„Calmeyer – erfolgreichster Judenretter oder Problem für Osnabrück?“ Eine Pressemitteilung, die bereits im Titel auf den Punkt bringt, wie es derzeit um die Calmeyer-Debatte steht. Konkret geht es um die zukünftige Namensgebung der Villa Schlikker im Museumsquartier und die Frage danach, ob der Wehrmachtsangehörige Hans Georg Calmeyer namensgebend wirken soll.
Die Hans-Calmeyer-Initiative und die Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft beklagen in einer Pressemitteilung, dass bei einem Informations- und Diskussionsabend am vergangenen Montag (17. April) insbesondere Vertreter der Grünen und SPD abwesend waren, eine Woche bevor am kommenden Dienstag Hans Calmeyer auf der Tagesordnung der Ratssitzung stehen wird.
Hintergrund ist die Debatte um die Namensgebung der neukonzeptionierten Villa Schlikker im Museumsquartier. Die ehemalige Industrieellenvilla beherbergte in der NS-Zeit als „braunes Haus“ die Parteizentrale der NSDAP. Hans Georg Calmeyer war ein Osnabrücker Anwalt, der bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten auch Kommunisten verteidigte. 1933 wurde ihm deswegen zeitweise die Zulassung als Anwalt entzogen. Als Soldat der Wehrmacht erhielt Calmeyer in den Niederlanden die Aufgabe, im „Reichskommissariat für die besetzten niederländischen Gebiete“ darüber zu entscheiden, ob jemand jüdischer Abstammung war oder nicht. Durch die Zulassung ungültiger Beweismittel und Toleranz bei Falschangaben hätte Calmeyer nach Schätzungen bis zu 3.000 Juden zu vor der Ermordung retten können. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verlieh dem 1972 verstorbenen Osnabrücker im Jahr 1992 postum den Titel „Gerechter unter den Völkern“.
In den vergangenen Jahren entbrannte eine Debatte um Calmeyer. Insbesondere aus den Niederlanden wurde kritisiert, dass Calmeyer bei weitem nicht jeden Entscheidungsantrag zu Gunsten des Antragstellers getroffen und damit an der Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten aktiv mitgearbeitet hätte. In Folge der Kritik am Wirken Calmeyers steht zur Debatte, ob und wie ihm in der neukonzeptionierten Villa Schlikker gedacht werden soll.
Pressemitteilung der Hans-Calmeyer-Initiative und der Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft:
„Soll der in der Villa Schlikker geplante Gedenkort für den Osnabrücker Judenretter Hans Calmeyer mit seinem Namen verbunden oder dieser möglichst vermieden werden? Darum ging es bei einem Informations- und Diskussionsabend am 17. April, zu dem die Hans-Calmeyer-Initiative (HCI) und die Erich-Maria-Remarque-Gesellschaft (EMRG) in das Gemeindehaus der Marienkirche eingeladen hatten. Der Rat war nur mit den Herren Brickwedde (CDU) und Thiele (FDP) vertreten, obwohl dort am kommenden Dienstag die Namensgebung zur Entscheidung ansteht. Die übrigen Ratsmitglieder waren sämtlich namentlich eingeladen und hätten an dem Abend viel erfahren können“, heißt es in der Mitteilung.
Weiter heißt es, dass im Saal Einmütigkei herrschte, nicht auf die „Marke“ und den Namen Calmeyers zu verzichten. „Ein ‚Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte‘, wie von der Kulturverwaltung vorgeschlagen, könne jede beliebige Stadt einrichten, Calmeyer sei aber eine Person, die das Dilemma moralischen Handelns gegen und unter einer Diktatur erst in seiner Dramatik und Tragik anschaulich und greifbar mache. Am Ende des Abends stand die Frage, ob eine Entscheidung in die falsche Richtung im Rat noch aufzuhalten sei. Bernd Stegemann (EMRG) brachte sogar die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens ins Spiel.“
Fritz Brickwedde (CDU) hätte es „seltsam“ gefunden, dass die SPD-Fraktion nicht offiziell vertreten sei. Es wäre schließlich seit Jahren „ihr Thema“. „Dass man den Namen Calmeyer plötzlich meidet wie die Pest, finde ich einen höchst seltsamen Vorgang“, sagte Brickwedde.
Tatsächlich fehlten zwei wichtige Vertreter der Mehrheitsgruppe. Die beiden Vorsitzenden des Kulturausschusses, Bracke (Grüne) und Schlatermund (SPD) waren persönlich geladen, nahmen aber nicht teil und hatten auch keine Vertreter entsandt.
In der Pressemeldung wird auch Brickweddes persönliche Meinung zur Calmeyer-Debatte thematisiert. „Brickwedde ging mit dem Verwaltungsvorschlag, die Calmeyer-Ausstellung mit dem Namen Schlikker zu verbinden [‚Villa Schlikker – Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte‘], hart ins Gericht. Nicht nur schliefen bei diesem Titel ‚die Füße ein‘, vielmehr sei der Name bei der Aufarbeitung eines Teils der Nazivergangenheit geradezu kontraproduktiv. Schlikker junior sei sehr früh in die NSDAP eingetreten und habe bald die Villa der Partei überlassen. Bis 1945 war die Villa Schlikker die Osnabrücker NSDAP-Zentrale, das ‚Braune Haus‘. Brickwedde plädierte dafür, Calmeyer auf jeden Fall in der Namensgebung erscheinen zu lassen. Calmeyers Mut, sein moralisches Dilemma, sein Handeln unter Lebensgefahr müssen richtig dargestellt werden. Es ginge nicht um ‚Heldenverehrung‘, sondern um eine ‚objektive, faire und wissenschaftliche‘ Auseinandersetzung mit Leben und Werk Calmeyers.“
Auch die Meinung von Thiele wird in der Meldung deutlich. „Thomas Thiele (FDP) sprach sich ebenfalls deutlich gegen ‚Schlikker‘ und für ‚Calmeyer‘ aus. Die Vorbehalte der Niederländer seien verständlich, denn sie hätten unter der deutschen Besatzung sehr gelitten, und die Schuld sei nicht wiedergutzumachen. Aber Calmeyer stehe für ‚Leute mit Rückgrat‘ und Menschlichkeit. Dabei gehe es nicht um die genaue Zahl der Geretteten, sondern um einen ‚Lichtblick im Dunkeln‘. Immerhin habe die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Calmeyer zu einem ‚Gerechten unter den Völkern‘ erklärt. Thiele sprach sich für den Vorschlag der HCI aus, das Haus mit „Forum Calmeyer“ zu benennen.“
Zuvor habe die Versammlung einen Film zu einer der Ausstellungen von Joachim Castan „Calmeyers Listen mit Hitlers Bürokraten” aus dem Jahre 2009 angeschaut. Dem Film folgte eine PowerPoint Präsentation, in der Joachim Castan (HCI) den wissenschaftlichen Forschungsstand zu Calmeyer darstellte. Der Quellenumfang zu Calmeyer wäre mit 4.000 überlieferten Akten gewaltig. Unter anderem der inzwischen verstorbene Historiker Stuhldreher und die niederländische Journalistin von Diggelen sprechen Calmeyer jegliche Absicht ab, dass Calmeyer Menschen überhaupt retten wollte.