Mit dem Herzen ist das so eine Sache. Spricht man mit Meinolf Thies, der zusammen mit seiner Frau Anja die beiden Osnabrücker Kinos Filmpassage in der Johannisstraße und die erst kürzlich für einen Millionenbetrag vollkommen umgebaute „Hall of Fame“ am Hauptbahnhof betreibt, dann sollte bei der Berücksichtigung der Lichtspielhäuser in Zeiten von Corona auch der Verstand eine Rolle spielen.
Aber egal ob Herz oder Verstand: Ob die Verantwortlichen der Landesregierung die Kinos überhaupt auf dem Schirm haben, daran gibt es Zweifel.
Im Rahmen der Landespressekonferenz stellten am Montag verschiedene Fachminister zusammen mit Ministerpräsident Stephan Weil den „Niedersächsischen Weg“ vor, über den das Bundesland langsam wieder aus dem Lockdown geführt werden soll.
Wie bereits bei der Vorstellung anderer Verfügungen aus Hannover blieben auch dieses Mal ein paar Fragezeichen und Interpretationsspielräume. Zum Beispiel hinsichtlich der Gastronomie-Öffnung, die faktisch mit einem Verzehrzwang für feste Nahrung verbunden ist. Kneipen, die keine Speisen anbieten, sollen auf längere Sicht weiterhin geschlossen bleiben. Hierzu darf mit Sicherheit noch die eine oder andere Klarstellung erwartet werden; auch weil inzwischen viele Kneipenbesitzer vor dem Ruin stehen.
Unklarheit bei der Landesregierung: Kinos vergessen?
Ähnlich auch bei den Kinos: In einer Handreichung an die Presse wurden Kinos auf einer Zeitachsen-Grafik explizit bis zur zum Beginn der „Stufe 3“ (25. Mai) aufgeführt, danach sollen nur noch „sonstige Indoor-Freizeit-/Kultureinrichtungen“ geschlossen bleiben.
Anfragen unserer Redaktion bei der Staatskanzlei, dem Wirtschafts- und dem Sozialministerium in Hannover, ob die zuvor in dem Dokument explizit genannten Kinos unter die im weiteren Verlauf verwendete Bezeichnung „sonstige Kultureinrichtungen“ fallen, konnten die jeweiligen Pressesprecher auf Anhieb nicht beantworten.
Im Verlauf des Montagnachmittags meldete sich aber Pressesprecher Oliver Grimm aus dem Sozialministerium bei unserer Redaktion zurück; er war doch noch fündig geworden. In einem Dokument der Staatskanzlei sind Kinos explizit nochmals aufgeführt und sollen demnach tatsächlich erst in „Stufe 5“ wieder geöffnet werden. Der Beginn dieser Stufe ist noch nicht genau terminiert, wird aber voraussichtlich erst im Hochsommer sein.
Kino: hohe Decken, Platzkarten und moderne Klimatechnik
Kinobesitzer Meinolf Thies hat dafür kein Verständnis, er argumentiert: “ Es gibt kaum einen anderen Raum für den so genau bestimmt werden kann wer wo sitzt und wie viel Abstand von den Besuchern einzuhalten ist, wie in einem Kinosaal“.
Neben den festen Sitzplätzen für die Zuschauer führt Kinobesitzer Thies auch die Klimatechnik und die große Deckenhöhe an, die jedes Kino deutlich „luftiger“ macht als zum Beispiel Restaurants, die in Niedersachsen bereits ab kommender Woche wieder öffnen dürfen.
Anja Thies ergänzt, dass ihre insgesamt mehr als 200 Mitarbeiter in großer Sorge sind wie es weitergeht. Viele Kinomitarbeiter haben nur einen 450 Euro Job und finanzieren so zum Beispiel ihr Studium. Kurzarbeitergeld gibt es für diese Personengruppe nicht, dafür springen die beiden Familienunternehmer jetzt ein.
Kino-Auszubildende startet Onlinepetition
Aus den Reihen der Mitarbeiter, von einer noch in Ausbildung befindlichen zukünftigen Veranstaltungskauffrau, wurde am Montag eine Onlinepetition gestartet, die sich an Kulturstaatsministerin Monika Grütters richtet.
In der Petition wird eine schnelle Wiederöffnung, unter Beachtung von Abstandsregeln und geringer Auslastung der Säle gefordert und auf die besondere Bedeutung des Kinos für die Kultur in den Gemeinden hingewiesen.
Hier geht es zur Onlinepetition.
Auch bei den Kinos macht jedes Land seine eigenen Pläne
Das Kinobesitzer-Ehepaar Thies, das auch Kinos in Nordrhein-Westfalen betreibt, wartet derweil gespannt auf die Vorstellung der Pläne der Düsseldorfer Landesregierung, die am Mittwoch veröffentlicht werden sollen. Dem Vernehmen nach will NRW den Ausstieg aus den Corona-Schutzmaßnahmen nicht in fünf, sondern in drei Phasen organisieren. Offen ist, in welcher „Phase“ in unserem Nachbarland die Kinos wieder öffnen dürfen.
Kommentar des Redakteurs
Die privat betriebenen Kinos zwischen Goslar und Wangerooge werden in den Unterlagen der Landesregierung Seite an Seite mit klassischen Theatern betrachtet. Doch während die massiv aus öffentlichen Kassen subventionierten staatlichen und kommunalen Theater bald planmäßig ihre Sommer- und Spielplanpause beginnen und von dieser Seite kein Druck auf die Landesregierung zu erwarten ist – die Gehälter laufen ja ohnehin weiter und werden vom Steuerzahler übernommen –, scheint man in Hannover die Lichtspielhäuser vollkommen vergessen zu haben.
Was nützt die schönste Landesfilmförderung, wenn die Streifen nicht auf die Leinwand kommen und das Überleben einer vielfältigen Kinolandschaft auf der Kippe steht? Und warum schaffen es drei Pressesprecher der Landesregierung nicht, auf Anfrage sofort eine Antwort auf die Zukunft des Kinos zu geben?
Man sollte in Hannover ehrlich sein: „Ihr habt die Kinos schlicht nicht auf dem Zettel gehabt!“
Und tatsächlich gibt es vielleicht auch Abspielstätten, zum Beispiel kleine Programmkinos (Spitzname „Schachtelkino“), die auf mittlere Sicht wirklich nicht geeignet sind, schnell wieder freigegeben zu werden.
Ganz anders sieht es aber bei den großen Sälen aus. Hier gibt es sehr viel Spielraum, eine bereits beim Kartenkauf sichergestellte Abstandsregelung und vor allem Klimaanlagen, die im Zweifel und in Absprache mit den lokalen Ordnungsbehörden auch auf höchste Stufe gestellt werden können. Eine differenzierte Betrachtung der Kinolandschaft ist möglich: Man muss nur wollen.
Es würde der Landesregierung gut anstehen, mal wieder eine kleine Unachtsamkeit beim Erlass neuer Regeln einzugestehen … das hat ja bei den Regeln für Autowaschanlagen und den Trauerfeiern auch gut funktioniert.
Dass unsere Landesregierung bereit ist, einmal getroffene Entscheidungen zu überdenken, macht Hoffnung. Hoffentlich ist die Stimme der Kinobesitzer laut genug, um in Hannover Gehör zu finden!