hat den ein oder anderen Wähler auch das zu Jahresanfang beherschende Thema der Gesprächsrunde (auch von CDU-Mitgliedern!) in „Potsdam“ und das schöne „Wir-Gefühl“ der anschließenden Massenkundgebungen beeinflusst. Scheinbar nicht genug, jedenfalls aus Sicht der Osnabrücker Grünen.
Die Osnabrücker Grünen sollten sich schleunigst überlegen, ob ihre vorwiegend in ihren Hochburgen gebauten Fahrradstraßen und die unter ihrer Klientel verteilten städtischen Zuschüsse für Lastenräder wirklich ein Angebot für die Wähler in Eversburg, Haste und dem Schinkel sind?
Die nächsten Kommunalwahlen sind nicht weit und vielleicht erleben wir im Spätsommer bereits Neuwahlen zum Bundestag.
Die Osnabrücker Grünen dürfen sich auf neue Zeiten einstellen. Wie schnell das mit dem Absturz auf kommunaler Ebene gehen kann, hat die Osnabrücker SPD in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Und die Zeiten, in denen die AfD in Osnabrück keine Rolle spielte, sind nun auch vorbei. Das kann man bedauern und beklagen, aber das sind die neuen Realitäten – vor allem in Haste, Eversburg und Schinkel.
Wer etwas dagegen tun will – also gegen den Aufstieg der AfD und den Abstieg der Grünen – sollte nicht (nur) im Schlossgarten demonstrieren, sondern Politik auch für Wähler jenseits des Westerbergs und des Katharinenviertels machen!
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„Denken ist schwer, darum urteilen die meisten.“ (C. G. Jung)
Bitte denken Sie mehr. Ihr Heiko Pohlmann
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